Die Wahl zwischen Kapital- oder Rentenbezug bei der Pensionierung zählt zu den wichtigsten finanziellen Entscheidungen im letzten Lebensabschnitt. Sie prägt nicht nur die eigene Lebenssituation, sondern auch jene der Nachkommen.
Sie sollte deshalb nicht leichtfertig getroffen werden. Hier weniger bekannte Aspekte rund um Sicherheit, Lebenserwartung und Erbschaft beim Bezug der Vorsorgegelder.
1) Sicherheit vs. Flexibilität
Die Wahl zwischen Kapitalbezug, Rente oder Mischform ist keine Schwarz-Weiss-Entscheidung. Vielfach wird die Rente mit Sicherheit - und der Kapitalbezug mit Flexibilität gleichgestellt. Dies stimmt nur bedingt.
Auch im Kapitalbezug lässt sich Sicherheit schaffen: Man kann das vorhandene Vermögen in einen Einkommens- und in einen Risikotopf aufteilen. Das Einkommen (vergleichbar mit der Rente) wird dann aus dem Einkommenstopf bezogen. Der Pensionär bezahlt sich dann quasi selbst. Der Risikotopf dagegen - Risikokapital genannt - wird investiert.
«Der Vermögensverzehr und die monatliche Selbstzahlung sind für viele Rentner ein neues Gefühl, aber ein ganz normaler Prozess», sagt Andreas Lichtensteiger, Geschäftsführer des Vorsorgeexperten VermögensPartner, zum System des Einkommenstopfes. Der Einkommenstopf sollte jährlich rollend für die nächsten zehn Jahre überprüft und angepasst werden.
Nähert sich der Rentner dann der statischen Lebenserwartung - bei Frauen ist dies laut Bundesamt für Statistik 87,8 Jahre, bei Männern 85,3 Jahre - sollte der Einkommenstopf gegen null sinken. Wird die Lebenserwartung überschritten, muss der Risikotopf dann die Einkommensdefizite übernehmen.
Umgekehrt enthält auch die Rente ein gewisses Mass an Flexibilität. Zwar ist das monatliche Einkommen bis ans Lebensende fixiert, doch besonders bei einem sehr langen Lebensabend dürfte es beim Kapitalbezug knapp werden. In diesem Szenario fährt man mit der Rente besser, denn wenn kein Geld mehr vorhanden ist, ist die Flexibilität auch weg.
2) Massive Selbstüberschätzung
Die Entscheidung ob Rente oder Kapital gleicht - etwas sarkastisch ausgedrückt - einer Wette auf den eigenen Todeszeitpunkt. Dabei hängt vieles von der statistischen Lebenserwartung ab. Stirbt man vorher, ist der Kapitalbezug attraktiver, bei einem langen Leben ist man wiederum mit der Rente im Vorteil.
Roman von Ah, Geschäftsführer beim Vermögensverwalter Swiss Rock, warnt diesbezüglich vor Illusionen punkto Selbstfinanzierung beim Kapitalbezug. Besonders bei Männern ist die Selbstüberschätzung rund um die Erwirtschaftung der benötigten Erträge ausgeprägt. Eine hohe Risikobereitschaft der Männer stellt auch Lichtensteiger von VermögensPartner fest.
Eine Studie von Swisscanto gelangte kürzlich zu einem vergleichbaren Schluss: 42 Prozent der Neupensionierten aus der Finanzbranche entscheiden sich ausschliesslich fürs Kapital. Bei Neurentnern aus anderen Industrien entscheiden sich dagegen weniger als ein Drittel für den reinen Kapitalbezug.
«Der hohe Anteil der Kapitalbezüge in der Finanzbranche lässt die Vermutung zu, dass die Wahl auch von der Finanzkompetenz der einzelnen Versicherten abhängig ist», so ein ZKB-Experte (mehr dazu hier). Ob diese Kompetenzen auch zu den nötigen Überrenditen führen, ist dagegen nicht so sicher.
3) Teures Langleberisiko
Ein Beispiel für die hohen Hürden, im Alter eine genügend hohe Rendite zu erzielen, ist das Langleberisiko: Für Vorsorgeeinrichtungen ist der Kapitalbezug die attraktivere Variante, stellen sowohl von Ah wie auch Lichtensteiger fest. Einerseits ist das Absichern des Langleberisikos teuer, andererseits sind die Pensionskassen mit einem hohen Rentneranteil stark eingeschränkt in der Wahl der Anlagen. Im Niedrigzinsumfeld werfen sichere Anlagen quasi eine Nullrendite ab.
Mit dem Kapitalbezug übertragen sie das Risiko einer potenziellen Finanzierungslücke aufgrund der Langlebigkeit an die Rentner. Für die Vorsorgeeinrichtung ist der Kapitalbezug zudem mit keinen Kosten verbunden. Ein kostenloses Abwälzen eines Risiko ist für einen rationalen Finanzmarktakteur immer attraktiv.
Wie teuer dieses Risiko ist, zeigt der Rentenaufschub: Arbeitstätige können mit der Pensionierung bis zum 70. Lebensjahr warten und erhalten dafür eine rund 30 Prozent höhere Rente. Der Aufschub gilt nicht nur für die AHV, sondern auch für die zweite Säule.
30 Prozent in fünf Jahren entsprechen einer Mehrrendite von rund 5,4 Prozent. Mit sicheren Anlagen wie Staatsobligationen ist dies nicht zu erzielen, höchstens mit Aktien.
Den meisten Rentnern fehlt indes die Risikotoleranz, ihr Kapital vollständig in renditestarke Anlagen zu investieren. Verluste während Marktcrashes zwischen 40 bis 60 Prozent lassen sich im hohen Alter nicht mehr ausgleichen.
4) Ungleiche Kostenstrukturen
Auch die Kosten sprechen in den meisten Fällen gegen einen Kapitalbezug. Für Privatanleger ist es unmöglich, die Kostenstrukturen einer Pensionskasse nachzuahmen. Auf das Vermögen hat dies einen bedeutenden Einfluss.
Laut der jüngsten Swisscanto Pensionskassenstudie verursachten Vorsorgeeinrichtungen in 2024 Verwaltungskosten im Umfang von 0,4 Prozent der Vermögenswerte. Finanzdienstleister, die mit der Bewirtschaftung der Vorsorgegelder beauftragt werden, haben 4 bis 6 Mal höhere Kosten, so von Ah. Ein Gebührenunterschied von jährlich 0,9 Prozentpunkten mindert nach 30 Jahren den Gesamtertrag beispielsweise um rund einen Drittel.
Beispiel: Der «European Growth Fonds» des Vermögensverwalters Jupiter kostet für Privatanleger 2,02 Prozent pro Jahr. Für Investments ab 500’000 Euro sinkt die Gebühr auf 0,95 Prozent pro Jahr - für institutionelle Anleger ab einem Betrag von 1 Million Euro auf 0,91 Prozent. Einen Ausgabeaufschlag gibt es nur für Privatanleger (5 Prozent). Zu diesen Kosten kommen noch Depotgebühren der Bank und Kommissionen dazu - sie sind ebenfalls tiefer für Vorsorgeeinrichtungen.
Jupiter ist keineswegs eine Ausnahme oder ein extremes Beispiel: Die UBS verlangt beispielsweise für den «UBS Tech Opportunity Equity» von Privatanlegern 2,1 Prozent. Die «Q»-Klasse desselben Fonds kostet dagegen 1 Prozent. In der Finanzindustrie sind Skaleneffekte König - und gegen das Volumen einer Pensionskasse kommen die meisten Privatanleger nicht an.
5) Erbe und Steuern
Als Gründe für den Kapitalbezug werden dagegen oftmals Steuern und Erbe genannt. Das gesparte Vermögen will man beim Todesfall nicht verlieren. Doch auch bei diesen beiden Punkten spricht nichts eindeutig für die eine oder andere Variante. Ausnahme sind vor der Pensionierung stark erkrankte Personen.
Zwar wird die Rente zu 100 Prozent als Einkommen versteuert, doch erst nach etwa 20 Jahren ist ein Kapitalbezug steuerlich attraktiver, so Lichtensteiger. Denn das gesamte Kapital wird einmalig zum Zeitpunkt des Bezugs besteuert. Der «Break Even» liegt somit je nach Vermögens- und Einkommensverhältnis knapp über der statistischen Lebenserwartung.
Auch beim Thema Erbschaft ist das Bild gemischt. Zwar ist die Ehegattenrente tiefer als diejenige des oder der Verstorbenen. Bei Ehepartnern mit einem Altersunterschied von über zehn Jahren wird sie bei einigen Pensionskassen zusätzlich gekürzt. Doch bei hohem Alter des überlebenden Partners kann sie sich auszahlen.
Dies hängt jedoch stark vom verfügbaren Vorsorgekapital, der individuellen Lebenserwartung und dem Altersunterschied der betroffenen Personen ab. Aufgrund der Komplexität dieser Thematik sollte für die Beurteilung eine Fachperson beigezogen werden, so Lichtensteiger.
Von Ah von Swiss Rock warnt hingegen vor überhöhten Erwartungen an das vererbbare Kapital. Die Fortführung der gewohnten Lebenshaltung nach der Pensionierung ist seiner Ansicht «ohnehin eine Mär».
Da die reale Inflation über der offiziell ausgewiesenen liegt, dürfte bis zum Todeszeitpunkt weniger Vermögen vorhanden sein als ursprünglich angenommen. Besonders ältere Personen dürfte dies treffen: Die Gesundheitskosten, ein grosser Kostenblock dieser Bevölkerungsgruppe, werden in der offiziellen Inflationsberechnung nicht berücksichtigt. Sie steigen seit über 20 Jahren jährlich um rund 3 Prozent.
Doch das individuelle Sterbealter lässt sich ohnehin nicht vorhersagen, so von Ah. Wer konservativ planen will, sollte deshalb von einem merkbar höheren Alter als der statistischen Lebenserwartung ausgehen. So bleibt im hohen Alter ausreichend Liquidität - und allenfalls auch noch etwas für die Nachkommen.
8 Kommentare
Der Kapitalbezug ist sicherlich keine valide Alternative für ungeübte Kapitalanleger ohne einschlägiges Fachwissen. Insofern überrascht mich die aktuell hohe Quote für den Kapitalbezug tatsächlich.
Andererseits lassen sich Dinge wie das Langlebigkeitsrisiko absichern.
Die Verwaltungskosten sind kein Problem, so lange die Erträge stimmen. Auch hier kommt es wieder auf das einschlägige Fachwissen des Anlegers an und seine Bereitschaft, sich intensiv um die Vermögensverwaltung zu kümmern.
Jedem, bei dem diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, empfehle ich den Rentenbezug. Allerdings schätze ich auch die Freiheit, die Vermögensverwaltung in die eigenen Hände nehmen zu können.
Zu Punkt 4: In der heutigen Zeit gibt es keinen Grund mehr, in überteuerte aktive Fonds zu investieren. Es gibt unzählige ETFs & Indexfonds, die Kosten zwischen 0.1-0.3% p.a. haben. Dazu noch eine günstige Depotbank, sprich keine UBS, Raiffeisen, KB etc. sondern Swissquote, Saxo, IBKR (keine Stempelsteuer!), evtl. VZ. Damit lassen sich die Gesamtkosten auf das Niveau einer PK senken!
Bin völlig einverstanden. Ich würde auch noch Degiro / Flatex hinzufügen. Allerdings funktioniert das Anlegen im Do It Yourself Modus nur solange man geistig fit ist. Ich überlege mir deshalb, einen Robo Advisor zu nehmen, der mir jeden Monat eine bestimmte Summe auszahlt, wie eine Rente oder ein Salär. Auch hier gibt es sehr preiswerte Angebote im Schweizer Markt. Ich müsste mich folglich nicht mehr um die Asset Allokation und das regelmässige Rebalancing kümmern. Ich würde die Aktienquote festlegen und dann den Robo Advisor arbeiten lassen.
Was mich übrigens immer wieder nervt, sind die Depotgebühren. Die gehören bei den etablierten Banken längst abgeschafft. Die Zeiten sind längst vorbei, als man die Dividenden oder Zinscoupons "manuell" einfordern musste. Alles ist heutzutage digitalisiert. Wo nehmen die Banken die Rechtfertigung für diese Gebühren? In Deutschland, wurde mir berichtet, verrechnet keine Bank mehr Depot- oder Verwahrungsgebühren.
Die Depot- und besonders auch die Transaktionsgebühren sind vor allem in der Schweiz ein Problem, aber niemand ist gezwungen, eine schweizerische Depotbank zu nutzen. Es gibt weitaus günstigere Alternativen im deutschsprachigen Ausland. Dort entfällt dann auch die schweizerische Umsatzabgabe („Börsenumsatzsteuer“).
....einer Wette auf den eigenen Todeszeitpunkt. So ist es. Der Kapitalbezug ist, hat man nicht Millionen, quasi russisch Roulette. Die Rente hat man, solange man lebt. Das Kapital und die "Erträge" (?) werden mathematisch auf einen Todeszeitpunkt berechnet. Lebt man länger, greift man am besten zum Revolver oder zum Formular Ergänzungsleistungen. - Die Bänkler spielen gerne russisch Roulette - nicht mit sich selbst, sondern nur mit der Bank und mit den Kunden, wenn sie an ihnen verdienen. Mit der Rentenwahl verdienen sie nichts, mit dem Kapitalbezug jedoch einen Haufen Geld, wovon ein Teil in die Altersvorsorge und in den Bonus der Bänkler fliessen. Deshalb empfehlen sie ihren Kunden regelmässig russisch Roulette.
Unerträglich der Gedanke, dass die Kohle mit 85 aufgebraucht ist, passt aber in die heutige Zeit. Die Rente ist die versicherungstechnisch einzig richtige Lösung. Der Gesetzgeber sollte den Kapitalbezug auf etwa 10% beschränken.
Im Gegensatz dazu wählen immer mehr das Kapital. Die negativen Folgen werden erst in Jahren spürbar werden.
Ich denke ich, dass der Kapitalbezug den Banken gelegen kommt. Allerdings gibt es mittlerweile Angebote, die deutlich preiswert sind. Auch bei den Produkten hat sich viel getan. Ich empfehle, dass man sich gründlich mit den Anlageformen befasst. Nur Unwissende lassen sich von Banken teure Produkte und Dienstleistungen andrehen.
... genau mit dieser Aussage machen Sie eine Wette, dass Sie das statistische Alter überschreiten werden. Schön wenn man das schon im Vorfeld weiss.
Was empfehlen Sie den künftigen Pensionären (verheiratet und zwei erwachsene Kinder), wenn die wissen, dass der Mann mit 72 Jahren das zeitliche segnen wird, die PK dann danke sagt und der überlebenden Ehefrau nur noch eine massiv abgeschwächte Rente auszahlt.
Was empfehlen künftigen Pensionären, wenn die wissen, dass diese, durch einen tragsichen Unfall, zu früh aus dem Leben gerissen werden (und das ist beileibe nicht zu hoffen) und die PK den Kindern nur noch ein schönes Restleben wünscht.
Kapitalbezug ist nicht per se auszuschliessen. Es gibt handfeste Interessen. Es sind nicht alles Hassardeure die den Kapitalbezug machen.
Eine Minimalrente aus der 2. Säule müsste obligatorisch sein, z.B. 2.000 CHF monatlich. Nur die darüber liegenden Guthaben könnten als Kapital bezogen werden. Im BVG steht schon heute, dass Versicherte nur Anspruch auf 25% Kapitalbezug haben, aber das gilt nur für das Obligatorium und kann selbst dort leicht ausgehebelt werden.