Die Schweizer Pharmazulieferer gehören schon seit längerem zu den gefeierten Stars an der Börse. Insbesondere Branchenriese Lonza mit seinem breiten Portfolio an Produkten und Dienstleistungen für die Pharmaindustrie ist ein wahrer Liebling unter Analysten und Investoren. Seit Januar 2019 hat der SMI-Titel um rund 65 Prozent zugelegt. Und ein Ende ist nicht in Sicht – trotz Coronavirus.

Kursentwicklung der Lonza-Aktie seit Januar 2019, Quelle: cash.ch

Zulieferer wie Lonza, aber auch Siegfried, Bachem oder Dottikon, profitieren davon, dass Pharmariesen wie Roche und Novartis aus Kostengründen Teile ihrer Produktion an spezialisierte Drittfirmen auslagern. Diese Entwicklung könnte noch viele Jahre andauern.

Seit Corona rückt jetzt zudem eine alte Diskussion wieder in den Fokus, die dem Geschäft der hiesigen Zulieferer weiter Auftrieb verleihen könnte: Die Rückholung von Teilen der Produktionsketten aus Asien.

Genauer: Die Produktion von Medikamenten, insbesondere Generika, soll wieder nach Europa verlagert werden, wird derzeit oft gefordert. Dabei geht es vor allem um das Thema Versorgungssicherheit und die Vermeidung von Lieferengpässen. Denn: Wirkstoffe für Generika werden nicht selten von nur einem einzigen Hersteller aus China oder Indien produziert – ein Umstand, der in Krisenzeiten zu grossen Problemen führen kann, wie in der Coronakrise den Leuten nun vor Augen geführt wird.

Blocher stünde bereit

Markus Blocher, Chef von Dottikon, ist diesbezüglich bereits auf den Bund zugegangen. Um einen Medikamenten-Engpass zu vermeiden, habe er dem Bund vorgeschlagen, dass Dottikon Produktionskapazitäten für den Krisenfall bereithalten könnte, wie er in einem Interview im Schweizer Radio SRF verriet. So könne man im Bedarfsfall wichtige Medikamente mit kurzer Vorlaufzeit produzieren. Für die dafür nötige Erweiterung der Produktionsanlagen müsse der Bund das Risiko aber abgelten, so Blocher. 

Offenbart sich hier also bald eine neue Goldgrube für Schweizer Pharmazulieferer? Ganz so einfach scheint es nicht zu sein. Hört man sich bei Analysten um, werden immer wieder vier Punkte genannt, warum die Aussicht auf eine Verlagerung von Produktionsketten von China nach Europa für die hiesige Pharmazuliefererbranche kaum gewinnbringend wäre – mindestens auf kurze bis mittelfristige Sicht.

Zulassung dauert

Erstens ist da der Prozess der Zulassung. Wenn heute ein Unternehmen entscheidet, ein Produkt herzustellen, welches zuvor nur in China produziert wurde, müsse es zunächst von der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bewilligt werden, sagt Daniel Jelovcan, Analyst bei der Genfer Privatbank Mirabaud, gegenüber cash. "Das dauert mindestens zwölf bis 18 Monate", so Jelovcan. Anleger sollten daher kurzfristig nicht mit zusätzlichen Gewinnschüben rechnen.

Zweitens hat die Schweizer Pharmazuliefererbranche eine Art Luxusproblem. Um von einer Verlagerung der Produktionsketten von Asien nach Europa profitieren zu können, braucht es Kapazität – etwas, was Schweizer Pharmaproduzenten derzeit schlicht nicht haben. "Bei Lonza und Siegfried sind die Produktionskapazitäten stark ausgelastet, sodass man die Kapazitäten zuerst ausbauen müsste", sagt Matthias Müller, Pharma-Analyst bei der St.Galler Kantonalbank (SGKB). Heisst: Das kostet Zeit und Geld.

Und Jelovcan fügt hinzu: "Lonza hatte bis vorgestern über 40 nennenswerte Produktions-Anfragen, die mit einem potenziellen Covid-19-Mittel zusammenhängen." Das Basler Unternehmen hätte aber nur eine Handvoll annehmen können. Mit anderen Worten: Die Auftragsbücher der Pharmazulieferer sind proppenvoll. Weitere Aufträge, etwa aus dem Generika-Segment, braucht Lonza bis auf weiteres schlicht nicht.

Produktionsverlagerung sinnvoll?

Drittens stellt sich die Frage, welche Chancen eine Produktionsverlagerung von China nach Europa für hiesige Unternehmen überhaupt böte. Wichtig ist: Bei der derzeitigen Diskussion geht es primär um die Produktion von Generika – einem Geschäft mit äusserst tiefen Margen, welches nicht umsonst nach China ausgelagert wurde.

"Der Generika-Bereich ist wenig profitabel und daher für die Schweizer Pharmabranche eher uninteressant", sagt denn auch Müller. Im Geschäft mit Nachahmerprodukten sei der Biosimilar-Bereich um einiges interessanter. Allerdings finde hier die Produktion schon zu grossen Teilen in Europa statt, so Müller.

Therapien mit hohen Margen bevorzugt

Nicht umsonst hat sich die Schweizer Pharmabranche auf forschungsintensive Bereiche wie Immun-Therapien, Zell-Therapien oder biologisch hergestellte Medikamente konzentriert. Viele Therapien fokussieren sich zudem nicht selten auf die Behandlung von seltenen Krankheiten. Hier winken höhere Erträge. Im letzten Jahr sorgte Novartis mit dem wohl teuersten Medikament auf dem Markt für Aufsehen. Die neuartige Genersatztherapie Zolgensma erhielt in den USA die Zulassung. Deren Preis: über zwei Millionen Dollar.

In Asien liegt der Fokus – noch – woanders. "Von chinesischen Playern werden in erster Linie die einfachen sogenannten Small Molecules hergestellt", sagt Lorenzo Biasio, Aktienanalyst der Credit Suisse, gegenüber cash. Schweizer Pharmaunternehmen wie Lonza, Siegfried, Dottikon oder Bachem haben bei der Art von Molekülen, die sie herstellen, ein Alleinstellungsmerkmal. "Deren grosse Umsatztreiber sind typischerweise Moleküle mit komplexen Herstellungsverfahren, an denen sich auch mal ein weniger kompetenter Hersteller die Zähne ausbeisst ", so Biasio.

Eine Frage der Politik

Der vierte Punkt ist die politische Dimension der Diskussion. Damit die Produktion von in China hergestellten Medikamenten wieder nach Europa zurückkäme, bräuchte es dort Veränderungen, wo es am meisten wehtut: beim Preis. "Damit hiesige Pharmaunternehmen wieder gross in die Produktion von Generika, wie etwa viele Antibiotika oder Krebsmittel, einsteigen, müssten die Preise für solche Medikamente steigen", sagt Müller. Das sei politisch allerdings kaum vertretbar.

Der SGKB-Analyst glaubt daher kaum, dass Produktionen von China in die Schweiz verlagert werden. "Den Punkt mit der Versorgungssicherheit kann ich in der Diskussion sehr gut nachvollziehen. Die Umsetzung stelle ich mir aber äusserst schwierig vor", sagt Müller.

Schweizer Pharmazulieferer bestens aufgestellt

Insgesamt stellt sich heraus, dass der Mehrwert einer möglichen Verlagerung der Produktionsketten von China nach Europa für die Schweizer Pharmabranche – mindestens kurz- bis mittelfristig – überschaubar wäre. Gerade die Zuliefererbranche in der Schweiz ist exzellent aufgestellt und nur wenig an der Herstellung von Generika und Small Molecules interessiert.

Trotzdem darf man nicht vergessen: China schläft nie. Auch dort sieht man, welch hohe Margen das Geschäft mit Biopharmazeutika und Biotechnologien gemacht werden. Dennoch sollte das Schweizer Qualitätslabel auf Jahre hinaus noch ziehen.