Abseits vom Scheinwerferlicht tüfteln die Notenbanken am möglicherweise grössten Umbau des Geldwesens seit der Einführung von Banknoten im 19. Jahrhundert. Aufgeschreckt von der geplanten Facebook-Währung Libra spielen Währungshüter rund um den Globus zur Zeit durch, welche Möglichkeiten staatliche Cyberwährungen bieten. Einzelne asiatische Länder könnten mit ihrem sogenannten digitalen Zentralbankgeld schon im laufenden Jahr an den Start gehen.
Setzen sich Digitalwährungen auf breiter Front durch, droht den Banken neues Ungemach. Denn die Neuerungen haben das Potenzial, das Bankgeschäft umzupflügen, wie der französische Zentralbankchef Francois Villeroy de Galhau warnt. "Auf dem Spiel steht unsere Währung selbst."
Mit dem im Juni 2019 enthüllten Projekt stiess Facebook bei Währungshütern und Regulierern auf wenig Gegenliebe. In der bisher geplanten Form hat die Cyberwährung deshalb kaum mehr Chancen. "Die Angst der Zentralbanken, dass Libra das gesamte Finanzsystem aushebeln könnte, ist zu gross", erklärt Kaj Burchardi vom Berater BCG.
Doch neben Libra gibt es hunderte von privaten Kryptowährungs-Projekten. "Ich bin überzeugt, dass ähnliche Währungen kommen und sich auch durchsetzen werden", sagt Regulierungs-Experte Hans Kuhn. "Das lässt sich nicht einmal in einem Polizeistaat verhindern."
Das beste aus beiden Welten?
Bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, der Denkschmiede der grossen Notenbanken, ist inzwischen die Einsicht gereift, das Heft in die Hand nehmen zu müssen. "Sonst werden uns die Ereignisse überholen", mahnte BIZ-Chef Agustin Carstens. Auch die EZB will nicht in die Lage geraten, reagieren zu müssen. Ihre neue Präsidentin Christine Lagarde fordert, Notenbanken sollten bei der Entwicklung vorneweg gehen.
Währungshüter räumen ein, dass das bestehende Zahlungssystem gravierende Mängel hat - etwa bei grenzüberschreitenden Zahlungen. Das hat mit der Konstruktion zu tun, bei der Mittler die Schlüsselrolle einnehmen: Transaktionen von Privatkunden und Firmen gehen über Konten bei Banken und Notenbanken. Eine einfache Überweisung durchläuft damit meist eine ganze Kette von Intermediären. Die Folge: Geldtransfers über Landesgrenzen hinweg sind langsam, teuer und auch fehleranfällig.
Dass es anders geht, haben Bitcoin und weitere private Kryptowährungen gezeigt, die auf der Blockchain basieren. Dank dieser Technologie, einem fälschungssicheren digitalen Transaktions-Register, sind vertrauenswürdige Mittler wie eine Bank oder eine Zentralbank nicht mehr notwendig.
Transaktionen laufen direkt zwischen zwei Parteien. Der Nachteil von Bitcoin & Co: enorme Wertschwankungen. Der Wert eines ebenfalls auf Blockchain basierenden digitalen Zentralbankgeldes wäre dagegen so stabil wie derjenige von Banknoten.
Vorne dabei sein oder überrolt werden
Analysten zufolge ist es ganz entscheidend für Währungshüter, die technologische Entwicklung im Zahlungsverkehr mit voranzutreiben. "Sowohl Noten- als auch Geschäftsbanken sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Chance, dieses neue System mitzugestalten, vor allem denjenigen offensteht, die von Beginn an dabei sind," meint DZ-Bank-Analyst Sören Hettler.
Einer Erhebung der BIZ zufolgte beschäftigten sich Ende 2018 rund 70 Prozent der Notenbanken mit digitalem Zentralbankgeld - die meisten davon in einem frühen Stadium. "Inzwischen hat das Tempo zugenommen", sagt ein Notenbanker. Grosse Zentralbanken, darunter die EZB, die Schweizerische Nationalbank (SNB), die Bank von England, die Bank von Japan und die BIZ haben inzwischen eine Arbeitsgruppe gegründet, um sich noch enger zum Thema digitales Zentralbankgeld auszutauschen.
Die BIZ erforscht zusammen mit der SNB den Einsatz digitalen Zentralbankgelds für Finanzinstitute. Doch gemäss SNB-Präsident Thomas Jordan muss sich erst noch weisen, ob dieses im Handel und in der Abwicklung von Wertpapieren tatsächlich effizienter ist als das bestehende System. Experten zufolge dürften bis zu einer Realisierung in der Schweiz noch Jahre vergehen.
EZB-Experte entwirft Modell
Auch die Europäischen Zentralbank (EZB) denkt bereits über die mögliche Ausgestaltung eines digitalen Euro für alle nach. Ulrich Bindseil, EZB-Generaldirektor für Marktinfrastrukturen, stellte kürzlich ein vielbeachtetes Modell vor: Darin würde jeder Bürger im Währungsraum ein Konto für digitales Zentralbankgeld bei den Notenbanken bekommen können.
Bis zu einer bestimmten Summe - etwa 3000 Euro, das durchschnittliche Haushaltseinkommen - würden dort attraktive Zinsen gezahlt, darüber hinaus aber nicht. Sonst droht die Gefahr, dass die Bürger ihre Sparkonten bei den Banken abräumen und ihr Geld auf das Digital-Konto legen. Das aber würde die Geschäfte der Banken schmälern und die gebeutelte Branche in die Bredouille bringen.
Ein solcher digitaler Euro für alle wäre für die Währungshüter eine enorme Aufgabe. Böte die EZB ein Digitalgeld-Konto für alle Einwohner und Firmen im Euro-Raum an, würde die Zahl der Konten bei den Euro-Notenbanken von aktuell rund 10.000 auf dann zwischen 300 bis 500 Millionen anschwellen.
Bislang sind das aber nur Planspiele. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann warnte unlängst davor, übereilt einen digitalen Euro einzuführen. Zunächst müssten positive Seiten und Risiken genau studiert werden. Banken sollten zunächst ihren Zahlungsverkehr schneller und effektiver gestalten, forderte er.
Asien schreitet voran
Andere Länder preschen bereits vor: "Am weitesten fortgeschritten sind China und Kambodscha, gefolgt von Schweden", sagt Cryptofinance-Chef Jan Brzezek. Auch Venezuela und Thailand nähmen Spitzenplätze ein. Es ist kein Zufall, dass Schwellen- und Entwicklungsländer Vorreiter sind. Denn sie wollen nicht nur die Effizienz im Zahlungsverkehr steigern, sondern auch Millionen von Menschen einen besseren Zugang zu Finanzdienstleistungen verschaffen.
Kambodscha könnte bereits im laufenden Jahr ein Angebot für grenzüberschreitende Zahlungen ausrollen. Und auch China steht wohl kurz davor, eine staatliche digitale Währung auszugeben. Sowohl in China als auch in Kambodscha soll zwar die breite Bevölkerung das digitale Notenbankgeld nutzen können, aber nur über Geschäftsbanken.
Die meisten Zentralbanken wollen vorerst nichts von einem direkten Zugang der breiten Bevölkerung zu digitalem Zentralbankgeld wissen. Für BCG-Berater Burchardi könnte allerdings eine neue Finanzkrise ein Umdenken auslösen. "Wenn das Vertrauen in die Banken so weit erschüttert ist, dass ein Wiederaufbau schwierig ist, könnte dieses Modell schnell viel Zuspruch erhalten."
(Reuters)