«Die Pensionskassen dürfen nicht erneut Opfer negativer Zinsen werden», warnte Peter Hofmann, Präsident der Sammelstiftung tellco pk, kürzlich in einem offenen Brief an die Schweizerische Nationalbank (SNB). Die Altersvorsorge dürfe nicht unter den geldpolitischen Zügeln der Nationalbank leiden. Damit ging der Präsident einer grossen Schweizer Sammelstiftungen im Vorfeld der Zinssitzung der SNB am 19. Juni in die Offensive - und heizte damit die Diskussionen um die geldpolitische Ausrichtung der SNB an (cash.ch berichtete hier).

Die offensichtliche Nervosität Hofmanns ist nicht unbegründet. Denn SNB-Präsident Martin Schlegel betont seit seinem Amtsantritt im Herbst des letzten Jahres fast bei jedem öffentlichen Auftritt, dass die Nationalbank nötigenfalls erneut Negativzinsen einführen werde  - obschon sie niemand in der Schweiz möge, auch die SNB nicht.

Dabei hat sich die SNB schon nahe an die Schwelle zum negativen Terrain heranbewegt. Aktuell beträgt der Leitzins 0,25 Prozent, und viele Experten gehen davon aus, dass Minuszinsen noch vor Ende Jahr erneut Tatsache werden.

Schon zum Jahreswechsel 2014/2015 hiess es: «Die Nationalbank führt Negativzinsen ein», so der Titel der SNB-Medienmitteilung von damals. Die Massnahme sollte gegen den stärker werdenden Franken greifen, wirkte sich aber weiter als nur auf den Devisenmarkt aus: «Die von der SNB erhobenen Negativzinsen erschweren die Anlagetätigkeit für die Pensionskassen», antwortete der Bundesrat auf einen parlamentarischen Vorstoss.

Dieser fragte nach Vorschlägen zu «rentenstützenden Massnahmen». Die Landesregierung sah aber nicht sich selbst, sondern die Vorsorgeeinrichtungen in der Verantwortung. Sie müssten ihre Portfolios entsprechend diversifizieren und Massnahmen ergreifen, um eine marktkonforme Rendite zu erwirtschaften.

Das Problem war erkannt, konnte aber nicht so einfach behoben werden. «Es gibt kein Allheilmittel zur Umgehung der negativen Zinsen», schrieb das Beratungsunternehmen PPC Metrics in einem Papier von 2015, das sich mit den Folgen der Negativzinsen für die Pensionskassen befasste.

Was darin steht, gelte grundsätzlich nach wie vor - doch die Ausgangslage habe sich verändert, sagt Lukas Riesen, Experte von PPC Metrics, im Gespräch mit cash.ch. «Erstens haben die Kassen in den letzten Jahren Leistungen und Bewertungszinsen angepasst. Zweitens ist die durchschnittliche finanzielle Situation der Vorsorgeeinrichtungen besser.»

Drittens, so Riesen weiter, hätten einzelne Kassen die letzten Jahre genutzt und sich explizit mit entsprechenden Vermögensanlagen auf Tiefzinsphasen vorbereitet. Und viertens bestehe generell eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Negativzinsen.

Probleme vor allem wegen langfristiger Verzinsung

Was man zunächst sagen kann: Der SNB-Leitzins wirkt sich auf das Liquiditätsmanagement der Pensionskassen aus. Zwischen 2014 und 2021 haben sie den Anteil flüssiger Mittel an den Gesamtanlagen von 4,6 auf 3,1 Prozent reduziert, wobei die eingeführten Negativzinsen eine Rolle gespielt haben dürften, wie die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge in einem ihrer Berichte feststellte.

Die Kassen werden aber nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch die SNB-Geldpolitik belastet. In der zurückliegenden Minuszinsphase haben Banken negative Raten auf grössere Geldbeträge angewendet. Ab einer gewissen Freigrenze mussten die Vorsorgeeinrichtungen für ihre Einlagen bezahlen. Sie haben ihre Liquidität daraufhin auf mehrere Konten verteilt und sich so der Negativverzinsung entzogen.

Das gelang aber nur vorübergehend. Denn im Gegenzug sank die Freigrenze, wodurch das Splitting auf mehrere Konten gehemmt wurde. Ausserdem bieten auch Festgelder und Geldmarktfonds in einem Tiefzinsumfeld keine echten Alternativen.

Negativzinsen auf kurzfristigen Anlagen seien für Pensionskassen unangenehm, sagt Lukas Riesen. Viel wichtiger als die kurzfristigen Zinsen sei aber das Zinsniveau für langfristige Anlagen mit einem Horizont von einem Jahr bis mehreren Jahrzehnten. «Tiefe langfristige Zinsen sind für die Pensionskassen ein Risiko. Denn der überwiegende Teil der Verpflichtungen der Pensionskassen ist langfristig und dementsprechend ist das langfristige Zinsniveau von grosser Bedeutung.»

Auf dieses lange Ende der Zinskurve hat die SNB nur beschränkt Einfluss. Sie gibt mit dem Leitzins zwar das allgemeine Zinsniveau vor, doch bei langen Laufzeiten spielen auch Angebot und Nachfrage sowie Risiko- und Inflationserwartungen eine wichtige Rolle. Und im Normalfalls sind die Renditen mehrjähriger Anleihen höher als die Renditen der kurzfristigen.

Rückblickend darf man sich aber nichts vormachen: In der letzten Nagativzinsphase waren auch die Renditen der zehnjährigen Bundesobligationen über weite Strecken tiefer als null Prozent, oder sie waren nur knapp im positiven Bereich.

Das stellt vor allem Anleger, die wenig Risiko eingehen können oder wollen, vor Herausforderungen. Übertragen auf die Pensionskassen heisst das: «Besonders betroffen von tiefen Zinsen sind Kassen mit einem hohen Anteil an Verpflichtungen gegenüber Rentnern», sagt Riesen von PPC Metrics.

Er spricht von sogenannten Rentnerkassen. Sie haben einen hohen Bestand an Rentenbezügern im Verhältnis zu den aktiv Versicherten. Und nicht alle von ihnen verfügten, so Riesen, über die Risikofähigkeit, um von Anleihen auf Aktien und Immobilien auszuweichen.

Für Kassen mit einem geringen Rentneranteil sind die Herausforderungen etwas kleiner, jedoch bleibt auch für diese Kasse die Situation unangenehm, wie der Experte sagt. «Denn auch unter ihnen hat nicht jede Kasse die Risikofähigkeit und -bereitschaft von zinstragenden Anleihen in nicht verzinste Anlagen wie Aktien und Immobilien umzuschichten. In vielen Fällen ist der Spielraum schon ausgeschöpft.» Zudem ist gerade bei Immobilienanlagen das Angebot in der Schweiz beschränkt.

Im Unterschied zur Situation vor zehn Jahren haben die Kassen heute Erfahrung mit Negativzinsen. Sie sind auch aufgrund von Leistungsanpassungen der vergangenen Jahre besser vorbereitet, sollte SNB-Präsident Martin Schlegel die unpopuläre Massnahme verkünden. Doch es gilt, so Lukas Riesen: «Je höher die Umwandlungssätze, desto mehr muss von der erwirtschafteten Rendite für die Rentenleistungen verwendet werden und desto weniger bleibt für die Verzinsung der Sparkapitalien der aktiven Versicherten übrig.» Dieses Spannungsfeld nehme durch tiefe und negative Zinsen zu.

Reto Zanettin
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