Tesla hat die Reichweitenangaben für seine gesamte Autopalette gesenkt. Der E-Auto-Pionier reagierte damit auf neue Vorschriften der US-Behörden für entsprechende Messungen nach Meldungen der Nachrichtenagentur Reuters, Expertenberichten und Kundenbeschwerden über optimistische Schätzungen zur Reichweite. Die Änderungen ergaben sich aus einem Reuters-Vergleich der gegenwärtigen Angaben auf der Website des US-Konzerns mit früheren abgespeicherten Versionen. Eine Stellungnahme von Tesla lag zunächst nicht vor. Die Änderung setzte den Aktienkurs des Unternehmens von Elon Musk im Verlauf an der New Yorker Börse unter Druck.

Einige der Änderungen sind vergleichsweise klein. Bei dem Model X Plaid wurde etwa die geschätzte Reichweite von 333 Meilen (knapp 536 Kilometer) auf 326 Meilen gesenkt. Bei dem Model S Plaid ging dagegen der von Tesla angegebene Wert von 396 auf 359 Meilen zurück. Reuters konnte nicht feststellen, ob jede Untervariante jedes Modells von den Änderungen betroffen ist. Die neuen Vorschriften der US-Umweltbehörde EPA für 2024 schreiben vor, dass die erwartete Reichweite von E-Autos nach ihrem «Default»-Modus angegeben wird, also die Einstellung, die das Fahrzeug nach dem Einschalten einnimmt. Gibt es keinen solchen Modus, muss ein Mittelwert zwischen dem besten und schlechtesten Fall gebildet werden.

Die EPA hatte die neuen Vorschriften im Jahr 2022 beschlossen. Auch die anderen E-Auto-Bauer sind davon betroffen. Ein Ford-Sprecher sagte jedoch, die Schätzungen für die E-Modelle des US-Konzerns - darunter der F-150 Lightning Pickup - seien nicht geändert worden. Stellungnahmen von GM und Hyundai lagen zunächst nicht vor. Der Chefredakteur der Fachzeitschrift Edmunds, Alistair Weaver, wertete die Änderungen von Tesla als wichtigen Schritt für Autokäufer. «Alle acht von uns getesteten Tesla-Fahrzeuge haben die EPA-Schätzungen nicht erreicht», sagte er zu der bisherigen Norm. Ihm pflichtete der Chef der Analyse-Firma Recurrent, Scott Case, bei: Teslas Schätzungen seien in der Vergangenheit «um 30 Prozent oder mehr optimistischer gewesen als die tatsächliche Reichweite der Fahrzeuge».

Tesla-Sonerteam sollte Kunden abwimmeln

Die Reichweite eines E-Autos gehört insbesondere in den USA zu den wichtigsten Kriterien für Verbraucher, welches Fahrzeug sie kaufen oder ob sie sich überhaupt ein E-Auto zulegen. In dem Land mit der gut 27-fachen Fläche der Bundesrepublik wird der Begriff «range anxiety» - auf Deutsch etwa «Reichweitenangst» - für die Sorge verwendet, ob man es zur nächsten Ladesäule schafft. Reuters hatte im Zuge der Recherchen im Sommer von Insidern erfahren, dass Tesla aus Marketinggründen den Fahrern bewusst «rosige» Prognosen für die Entfernung anzeigen liess. Zudem sei 2022 heimlich ein spezielles «Diversion Team» gebildet worden, um Kunden mit Beschwerden zur Reichweite daran zu hindern, einen Wartungstermin in Anspruch zu nehmen. Tesla hatte eine Stellungnahme zu dem Reuters-Bericht abgelehnt.

Der Autor einer der Studien zur Reichweite von E-Autos, der Industrie-Veteran Gregory Pannone, betonte damals, er werfe Tesla nicht Betrug vor. Die Firma sei einfach am «aggressivsten» dabei, die Reichweite nach den gängigen EPA-Vorschriften zu berechnen. Tesla führe zudem bei allen Modellen zusätzliche Reichweitentests durch. Im Gegensatz dazu verliessen sich viele andere Autohersteller, darunter Ford, Mercedes und Porsche, auf eine Formel der EPA, um die potenzielle Reichweite ihrer E-Autos zu errechnen, wie aus Daten für 2023er Modelle hervorgehe. Dies führe meist zu konservativeren Schätzungen. 

(Reuters)