Wenn es stürmt und rumort, wenn es knarrt im Börsengebälk, dann erkennt man die wirklich soliden Werte. Das gilt auch für den Schweizer Aktienmarkt. Die hiesige Börse blickt auf einen miserablen Jahresstart zurück, der Swiss Performance Index (SPI) steht 9 Prozent im Minus. Nicht so die ausserbörslich gehandelten Aktien, die auch unter dem Kürzel OTC für "over the counter" ("über den Ladentisch") bekannt sind. Gemessen am OTC-Liquidity-Index hat dieses Segment dem negativen Trend bislang widerstanden und kaum an Wert verloren, wie die untere Grafik zeigt.
OTC-Liquidity-Index (rot) und SPI (lila) seit Anfang 2016, Quelle: cash.ch
Verantwortlich dafür sind in erster Linie zwei Faktoren: Einerseits ist der Markt für Nebenwerte von langfristigen Anlegern geprägt, die nicht auf jede Nachricht reagieren. "Zudem sind oft prozentuale Mehrheiten der Gesellschaften in festen Händen", sagt Thomas Brunner, der bei Lienhardt & Partner Privatbank für den ausserbörslichen Handel verantwortlich ist. Dadurch ist der Anteil frei verfügbarer Aktien teilweise tief, was sich auch auf die gehandelten Volumen auswirkt.
Weil die nichtkotierten Aktien nicht über die Börse, sondern über spezielle Plattformen gehandelt werden, heissen sie eben auch over the counter. Unter diesen Titeln gibt es einige, die von der Performance her problemlos mit den erfolgreichsten SPI-Aktien mithalten können. Im laufenden Jahr fallen beispielsweise die Bergbahnen SBA Sportbahnen (Bergün Filisur) und die Bergbahn Mundaun auf. Sie haben ihren Aktienkurs mehr als verdoppelt. Gleichzeitig wurden sie aber sehr selten gehandelt. Ein Ausschlug in die negative Richtung kann demnach ebenso rasch erfolgen.
Ein häufiger Handel im ausserbörslichen Bereich bedeutet zwischen 30 und 40 Abschlüssen in einem Monat. Das war unlängst bei der Berner Warenhaus- und Immobiliengruppe Loeb der Fall. Ein Grund für die Beliebtheit der Loeb-Aktie ist ihr Abschied von der Schweizer Börse im letzten Oktober. Viele Firmen wechseln derzeit vom kotierten in den nicht kotierten Handel. "Diese Aktien werden meistens vergleichsweise rege gehandelt", sagt Thomas Brunner von Lienhardt & Partner. Im Gegenzug nehme ihre Volatilität merklich ab.
Gilt die alte These noch?
Unter den liquidesten Nebenwerten, wie sie der OTC-Liquidity-Index abbildet, gibt es eine Handvoll Aktien, die im laufenden Jahr eine Performance von 10 oder mehr Prozent aufweisen. Dazu gehören Säntis Schwebebahn, Neue Zürcher Zeitung und Schilthornbahn. Aber auch die Versandapotheke Zur Rose. Die Firma ist zu Europas führender Versandapotheken-Gruppe aufgestiegen und liebäugelt mit dem Gang auf das Börsenparkett.
Lange galt für OTC-Aktien die These, sie würden mit einer Verspätung von sechs bis zwölf Monaten die Bewegungen des "normalen" Aktienmarktes nachvollziehen. Doch wenn man fünf Jahre zurückblickt, fällt auf: Der SPI-Kurs hat sich in dieser Zeit zwischenzeitlich mehr als verdoppelt, während der Index für die liquidesten OTC-Aktien vor allem seitwärts lief.
Heisst das, dass der Markt für Nebenwerte auch nach oben begrenztes Potenzial hat? "Anhand der gehandelten Volumen und bei Einzelpositionen konnten wir sehen, dass das Interesse an den ausserbörslich gehandelten Aktien mit der bekannten Zeitverzögerung zugenommen hat", sagt Andreas Langenegger, Aktienspezialist bei der Berner Kantonalbank (BEKB).
Ein sehr fragmentierter Markt
Doch mit seinen mehr als 300 Titeln ist der OTC-Markt einiges fragmentierter als der Schweizer Hauptmarkt. Das heisst, der OTC-Markt kann kaum als Gesamtheit, sondern muss nach Branchen mit guten und eher schlechteren Aussichten differenziert betrachtet werden.
Die Industrie hat durch die Frankenstärke sehr gelitten, habe ihre Kosten nun aber im Griff, so dass mittelfristig wieder eine gute Entwicklung möglich sei, sagt Nebenwerte-Spezialist Langenegger. "Skeptisch sind wir bei den Bergbahnen mit einem starken Wintergeschäft und in Destinationen, die bisher stark auf Gäste aus dem Euroraum gesetzt haben." Auch stellt sich die Frage, welche Auswirkungen ein weiterer Wirtschaftsabschwung in China für Schweizer Bergbahnen und Hotels hätte.
Viele Aktienmärkte profitierten in der Vergangenheit von der ultralockeren Geldpolitik der Zentralbanken. Solange die Geldschleusen geöffnet blieben, stiegen die Indizes an. Doch in die Nebenwerte floss dieses Geld kaum. Einerseits sind Grossinvestoren wie Anlagefonds oder Pensionskassen in diesem Marktsegment nicht vorhanden. Andererseits habe das Stock-Picking im OTC-Markt an Bedeutung gewonnen, wie Langenegger sagt.
Und noch etwas dämpft die Performance von Schweizer Nebenwerte-Indizes. Anders als der SPI sind sie reine Preisindizes, enthalten die Dividenden also nicht. Würden die Dividenden miteinbezogen, wäre die ausgewiesene Performance deutlich besser.