Der Chipausrüster ASML Holding ist so bedeutend, dass Schwankungen in seiner Geschäftsentwicklung sowohl die niederländische Volkswirtschaft als auch die weltweite Entwicklung künstlicher Intelligenz beeinflussen können. Nun hängt einer der grössten Expansionspläne des Unternehmens - der Bau eines neuen Campus mit bis zu 20'000 Arbeitsplätzen in der Region Eindhoven - davon ab, ob ASML überhaupt einen Stromanschluss erhält.

Der Chipausrüster ASML Holding ist so bedeutend, dass Schwankungen in seiner Geschäftsentwicklung sowohl die niederländische Volkswirtschaft als auch die weltweite Entwicklung künstlicher Intelligenz beeinflussen können. Nun hängt einer der grössten Expansionspläne des Unternehmens – der Bau eines neuen Campus mit bis zu 20.000 Arbeitsplätzen in der Region Eindhoven - davon ab, ob ASML überhaupt einen Stromanschluss erhält.

Trotz der Tragweite ist nicht garantiert, dass der Konzern die benötigte Versorgung bekommt. ASML gehört zu rund 12'000 Unternehmen in den Niederlanden, die auf einen Netzanschluss warten. Netbeheer Nederland, der Verband der niederländischen Netzbetreiber, rechnet damit, dass die Engpässe noch bis zu zehn Jahre anhalten können - selbst wenn jährlich 8 Milliarden Euro in das Netz fliessen.

Ein Grund ist, dass der Stromverbrauch weit schneller gestiegen ist als erwartet. «Die Niederlande verbrauchen bereits so viel Strom, wie ursprünglich erst für das Jahr 2030 erwartet wurde», sagte Debby Dröge von Netbeheer Nederland. «Das physische Netz kann mit den gesellschaftlichen Ambitionen und Entwicklungen nicht Schritt halten – es sei denn, wir verändern grundlegend, wie wir es gestalten und nutzen.»

Solche Engpässe treten üblicherweise in Entwicklungsländern auf. Forschungsergebnisse zeigen seit Jahrzehnten, dass zuverlässige Stromversorgung entscheidend für wirtschaftliches Wachstum ist. Reiche Länder sahen sich diesen Fragen lange nicht ausgesetzt, weil Deindustrialisierung den Strombedarf trotz wachsender Wirtschaft über Jahre stabil hielt oder sogar sinken liess.

Doch der Aufstieg der künstlichen Intelligenz, der Boom bei Elektroautos und die zunehmende Elektrifizierung vieler Wirtschaftssektoren sorgen nun selbst in reichen Staaten für Warnsignale. Eine exklusive Analyse von Bloomberg Economics zeigt, dass nahezu alle G20-Länder in den vergangenen Jahren wachsende Netzbelastungen verzeichnen – von stagnierender Versorgung bei steigendem Bedarf über volatile Preise bis hin zu klimabedingten Schäden und Übertragungsverlusten.

Die Analyse hat zudem gezeigt, dass höhere Netzbelastung auch zu einem Rückgang bei den Kapitalausgaben führt – also bei staatlichen und privaten Investitionen in langfristige Vermögenswerte.

«Geringere Investitionen bedeuten langfristig ein geringeres Wirtschaftswachstum», sagte Maeva Cousin, Chefökonomin für Handel und Klima bei Bloomberg Economics.

Die wachstumsfördernden Effekte von Elektrifizierung zeigen sich weltweit – von Indien und China bis zu zahlreichen afrikanischen Staaten - und seit dem späten 19. Jahrhundert durchgängig bis heute. Typischerweise gilt: Je reicher ein Land ist, desto mehr Strom verbraucht es.

Das überrascht kaum, doch eine ähnlich enge Korrelation gibt es bei anderen Energieformen nicht. Kohleverbrauch etwa steigt mit wachsender Wirtschaftskraft zunächst an, sinkt jedoch wieder, sobald ein Land vom mittleren ins hohe Einkommensniveau übergeht.

Beim gesamten fossilen Energieverbrauch pro Kopf zeigt sich die Korrelation eher zwischen Weltregionen als entlang des Einkommens einzelner Länder. Hochlohnstaaten in Europa verbrauchen pro Kopf nur einen Bruchteil der fossilen Energieträger, die in ebenso wohlhabenden Ländern Asiens oder Nordamerikas genutzt werden. Schweizer verdienen im Schnitt rund 50 Prozent mehr als Kanadier, verbrauchen aber nur ein Viertel der fossilen Energie.

Elektrifizierung kann dabei enorme Veränderungen auslösen. Ein Beispiel aus Nigeria: Als Manoj Sinha erstmals das Dorf Rukubi besuchte, fiel ihm sofort der Dieselgeruch der zahlreichen Generatoren auf, die in einer Siedlung von nur tausend Haushalten liefen. In dem Fischerdorf verdirbt der Fang an 40-Grad-Hitzetagen oft noch vor Sonnenuntergang - die Generatoren hielten ihn kühl.

Sinha ist CEO von Husk Power Systems, einem Unternehmen, das in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern Kleinstromnetze aufbaut. Nach der Installation eines solarbetriebenen Minigrids konnten mehr Fischer Kühlschränke anschaffen und auf teure Dieselgeneratoren verzichten.

Forscher der University of Nigeria kamen zu dem Ergebnis, dass jede einprozentige Steigerung bei dem Konsum sauberer Energie langfristig mit einem BIP-Zuwachs von 2,74 Prozent einhergeht.

«Viele Unternehmen geben enorme Summen für Dinge wie Diesel aus», sagte die in Nigeria geborene Rita Okoroafor, Assistenzprofessorin an der Texas A&M University. «Der Zugang zu Elektrizität ist das grösste Hindernis für das Wirtschaftswachstum in Nigeria.»

Zunehmend betrachten auch Unternehmen in reichen Ländern Strom als ihr grösstes Hindernis.

Um die Belastungen besser zu erfassen, entwickelte Bloomberg Economics einen Index, der die Belastung der Stromsysteme aller G20-Länder misst. Berücksichtigt werden fünf Faktoren: Angemessenheit, Nachfrage, Kosten, Netzverluste und Klimaauswirkungen.

In den frühen 2000er-Jahren stieg die Nachfrage in vielen Ländern rasch an, während die Versorgung nicht Schritt hielt – Netzbelastungen nahmen zu. In den 2010er-Jahren entspannten sich die Systeme dank besseren Netzmanagements und geringeren Verbrauchs.

«Diese Ruhe schwindet», sagte Eleonora Mavroeidi, Ökonomin in Paris, die die Analyse leitete. Heute verzeichnen die meisten reichen Länder wieder steigende Belastungen ihrer Stromsysteme.

In Europa und den USA war die Stromnachfrage über zwei Jahrzehnte nahezu konstant oder rückläufig, doch das Economic Transition Scenario von BloombergNEF erwartet in den nächsten 20 Jahren einen Anstieg um mehr als 40 Prozent.

Eine Studie ergab, dass die Niederlande ohne schnellere Netzverstärkung jährlich 8 bis 30 Milliarden Euro an Wirtschaftskraft und Nachhaltigkeitsgewinnen verlieren könnten – bis zu 1800 Euro pro Einwohner. In Deutschland warnen regionale Unternehmensverbände, dass fehlende sichere und schnelle Stromversorgung die industrielle Basis gefährde. In Grossbritannien zahlten Netzbetreiber 1,4 Milliarden Pfund (1,6 Milliarden Euro) allein in diesem Jahr, um teurere Gaskraftwerke laufen zu lassen und günstigere Windparks im Norden abregeln zu müssen, weil Leitungen in Richtung Verbrauchszentren fehlen.

Der steigende Bedarf wird vor allem von KI-Rechenzentren und Elektroautos getrieben. Grosse Tech-Konzerne warnen bereits, dass sie Investitionen dorthin verlagern müssen, wo Netze ausreichend ausgebaut sind.

Strommangel war einer der Gründe, warum Google seine Pläne für ein Rechenzentrum im brandenburgischen Mittenwalde aufgab. Ein Frankfurter Rechenzentrum kann nicht erweitert werden, da Versorger vor 2033 nicht genügend Strom bereitstellen können. Microsoft verlagerte Investitionen von Irland und Grossbritannien Richtung Skandinavien, ebenfalls wegen Stromengpässen.

Selbst im Silicon Valley können Rechenzentren nicht ans Netz gehen, weil der Versorger in Santa Clara nicht genug Strom liefern kann. Ein von Digital Realty Trust 2019 beantragtes Rechenzentrum könnte jahrelang ungenutzt bleiben.

«Wenn die Stromversorgung nicht schnell ausgebaut wird, könnte es unmöglich werden, das volle Potenzial modernster Technologien auszuschöpfen», so Mavroeidi.

Branchenumfragen bestätigen den wachsenden Druck: Rund 72 Prozent der Führungskräfte in des Deloitte 2025 AI Infrastructure Survey bezeichnen die Netzkapazität als «sehr» oder «extrem» herausfordernd. Eine weitere grosse Umfrage zeigt, dass mehr als 90 Prozent der Entwickler Netzengpässe als grösstes Hindernis für Rechenzentrumsprojekte sehen.

Auch ausserhalb der KI-Branche spüren Unternehmen offenbar die Folgen: Der schwedische Stahlhersteller SSAB hat den Start eines neuen Werks wegen Netzproblemen verschoben.

Besonders besorgniserregend in der Analyse von Bloomberg Economics sind jedoch die langfristigen Folgen:

«Ein Anstieg um eine Standardabweichung im Electricity System Stress Index eines Landes gegenüber seinem historischen Durchschnitt senkt den Investitionsanteil am BIP Schätzungen zufolge um rund 0,33 Prozent. Da Investitionen 2024 in reichen Ländern durchschnittlich etwa 20% des BIP ausmachen, entspricht das einem Rückgang der Kapitalausgaben um 1,5 Prozent bis 2 Prozent.»

Zudem könne der Index die Risiken unterschätzen, warnen die Forscher. Einer der Faktoren ist die Nachfrage: Sinkt sie wegen Überlastung, nimmt auch der gemessene Stress ab - jedoch ebenso das Wirtschaftswachstum.

«Länder, die steigenden Strombedarf nicht decken können, riskieren, richtungsweisende Investitionen zu verpassen, die ihre wirtschaftlichen Perspektiven für Jahrzehnte prägen werden», sagte Cousin.

Überschrift des Artikels im Original:Electricity Is Now Holding Back Growth Across the Global Economy

(Bloomberg/cash)