Es ist die Nachricht des Tages: Der langjährige Firmenchef Ulrich Spiesshofer tritt bei ABB per sofort zurück. An seine Stelle tritt vorübergehend Verwaltungsratspräsident Peter Voser. Die Suche nach einem Nachfolger wurde eingeleitet.

Wie das Unternehmen in der Medienmitteilung schreibt, erfolgt der Rücktritt Spiesshofers in gegenseitigem Einvernehmen. Dass noch kein Nachfolger kommuniziert werden kann, werten Beobachter allerdings als Zeichen für einen ziemlich überstürzten Entscheid.

Zumindest an der Geschäftsentwicklung zwischen Januar und März kann es wohl eher nicht liegen. Denn wie ABB weiter informiert, stieg der Umsatz im ersten Quartal um 4 Prozent, der operative Gewinn (EBITA) sogar um 5 Prozent. Beides bewegt sich im Rahmen der Analystenerwartungen.

Grosses Erstaunen bei den Analysten

Einige Beobachter sehen in Spiesshofer denn auch ein mögliches Bauernopfer, wurde in den letzten Jahren doch mehrfach Kritik von Aktionären an den Personen Peter Voser und Ulrich Spiesshofer laut. Im Zentrum der Kritik stand dabei stets die schleppende Umsatzentwicklung sowie das enttäuschende Abschneiden der Aktie.

Im vorbörslichen Handel von Julius Bär reagiert die ABB-Aktie denn auch mit einem Kurssprung auf den überraschenden Rücktritt Spiesshofers. Zur Stunde gewinnt sie noch 5,3 Prozent auf 21,18 Franken. Die Tageshöchstkurse liegen gar bei 21,27 Franken. Händler berichten von spekulativen Käufen aus dem Ausland.

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Wie die Basler Kantonalbank schreibt, kommt der Rücktritt Spiesshofers sehr überraschend. Und auf Basis der nicht restlos überzeugenden Quartalszahlen nimmt die zuständige Analystin ihr Kursziel für die mit "Marktgewichten" eingestufte Aktie auf 20,70 (zuvor 22) Franken zurück.

Erstaunt zeigt man sich auch bei der Zürcher Kantonalbank, zumal ABB in der Vergangenheit stets betonte, die Transformation wie geplant weiterzuführen. Die Zürcher Kantonalbank stuft die Aktie ebenfalls nur mit "Marktgewichten" ein.

Auch Sicht von Julius Bär rückt das Quartalsergebnis angesichts des Wechsels an der Konzernspitze in den Hintergrund. Die Zürcher Bank zeigt sich vor allem vom Zeitpunkt sowie von der Art und Weise der Kommunikation überrascht. Sie nimmt sowohl das "Hold" lautende Anlageurteil als auch das Kursziel von 21 Franken in positive Revision. 

Morgan Stanley bezeichnet den Rücktritt Spiesshofers zwar als unerwartet, weist gleichzeitig jedoch darauf hin, dass schon frühere Konzernchefs wie Fred Kindle oder Joe Hogan ihren Chefsessel ziemlich abrupt räumten. Das Ganze habe schon fast so etwas wie Tradition, so lässt die US-Investmentbank zwischen den Zeilen durchblicken.

Grossaktionär Artisan stellt neue Forderungen

Die UBS Investmentbank sieht die Meldung über den Rücktritt Spiesshofers als positiv für den Aktienkurs und sieht darin wichtige Anhaltspunkte dafür, dass die Vorzeichen bei ABB endlich auf Veränderung stehen. Die Grossbank stuft die Aktie vorerst mit "Neutral" und einem 12-Monats-Kursziel von 20,50 Franken ein.

Erst am Montag wurde bekannt, dass der Grossaktionär Artisan Partners seine Beteiligung ausgebaut hat (cash berichtete). Der für seine aktive Einflussnahme bei Unternehmen bekannte Finanzinvestor hält neu etwas mehr als 3 Prozent der Stimmen. Neben Cevian Capital gilt vor allem Artisan Partners als treibende Kraft hinter der Abspaltung des Stromnetzgeschäfts.

Doch damit scheint der Grossaktionär noch nicht am Ziel angekommen. Wie er gegenüber "Finanz und Wirtschaft" durchblicken lässt, strebt er gar eine Trennung der Sparte Elektrifizierungsprodukte von den drei auf die Automatisierung spezialisierten Geschäftsbereichen.

Auch der davon ausgehende Druck könnte zum Rücktritt Spiesshofers beigetragen haben.