Der Anstieg des Handels mit kurzfristigen US-Aktienoptionen hat das Potenzial, den Märkten einen Volatilitätsschock zu versetzen, der dem "Volmageddon"-Crash von 2018 nicht unähnlich ist, warnte der Chefstratege für globale Märkte von JPMorgan, Marko Kolanovic, am Mittwoch. 2022 hatte er trotz sinkender Kurse noch lange Optimismus für Aktien verbreitet. Erst gegen Jahresende wurde er langsam defensiver. Jetzt warnt er vor einer deutlichen Marktkorrektur.

Die "Volmageddon"-Episode vom Februar 2018 ist einer der bekannteren Fälle, in denen die Dynamik an den Derivatemärkten auf ihre Basiswerte, in diesem Fall Aktien, übergriff. Die Hauptschuldigen waren börsengehandelte Fonds, die den Anlegern den Kehrwert der Aktienvolatilität zahlen sollten. So ging im Februar 2018 ein Volatilitäts-ETN (Exchange Traded Note) namens "VelocityShare Daily Inverse VIX Short Term ETN" inmitten eines Anstiegs der Marktvolatilität pleite, ein Ereignis, das fast 2 Milliarden Dollar an Vermögenswerten der Anleger mit sich riss.

Die jüngste Verbreitung von Optionen mit einer Laufzeit von null Tagen - im Branchenjargon als 0DTE bezeichnet - hat ein ähnliches Potenzial, den Markt in Schräglage zu versetzen, so der Stratege. Nach Schätzungen seines Teams beläuft sich das tägliche Nominalvolumen solcher kurzfristigen Optionen auf rund 1 Billion Dollar. cash.ch hat hier über den Anstieg der Wetten mit ultrakurzen Optionen berichtet.

Risiko liegt bei den Optionshändlern

Als die Turbulenzen an den Aktienmärkten 2018 zunahmen, löste dies einen Schneeballeffekt aus, der schliesslich viele dieser Volatilitäts-Strategien in die Wertlosigkeit stürzte und zu einem Einbruch des S&P 500 um 10 Prozent innerhalb von zwei Wochen beitrug. Jetzt schlägt Kolanovic den wahrscheinlich lautesten Alarm in Bezug auf 0DTE-Optionen, deren explosionsartiger Anstieg seit Mitte 2022 oft dafür verantwortlich gemacht wird, dass die Bewegungen der zugrunde liegenden Vermögenswerte verstärkt werden.

"Die Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich oft", schrieb Kolanovic in der Mitteilung an seine Kunden. Der Verkauf dieser "täglichen und wöchentlichen Optionen hat einen ähnlichen Einfluss auf die Märkte".

In den Augen von Kolanovic liegt das Risiko bei den Optionshändlern, die die andere Seite der Geschäfte übernehmen und Aktien kaufen und verkaufen müssen, um eine marktneutrale Position zu halten. Da 0DTE-Optionen nur selten ins Geld kommen, wirkt sich ihr Einfluss auf den Markt laut Kolanovic vor allem durch die Unterdrückung der Volatilität und ein Intraday-Buy-the-Dip-Muster aus, das aus der Absicherung resultiert. 

Sollte der Markt jedoch eine grosse Bewegung vollziehen, der diese Kontrakte ins Geld bringt, wären die Optionshändler gezwungen, einen grossen Teil ihrer Positionen aufzulösen, warnt der Stratege.  An einem grossen Abwärtstag würden solche Intraday-Verkäufe seinem Modell zufolge bis zu 30 Milliarden Dollar erreichen. "Diese Ströme könnten die Märkte angesichts der derzeit geringen Liquidität besonders belasten", schrieb Kolanovic weiter.

Während des Meme-Wahns im Jahr 2021 wurden 0DTE-Optionen zunächst von Privatanlegern gekauft, doch inzwischen sind sie auch bei grossen Vermögensverwaltern beliebt. In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 machten solche Optionen mehr als 40 Prozent des gesamten Handelsvolumens des S&P 500 aus, wie Daten der Goldman Sachs zeigen. Das ist fast doppelt so viel wie sechs Monate zuvor.

(Bloomberg/cash)