Pablo Isla, Nachfolger des am Dienstagabend vorzeitig zurückgetretenen Verwaltungsratspräsidenten Paul Bulcke, und der neue Konzern-Chef Philipp Navratil müssen den unter schwachen Wachstumsraten und einem darbenden Aktienkurs leidenden Schweizer Nahrungsmittelriesen wieder in die Spur bringen. «Der Wechsel an der Spitze des Verwaltungsrates zeigt, dass Nestlé erkannt hat, dass es neue Impulse braucht und dafür auch neue Gesichter», erklärte Reto Lötscher von der Luzerner Kantonalbank. «Nestlé muss einen grundlegenden Umbau in Angriff nehmen.»

Das Nestlé-Urgestein Bulcke wollte seinen Posten beim Hersteller von Kit-Kat- und Maggi eigentlich erst auf der Aktionärsversammlung im April 2026 räumen. Doch nach zunehmendem Aktionärsdruck warf der belgisch-schweizerische Doppelbürger nun das Handtuch, zum 1. Oktober übernimmt Isla, der früher Lenker der Zara-Mutter Inditex war, die Leitung des Aufsichtsgremiums. «Bei Nestlé ist zu viel in kurzer Zeit schiefgelaufen», erklärte Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka Investment. Angesichts des zunehmenden Drucks des Kapitalmarktes sei Nestlé gezwungen gewesen, zu handeln.

Erst vor zwei Wochen hatte Nestlé Konzernchef Laurent Freixe entlassen, weil er eine romantische Beziehung zu einer ihm direkt unterstellten Mitarbeiterin nicht offengelegt hatte. Mit unmittelbarer Wirkung übernahm der 49-jährige Nespresso-Chef Navratil das Steuer, der dritte CEO in nur gut einem Jahr. Bereits Freixes Vorgänger Mark Schneider musste das Unternehmen verlassen, nachdem er an Rückhalt bei Investoren und Mitarbeitern verloren hatte. Denn bei Schlüssel-Indikatoren wie dem Umsatzwachstum und der Aktienpreisentwicklung hinkt Nestle, deren Produktpalette von Fertiggerichten und Tiefkühlprodukten über Süsswaren und Kaffee bis hin zu Vittel-Wasser und Tierfutter reicht, inzwischen Rivalen wie Danone und Unilever hinterher. Mit gut 71 Franken notiert die Aktie weit unter dem Höchststand von knapp 130 Franken Anfang 2022. Obwohl die Anleger den Führungswechsel mehrheitlich begrüssten, gaben die Aktien am Mittwoch um weitere 0,7 Prozent nach.

Glaube an Verlässlichkeit der Dividende hat gelitten

Viele Verbraucher greifen nicht mehr so schnell zu den Produkten der grossen Markenartikel-Hersteller, unter anderem, weil sie ihnen zu teuer geworden sind. Nestlé leidet unter diesem Trend aber stärker als andere Anbieter. ZKB-Analyst Patrik Schwendimann zufolge muss Nestle die Innovationsgeschwindigkeit steigern. «Bezüglich Tempo bringen grundsätzlich ein jüngerer CEO und ein aus der Modebranche stammender Verwaltungsratspräsident gute Voraussetzungen mit.» Auch Speich äusserte sich positiv zum Spanier. «Pablo Isla spielt eine zentrale Rolle. Er verfügt über enorme Erfahrung als CEO ausserhalb von Nestlé und kann sehr eng mit Navratil zusammenarbeiten, um Nestlé einen Neustart zu ermöglichen.» In einem ersten Schritt müsse Isla Nestlé wieder in ruhige Gewässer führen und dann zusammen mit der Geschäftsleitung eine neue Strategie entwickeln, um das Vertrauen der Kapitalmärkte zurückzugewinnen.

Auch Kai Lehmann vom Nestlé-Grossaktionär Flossbach von Storch fordert eine Überprüfung der Strategie. «Gegenwärtig ist Nestlé ein Gemischtwarenladen par excellence.» Die Vision sei verlorengegangen. «Sie wollten letzten Endes alles bedienen, was auf dem Teller landet. Das ist dem Markt zu wenig griffig.» Der Fondsmanager bezweifelt, dass etwa Bereiche wie Fertiggerichte, Tiefkühlprodukte oder das Wasser-Massengeschäft noch genügend schnell wachsen. Nestlé müsse die Anzahl der Marken reduzieren. Auch bei den Wettbewerbern zeige sich, dass Konglomerate und komplexe Konzerne mit Abschlägen bewertet würden.

Sorgen bereitet Lehmann auch die Verschuldung. «Mit den Aktienrückkäufen wurde viel Geld verbrannt. Jetzt sitzt das Unternehmen auf einem massiven Schuldenberg von netto 60 Milliarden Franken.» Das Geld, das in Zinszahlungen fliesse, fehle, um Investitionen zu tätigen und um Dividenden auszuschütten. «Und wenn das operative Geschäft schwächelt, dann erodiert eben auch der Glaube an die Verlässlichkeit als stabiler Dividendenzahler.» Um die Schulden zu reduzieren könnte Nestlé einen Teil der Beteiligung am Kosmetikkonzern L'Oréal verkaufen, so der Experte. «Nestlé muss wieder ein verlässlicher Player sein im Portfolio, ein verlässlicher Dividendenzahler, wo wir uns nicht tagein tagaus über die Bilanz den Kopf zerbrechen müssen.»

(Reuters)