Seit jeher gehört die Inflation zu den Dauer- und vor allem Reizthemen wirtschaftspolitischer Diskussionen. Kommt sie oder kommt sie nicht? Und wenn ja, wie stark wird sie ausfallen? Ernüchternd kann man feststellen, dass zutreffende Inflationsprognosen wohl zu den schwierigsten Unterfangen überhaupt in der Konjunkturforschung gehören. “In den 30 Jahren, in denen ich in der Finanzbranche tätig bin, lagen die Leute mit ihren Inflationsprognosen eigentlich immer falsch”, sagt passend dazu Thomas Lehr von der Vermögensverwaltung Flossbach und Storch gegenüber der “FAZ”. 

Entsprechend vorsichtig sind daher Inflations-Untergangsszenarien zu interpretieren, die in diesen Wochen und Monaten wieder verstärkt durch die Medien geistern. Trotzdem drängt sich das Thema Inflation für Anlegerinnen und Anleger derzeit zunehmend auf. Denn kurzfristig, da sind sich Expertinnen und Experten einig, wird die Wiedereröffnung der Wirtschaft (“Reopening”) einen Inflationsschub bringen. Teilweise ist dieser sogar bereits da. So stiegen in der Eurozone im April die Konsumentenpreise mit 1,6 Prozent so stark wie seit zwei Jahren nicht mehr. 

Inflation per se nicht schlecht für Aktien

Dabei ist es gar nicht mal entscheidend, wie stark die Inflation nun tatsächlich ausfallen wird und ob uns nun eine lange Periode steigender Konsumentenpreise bevorsteht. Im Depot machen sich kurzfristig bereits ein paar wenige Prozentpunkte mehr bemerkbar. Dies umso mehr, als dass der Markt Inflation seit der Finanzkrise von 2008 praktisch gar nicht mehr kennt. Wie gehe ich als Anlegerin oder Anleger mit dieser Situation nun um?

Die gute Nachricht: Inflation ist für Aktien per se nichts Schlechtes. Entscheidend ist, in was man investiert ist. Anleger, die breit im Markt investiert sind, etwa durch ETF oder Fonds, müssen sich weniger Gedanken machen. Hier bietet sich es sich allenfalls an, zu prüfen, ob man (zu) stark auf “gehypte” Themen-ETF gesetzt hat. Also Fonds, in denen Aktien von Unternehmen stecken, die zwar viel Hoffnungen mitbringen, aber noch kein Geld verdienen. Diese Aktien kommen bei inflationären Tendenzen als Erste unter Druck. 

Gänzlich anders ist die Lage für Anleger, die überwiegend Einzel-Aktien im Depot haben. Hier empfiehlt es sich, das Depot einem grundlegenden Check zu unterziehen: Ist es genügend diversifiziert? Sind möglichst viele Branchen im Depot vertreten? In einem einigermassen inflationssicheren Depot sind Aktien von Unternehmen im Vorteil, die ihre Preise schnell anpassen können und im Idealfall über eine gewisse Preissetzungsmacht verfügen. 

Konsumgüter-Aktien im Vorteil, Vorsicht bei Wachstums-Titeln 

Diese Kriterien erfüllen insbesondere Konsumgüter-Aktien. Für grosse Konsumgüterkonzerne kann eine moderate Inflation von ein paar Prozentpunkten sogar positiv sein. Produkte von Nestlé, Johnson & Johnson, Procter & Gamble oder Unilever werden täglich gebraucht. Zudem verfügen deren Marken über eine derart starke Marktstellung, dass die Unternehmen die Inflation direkt an die Kunden weitergeben können - mittels Preiserhöhung. Der Kaffee von Nestlés Nespresso wird auch bei einer moderaten Preiserhöhung getrunken, genauso wie sich mit der Signal-Zahnpasta von Unilever weiterhin die Zähne geputzt wird. Anleger sind also insbesondere bei den grossen Marktführern gut aufgehoben. 

Problematischer wird es für Wachstums-Titel, wenn sich eine steigende Inflation andeutet. Das gilt insbesondere für Firmen, in denen noch viel Zukunftsmusik steckt und noch kein Geld verdient wird. Diese Unternehmen brauchen viel Kapital, welches sich bei inflationären Tendenzen verteuern kann. Das Problem: Sobald sich eine Inflation andeutet, kommen am Markt umgehend Spekulationen auf, dass die Notenbanken bald in Form von Zinserhöhungen reagieren könnten. Ob das dann wirklich der Fall sein wird, ist fast schon nebensächlich. Wichtig ist, dass der Markt diese Gefahr zumindest in Teilen einpreist und damit hoch bewertete Wachstumsaktien unter Druck setzt. 

Depot anpassen, aber nicht auf den Kopf stellen

Als Extrembeispiel wären hier Unternehmen zu nennen, die ausschliesslich im Wasserstoff-Sektor aktiv sind wie etwa Plug Power, Ballard Power oder Nel. Für diese Firmen macht es einen grossen Unterschied, ob die Kapitalbeschaffung ein, zwei oder gar drei Prozent oder mehr kostet. Aber auch für etabliertere Wachstumsunternehmen wie die Online-Apotheke Zur Rose, die die Gewinnschwelle noch nicht überschritten hat, sind inflationäre Tendenzen belastend. Anders verhält es sich bei den grossen Tech-Unternehmen. Diese wachsen zwar ebenfalls mit grosser Geschwindigkeit, sind allerdings auch wahre Cash-Maschinen, was ihnen bei einer Inflation zugute kommt. 

Sollen Anlegerinnen und Anleger nun Wachstumsaktien aus dem Depot werfen und alles in Nestlé und Unilever stecken? Selbstverständlich nicht. Das ganze Depot gänzlich auf Konsumgüter-Aktien auszurichten wäre ebenso eine Spekulation und wiederum kaum diversifiziert. Doch es dürfte sich lohnen, bei der einen oder anderen Wette mit spekulativen Wachstums-Aktien Gewinne mitzunehmen. Mit dem verdienten Geld kann man sich anschliessend das eine oder andere Konsumgüter-Unternehmen mit guter Marktstellung und Preissetzungsmacht ins Depot legen.