Immer mehr Tech-Konzerne investieren Hunderte Milliarden Dollar in Chips und Rechenzentren – nicht nur, um mit der steigenden Nachfrage nach Chatbots wie ChatGPT, Gemini oder Claude Schritt zu halten, sondern auch in der Hoffnung, wirtschaftliche Prozesse zunehmend von Menschen auf Maschinen zu verlagern. Die Gesamtausgaben könnten sich auf mehrere Billionen Dollar belaufen. Finanziert wird der Ausbau durch Risikokapital, Kredite – und zunehmend durch kreative Finanzierungsmodelle, die selbst an der Wall Street für Stirnrunzeln sorgen.
Auch überzeugte Verfechter der KI räumen ein, dass der Markt überhitzt scheint – betonen jedoch zugleich ihr Vertrauen in das langfristige Potenzial der Technologie. Künstliche Intelligenz werde ganze Branchen verändern, Krankheiten heilen und den menschlichen Fortschritt beschleunigen, heisst es.
Noch nie zuvor wurden in so kurzer Zeit derart hohe Summen in eine Technologie investiert, deren wirtschaftlicher Nutzen bisher weitgehend unbewiesen ist. Selbst Brancheninsider, die den optimistischsten Prognosen mit Skepsis begegnen oder bislang keinen Weg zur Monetarisierung sehen, geraten unter Zugzwang – aus Angst, im künftigen KI-Markt abgehängt zu werden.
Was sind die Warnsignale für eine KI-Blase?
Als OpenAI-Chef Sam Altman im Januar zusammen mit anderen Unternehmern im Weissen Haus einen Infrastrukturplan über 500 Milliarden Dollar vorstellte – Codename «Stargate» – sorgte das allein schon durch die Grössenordnung für Aufsehen. Inzwischen haben Wettbewerber wie Meta-CEO Mark Zuckerberg nachgezogen und eigene Investitionen im dreistelligen Milliardenbereich angekündigt. Altman erklärte später, OpenAI plane langfristig sogar Ausgaben in Billionenhöhe.
Zur Finanzierung dieser ambitionierten Projekte geht OpenAI neue Wege. So gab der Chiphersteller Nvidia im September bekannt, bis zu 100 Milliarden Dollar in OpenAIs Rechenzentren zu investieren. Analysten sehen darin auch den Versuch, den Absatz der eigenen Chips indirekt abzusichern – etwa durch die Unterstützung potenzieller Grosskunden.
Schon seit Beginn des KI-Booms steht Nvidia im Verdacht, über Investitionen in Startups und Cloud-Anbieter seine eigenen Produkte zu pushen – der Deal mit OpenAI stellt jedoch alles bisher Dagewesene in den Schatten.
OpenAI prüft zudem, Fremdkapital aufzunehmen, anstatt sich allein auf strategische Partner wie Microsoft oder Oracle zu verlassen. Im Gegensatz zu diesen etablierten Konzernen, die konstant hohe Gewinne erwirtschaften, erwartet OpenAI laut einem Bericht von The Information bis 2029 einen negativen Cashflow von rund 115 Milliarden Dollar.
Auch andere Tech-Riesen greifen für ihre rekordhohen Investitionen zunehmend zu Fremdfinanzierung: Meta sicherte sich von Kreditgebern 26 Milliarden Dollar für ein Rechenzentrum in Louisiana, das angeblich so gross wie Manhattan sein soll. Weitere 22 Milliarden Dollar fliessen – angeführt von JPMorgan und Mitsubishi UFJ – in die Pläne von Vantage Data Centers zum Bau eines riesigen Rechenzentrums-Campus.
Wie sieht es mit der Rückzahlung aus?
Laut einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Co. müssten KI-Unternehmen bis 2030 jährlich rund zwei Billionen Dollar Umsatz erzielen, um die notwendige Recheninfrastruktur zu finanzieren. Doch die Analysten rechnen mit einer Lücke von etwa 800 Milliarden Dollar gegenüber diesem Ziel.
«Die Summen, über die hier gesprochen wird, sind so extrem, dass sie kaum noch greifbar sind», sagte David Einhorn, prominenter Hedgefonds-Manager und Gründer von Greenlight Capital. «Ich bin mir sicher, dass es nicht null sein wird, aber es besteht eine begründete Chance, dass dieser Zyklus eine enorme Kapitalvernichtung mit sich bringen wird.»
Ein weiteres Warnsignal: Immer mehr kaum etablierte Firmen wollen vom Rechenzentrums-Boom profitieren. Der niederländische Cloudanbieter Nebius – 2024 aus dem russischen Yandex-Konzern hervorgegangen – schloss kürzlich ein Infrastrukturabkommen mit Microsoft über bis zu 19,4 Milliarden Dollar. Auch das britische Unternehmen Nscale, einst im Krypto-Mining tätig, kooperiert mittlerweile mit Nvidia, OpenAI und Microsoft beim Ausbau europäischer Rechenzentren.
«KI wird wahrscheinlich tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitswelt bringen. Aber wie bei jeder schöpferischen Zerstörung im Sinne Schumpeters wird es zunächst schmerzhafte Verluste geben, bevor die neuen Geschäftsmodelle Früchte tragen.»
Gibt es Bedenken hinsichtlich der Technologie selbst?
Begleitet wird die Investitionsflut von grundlegenden Zweifeln. Eine MIT-Studie vom August zeigt: 95% der befragten Unternehmen sehen bislang keine messbare Rendite aus ihren KI-Projekten. Das sorgt für Verunsicherung bei Investoren.
Forscher von Harvard und Stanford identifizieren ein mögliches Problem: KI werde zunehmend für sogenannte «Workslop»-Inhalte genutzt – Aufgaben, die wie produktive Arbeit aussehen, aber in Wahrheit keinen Mehrwert bringen.
Damit kehrt sich das ursprüngliche KI-Versprechen – Effizienzsteigerung und Produktivitätsgewinn – ins Gegenteil: Laut den Studien verursachen solche Inhalte in grossen Unternehmen jährliche Verluste in Millionenhöhe.
KI-Entwickler sehen sich zudem mit einem grundlegenden Problem konfrontiert: OpenAI, Anthropic (Entwickler des Claude-Chatbots) und andere stützen ihre Strategie seit Jahren auf das sogenannte Skalierungsgesetz – die Annahme, dass sich die Leistungsfähigkeit von KI-Modellen automatisch verbessert, wenn man sie mit mehr Rechenleistung, grösseren Datenmengen und komplexeren Architekturen versorgt.
Diese Hypothese bildete lange Zeit das Fundament des Fortschritts in der KI-Forschung. Die Hoffnung: Mit jedem Skalierungsschritt rückt die sogenannte allgemeine Künstliche Intelligenz (AGI) näher – eine hypothetische Form von KI, die dem Menschen in nahezu allen kognitiven Aufgaben gleichkommt oder ihn sogar übertrifft.
Im vergangenen Jahr jedoch wurde deutlich, dass selbst die enormen Investitionen in immer leistungsfähigere Systeme nicht mehr den erhofften Fortschritt brachten. Vielen KI-Entwicklern fiel es schwer, die zuvor geweckten Erwartungen zu erfüllen. Besonders auffällig war dies bei OpenAI: Das Unternehmen hatte die Veröffentlichung von GPT-5 monatelang als bedeutenden Meilenstein angekündigt. Als das neue Modell schliesslich im August vorgestellt wurde, fiel die Resonanz verhalten aus. CEO Sam Altman räumte bei der Präsentation ein, dass «etwas Entscheidendes noch fehlt», um eine allgemeine künstliche Intelligenz zu erreichen.
Hinzu kommt der zunehmende Druck durch internationale Konkurrenz – allen voran aus China. Dort entstehen in rasantem Tempo kostengünstige und zugleich leistungsfähige KI-Modelle, die US-Entwicklern technologisch zwar noch nicht durchgängig das Wasser reichen, sie preislich jedoch deutlich unterbieten. Für Investoren im Silicon Valley birgt das ein erhebliches Risiko: Wenn chinesische Anbieter ähnliche Leistung zu einem Bruchteil der Kosten liefern können, droht die Kapitalrendite für milliardenschwere Infrastrukturprojekte im Westen massiv zu sinken.
Ein weiteres Risiko ist die wachsende Belastung der Stromnetze: Der massive Ausbau von Rechenzentren für KI führt zu einem enormen Energiebedarf – den viele nationale Stromversorger kaum decken können.
Was sagt die KI-Branche dazu?
Sam Altman, das Gesicht des KI-Booms, hat wiederholt vor einer möglichen Blase gewarnt – betont aber zugleich das transformative Potenzial der Technologie. «Befinden wir uns in einer Phase, in der Investoren insgesamt übermässig begeistert von KI sind? Meiner Meinung nach ja», sagte er im August. «Ist KI das Wichtigste, was seit langer Zeit passiert ist? Meine Meinung ist ebenfalls ja.»
Altman und andere führende Köpfe der Branche zeigen sich weiterhin überzeugt vom Weg hin zur sogenannten allgemeinen künstlichen Intelligenz – einige halten sie für näher als viele Skeptiker. «Die Entwicklung von Superintelligenz ist inzwischen absehbar», schrieb Zuckerberg im Juli über eine noch leistungsstärkere Form von KI, die sein Unternehmen anstrebt.
Viele KI-Entwickler betonen, dass sie kurzfristig ihre Rechenkapazitäten massiv ausbauen müssen, um mit der rasant steigenden Nutzung Schritt zu halten. Altman unterstrich mehrfach, dass OpenAI bei den verfügbaren Rechenressourcen an seine Grenzen stosse – angesichts von Hunderten Millionen Nutzern weltweit, die ChatGPT zum Kommunizieren, Programmieren sowie zur Erstellung von Bildern und Videos verwenden.
Trotz Kritik von aussen veröffentlichen OpenAI und Anthropic Studien, die den praktischen Nutzen ihrer Systeme betonen. Laut einer im September erschienenen Analyse nutzt rund drei Viertel der befragten Unternehmen den Claude-Chatbot zur Prozessautomatisierung. OpenAI stellte zudem das Bewertungssystem GDPval vor, das die Leistungsfähigkeit von KI-Modellen in verschiedenen Berufsfeldern analysiert.
«Wir haben festgestellt, dass die besten aktuellen Modelle bereits fast die Qualität der Arbeit von Branchenexperten erreichen», erklärte OpenAI in einem Blogbeitrag. «Insbesondere bei den Aufgaben, bei denen die Modelle besonders stark sind, gehen wir davon aus, dass es Zeit und Geld sparen würde, eine Aufgabe zunächst einem Modell zu übertragen, bevor man sie mit einem Menschen ausprobiert.»
Bleibt die Frage: Wie viel sind Kunden bereit, dafür zu zahlen? Hoffnung besteht darin, dass mit wachsender Leistungsfähigkeit der Modelle auch die Zahlungsbereitschaft steigen wird.
«Ich will alle Optionen offenhalten», sagte Sarah Friar, Chief Financial Officer von OpenAI, Ende 2024, als sie zu einem Bericht befragt wurde, wonach das Unternehmen ein monatliches Abonnement für seine KI-Produkte in Höhe von 2'000 Dollar diskutiert habe. «Wenn es mir hilft, mich mit einem Assistenten auf Doktorandenebene für alles, was ich tue, in der Welt zu bewegen, gibt es sicherlich Fälle, in denen das absolut sinnvoll wäre.»
Im September erklärte Zuckerberg, eine KI‑Blase sei «durchaus möglich», betonte aber, dass er das grössere Risiko darin sehe, nicht ausreichend zu investieren. «Wenn wir ein paar hundert Milliarden falsch investieren, wäre das sehr bedauerlich», sagte er in einem Podcast‑Interview. «Aber ich denke tatsächlich, dass das Risiko auf der anderen Seite grösser ist.»
Was kennzeichnet eine Marktblase?
Blasen bezeichnen Phasen wirtschaftlicher Übertreibung, in denen Vermögenswerte stark im Preis steigen – weit über das hinaus, was durch realwirtschaftliche Kennzahlen gerechtfertigt wäre. In der Regel folgt ein abrupter Einbruch: die Blase platzt, und die Märkte korrigieren schmerzhaft nach unten.
Blasen entstehen meist, wenn Anleger von einer neuen Technologie oder Marktchance begeistert sind und aus Angst, Gewinne zu verpassen, einsteigen. Der US-Ökonom Hyman Minsky beschrieb den typischen Verlauf in fünf Phasen: Verdrängung, Boom, Euphorie, Gewinnmitnahmen – und schliesslich Panik.
Blasen sind schwer im Entstehen zu erkennen, weil sich Marktpreise aus vielerlei Gründen von den Fundamentaldaten entfernen können – ohne dass ein Absturz zwangsläufig folgt. Ob eine Blase vorliegt, zeigt sich oft erst im Rückblick, wenn ein Crash die überzogenen Erwartungen entlarvt.
Blasen platzen in der Regel dann, wenn Anleger erkennen, dass ihre hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllbar sind. Häufig geschieht das nach einer Phase kollektiver Euphorie, in der fast jeder auf den Trend aufspringt – bis die Gewinne zu bröckeln beginnen oder ein einschneidendes Ereignis den Optimismus erschüttert und eine Verkaufswelle auslöst.
Anfang des Jahres schien es kurzzeitig, als sei die KI-Blase bereits geplatzt: Das chinesische Unternehmen DeepSeek überraschte den Markt mit einem leistungsstarken KI-Modell, das offenbar mit einem Bruchteil der Ressourcen entwickelt wurde, die US-Konkurrenten investieren. Der virale Erfolg von DeepSeek löste eine Schockwelle an den Börsen aus – Tech-Werte verloren über eine Billion Dollar an Marktwert, und die KI-Schlüsselaktie Nvidia brach an einem einzigen Handelstag um 17 Prozent ein.
Die Episode rund um DeepSeek machte die Anfälligkeit grosser KI-Investitionen deutlich. Doch im Silicon Valley löste der Rückschlag keinen Strategiewechsel aus: Viele Tech-Konzerne erhöhten ihre Investitionspläne sogar noch. Anleger unterstützten diesen Kurs enthusiastisch. Die Nvidia-Aktie erholte sich rasch von ihrem Tief im Frühjahr, durchbrach im Sommer ihre bisherigen Höchststände und machte Nvidia Ende September zum wertvollsten Unternehmen der Welt – mit einer Marktkapitalisierung von über vier Billionen Dollar.
Ist das also eine Wiederholung von 1999?
Auch in der Dotcom-Ära flossen gewaltige Summen in neue Technologien – häufig gestützt auf zweifelhafte Kennzahlen wie Seitenaufrufe statt nachhaltiger Gewinne. Viele Geschäftsmodelle erwiesen sich als unausgereift, Wachstumsprognosen waren überzogen. Als die Blase um das Jahr 2001 platzte, verschwanden etliche Firmen vom Markt – einige wurden abgewickelt, andere von grösseren Wettbewerbern übernommen.
Parallelen zur Dotcom-Zeit zeigen sich heute vor allem im rasanten Ausbau der KI-Infrastruktur, in überhöhten Bewertungen – und im demonstrativen Umgang mit Kapital. Risikokapitalgeber umwerben vielversprechende KI-Startups mit Privatjets, Luxus-Events und dreistelligen Millionensummen. Viele Jungfirmen präsentieren wiederkehrende Umsätze als zentrales Erfolgsmass – doch Beobachter zweifeln, wie belastbar und skalierbar diese Einnahmen tatsächlich sind, insbesondere in so frühen Entwicklungsphasen. Einige Startups verkünden gleich mehrere grosse Finanzierungsrunden pro Jahr. Klar ist: Nicht alle werden überleben.
«Ich denke, es gibt viele Parallelen zur Internetblase», sagte Bret Taylor, Vorsitzender von OpenAI und CEO von Sierra, einem KI-Startup mit einem Wert von 10 Milliarden Dollar. Wie in der Dotcom-Ära werden mit ziemlicher Sicherheit eine Reihe von hochfliegenden Unternehmen pleitegehen. Aber laut Taylor wird es auch grosse Unternehmen geben, die sich langfristig etablieren und florieren, so wie es Ende der 90er Jahre bei Amazon.com und Alphabets Google der Fall war.
«Es ist wahr, dass KI die Wirtschaft verändern wird, und ich glaube, dass sie wie das Internet in Zukunft einen enormen wirtschaftlichen Wert schaffen wird», sagte Taylor. «Ich glaube aber auch, dass wir uns in einer Blase befinden und viele Menschen viel Geld verlieren werden.»
Amazon-Gründer Jeff Bezos bezeichnete die aktuellen KI-Ausgaben als Teil einer «industriellen Blase» – vergleichbar mit dem Biotech-Hype der 1990er-Jahre. Dennoch ist er überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Produktivität «jedes Unternehmens weltweit» spürbar steigern wird.
Im Vergleich zur Dotcom-Blase ist das Fundament heute jedoch deutlich stabiler. Die zentralen Akteure des KI-Booms – etwa die «Magnificent Seven» – sind etablierte Tech-Giganten mit hoher Profitabilität, die einen Grossteil des Gewinnwachstums im S&P 500 Index ausmachen. Diese Unternehmen verfügen über enorme Einnahmequellen und sitzen auf grossen Bargeldreserven.
Trotz anhaltender Zweifel entwickelt sich die KI-Nutzung mit enormer Geschwindigkeit. So verzeichnet OpenAIs ChatGPT etwa 700 Millionen aktive Nutzer pro Woche – eines der am schnellsten wachsenden Verbraucherprodukte aller Zeiten. Führende KI-Unternehmen wie OpenAI und Anthropic profitieren von starkem Umsatzwachstum. OpenAI geht davon aus, dass der Umsatz im Jahr 2025 auf 12,7 Milliarden Dollar mehr als verdreifacht wird.
Zwar erwartet OpenAI erst gegen Ende des Jahrzehnts, positive Cashflows zu erzielen. Dennoch sorgte ein kürzlich abgeschlossener Deal, der Mitarbeitern den Aktienverkauf ermöglicht, für Aufsehen: Die implizite Unternehmensbewertung lag bei rund 500 Milliarden Dollar. Damit ist OpenAI das wertvollste Unternehmen weltweit, das bislang noch keinen Gewinn erwirtschaftet hat.
(Bloomberg/cash)