‹Sell in May and go away, but remember to come back in September›, lautet eine alte Börsenweisheit. Wie gut passt der Spruch in diesem Jahr?

Fabio Abdo: Der US-amerikanische und europäische Markt hat sich seit Ende Mai um rund 5 Prozent erholt. Insofern passt der Spruch in diesem Jahr noch nicht wirklich. Chinesische Aktien waren aufgrund bestimmter staatlicher Massnahmen schwach. Für viele Anleger macht es aufgrund der Transaktionskosten und Steuern, die beim Kauf und Verkauf von Aktien in einem kurzen Zeitfenster anfallen, keinen Sinn, auf kurzfristige saisonale Faktoren zu setzen.

Der chinesische Aktienmarkt wird auch für immer mehr Anlegerinnen im Westen zum Thema. Wie stehen Sie zu Investitionen an Chinas Börsen?

Was China betrifft, so denke ich, dass kurzfristige Schwierigkeiten aufgrund staatlicher Eingriffe die Ergebnisse und die Stimmung belasten, was einige Quartale andauern könnte. Langfristig gesehen handelt es sich jedoch um eine grosse Volkswirtschaft, die weltweit weiterhin von Bedeutung sein wird.

Die Aktienmärkte sind sehr hoch bewertet. Was für Investitionen bieten sich derzeit am ehesten als Alternative dazu an?

Da die Aktienmärkte Rekordhöhen erreichen und die Anleihemärkte wenig bis gar keine Rendite bieten, ist ein diversifiziertes Portfolio der Schlüssel zur Sicherung künftiger Erträge. Die Aufnahme von Anlageklassen, die weniger mit den traditionellen Finanzmärkten korrelieren, kann Ihrem Portfolio erhebliche Vorteile bringen.

Wechseln wir zum allgemeinen Börsengeschehen: Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?

Es gibt zwei spürbare Auswirkungen auf die Märkte, beide mit dauerhaften Folgen. Erstens haben sich Trends, die sich bereits in den Jahren vor der Krise abzeichneten, verstärkt und beschleunigt, beispielsweise im Bereich Online-Shopping, Fernunterricht und künstliche Intelligenz. Zudem hat sich das Leistungsgefälle zwischen bereits vorhandenen Technologien vergrössert. Zweitens kann die Bereitschaft der Regierungen, beträchtliche und anhaltende Haushaltsdefizite zu verzeichnen, dazu beitragen, die Rentabilität der Unternehmen auf einem hohen Niveau zu halten. Was die Aktienmärkte betrifft, so stehen sie noch immer unter dem Einfluss der Coronavirus-Krise. Betrachtet man einzelne Aktien/Sektoren, so zeigt sich, dass Sektoren, die mit dem Reiseverkehr zu tun haben, in letzter Zeit aufgrund des Wiederauftretens des Delta-Virus unterdurchschnittlich abgeschnitten haben.

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?

Wir haben dazu keine isolierte Meinung, sehen aber, dass die Schweizer Börse einen höheren Prozentsatz an Unternehmen aus dem Gesundheitssektor aufweist. Dieser hat sich in letzter Zeit gut entwickelt, da die Zinssätze gesunken sind. Ein weiterer Grund ist vielleicht, dass der globale Gesundheitssektor aufgrund der Reaktion auf die Coronavirus-Krise insgesamt besser abschneidet.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?

Die Konsenserwartungen auf 12-Monats-Sicht liegen bei etwa 10 Prozent Rendite für europäische Aktien. Ich würde wahrscheinlich einen Abschlag für den SMI vornehmen, da er aufgrund des Engagements im Gesundheitswesen und bei Basiskonsumgütern ein geringeres Beta aufweist.

Fabio Abdo hat die Fragen schriftlich beantwortet.

Dieser Beitrag erschien (in einer längeren Version) zuerst auf handelszeitung.ch unter dem Titel «Historisch gesehen ist Tesla eine volatile, gute Investition».