Dass das Netz an Schnellladesäulen noch sehr lückenhaft ist, ist bekannt. Ein Selbstversuch mit einem VW ID.3 von Hamburg nach München zeigt nun, dass man manchen Umweg über die Dörfer fahren muss und oft nur abseits der Strecke eine geeignete Lademöglichkeit findet. Defekte Ladesäulen und Wartezeiten an belegten Stationen sollte man ebenfalls einplanen. Die vom Navigationsgerät vorhergesagte Ankunftszeit verschiebt sich dadurch um mehrere Stunden nach hinten.
Los geht es morgens um 6.45 Uhr in Glinde im Osten von Hamburg. Die 77-Kilowatt-Batterie ist zu 90 Prozent geladen. Die angezeigten 439 Kilometer Reichweite entsprechen zwar nicht den 550 Kilometern, die Volkswagen für das Modell verspricht, reichen aber für den Alltag aus. Für die Hinfahrt empfiehlt das Navigationsgerät die Autobahn 7 und errechnet eine Ankunft in München in etwas mehr als acht Stunden - inklusive zwei Ladestopps. Um kurz vor zehn Uhr ist es dann soweit, die Batterie will geladen werden. Den Strom bekommt sie an einer Schnellladesäule in Nörten-Hardenberg. In nur 35 Minuten ist der Akku nachgeladen und zeigt eine Reichweite von 451 Kilometern.
Die Fahrt geht fast lautlos weiter. Nur die Reifen und der Fahrtwind sind zu hören. Bei einer batterieschonend eingestellten Maximalgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde (km/h) liegt der Verbrauch deutlich unter 20 Kilowattstunden. So kann es weitergehen.
Die erste brenzlige Situation kommt, als ein sportlicher Geländewagen mit leistungsstarkem Verbrennermotor von hinten heranrauscht und ganz dicht auffährt. Die 120 km/h des ID beim Überholen eines Lastwagens sind dem SUV-Fahrer offensichtlich zu langsam. Er hat es eilig und setzt sein Fernlicht ein. Dichtes Auffahren und Drängeln kommt bei E-Autos öfter vor, die in der Regel mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit unterwegs sind. Im städtischen Verkehr ist das anders. Da werden E-Autos 3 oft unterschätzt und hängen an der Ampel machen Sportwagen ab.
Fast 22 Stunden hin und zurück
Drei Stunden später will der ID.3 - eines der meistverkauften E-Autos in Deutschland, mit dem die Wolfsburger vor zwei Jahren die Aufholjagd mit Tesla begonnen haben - zum zweiten Mal Strom haben. Das Navi rät zu einem Halt in Erlangens Innenstadt, was ziemlich abseits der Strecke liegt. Alternativen sind rar und das gefühlte Risiko liegenzubleiben gross. Der Akkustand ist zu diesem Zeitpunkt auf 80 Kilometer Reichweite geschrumpft. Die freundliche Stimme des Bordcomputers hat schon davor gemahnt, der Energieverbrauch sei zu hoch. Also runter vom Pedal. Die prognostizierte Ankunft in München liegt zu dem Zeitpunkt bei 16.25 Uhr. Später wird daraus 17.00 Uhr. Zehn Stunden dauert die Fahrt damit, zwei mehr als erhofft.
Für die Rückfahrt wählt der ID die A9 Richtung Leipzig und Halle, danach geht es über Hannover: 806 Kilometer, Ankunft 20.37 Uhr lautet die Vorhersage. Beim ersten Stopp, auf einer Tankstelle in Allersberg kurz vor Nürnberg, etwa zwei Kilometer von der Autobahn entfernt, sind beide Ladepunkte belegt. Erst eine Stunde später kann die Fahrt weitergehen. Die nächste Stromzufuhr folgt nach etwa 200 Kilometern in Triptis in Thüringen, auch dafür muss man von der Autobahn abfahren. Danach sorgt ein Unfall an einer Baustelle dafür, dass sich die vorhergesagte Ankunftszeit in Glinde auf 22.20 Uhr verschiebt.
Auf einer Tankstelle in Bernburg (Saale) funktioniert eine der beiden Schnellladesäulen nicht. Nach einigem Warten und vergeblichem Suchen nach Alternativen ist der ID endlich dran. Kurz danach rollt ein dunkelroter Porsche Taycan Turbo heran und will an der defekten Säule andocken. Den Rat, seinen Sportwagen an die andere Säule neben den ID zu stellen, ignoriert Fahrer. Da müsste er sich "die Leistung der Säule teilen", erklärt er. "Aber danke für den Tipp." Als auch er feststellt, dass die Ladesäule nicht funktioniert, ist er zerknirscht und stellt seinen Wagen nun doch neben das kleinere Elektroauto.
Die frohe Botschaft des Bordcomputers danach lautet: "Auf ihrer Route ist kein weiterer Ladestopp nötig." Die Fahrt kann weitergehen. Bis zur Ankunft kurz nach 23 Uhr vergeht aber noch viel Zeit. Die Erkenntnis des Selbstversuchs lautet daher: Für die Elektromobilität braucht es vor allem eins - Gelassenheit. Und einen raschen Ausbau der Ladeinfrastruktur.
(Reuters)