Noch vor nicht allzu langer Zeit lagen die Aktien des Biotechnologie-Unternehmens Idorsia am Boden. Man müsste Schlimmes befürchten für die Biotech-Gesellschaft aus Allschwil BL. Anfang Dezember kosteten die Aktien noch 61 Rappen. Dann setzte allmählich, verstärkt dann im April dieses Jahres die Wende ein. Heute müssen Anleger gut 4,20 Franken pro Aktie aufbringen.
Mit dem Kursplus von über 420 Prozent liegen sie im Jahresverlauf klar an der Spitze des Swiss Performance Index (SPI). Nächstplatzierte HT5 (ehemalige Hochdorf, kein operatives Geschäft mehr) und Halbleiterproduzent Cicor legen «nur» 300 respektive 200 Prozent zu.
Insbesondere auch in den letzten Tagen ist die Erfolgsserie bemerkenswert: In den letzten elf Handelstagen schloss die Idorsia-Aktie nur einmal im Minus, nämlich am heutigen Mittwoch.
Kursentwicklung von Idorsia in Franken.
Während die Idorsia-Titel von einem Extrem ins andere rutschten, hängt vieles von der entscheidenden Frage ab, ob der Turnaround gelingt und CEO Srishti Gupta, im Amt seit Juli, ein nachhaltig profitables Unternehmen aufbauen kann. Der Aktienmarkt schenkt ihr viel Voraus-Vertrauen - doch dies kommt nicht ohne Kosten.
Risikoreiche Forschung
Idorsia ist das Resultat einer im Jahr 2017 getätigten Übernahme von Actelion durch Johnson & Johnson (J&J). Die Käufer waren an den Blockbuster-Medikamenten des Biotech-Konzerns interessiert, nicht aber an der risikoreichen Forschung und Entwicklung. Diese wurde gebündelt und als Idorsia ausgegliedert. Als Teil der Transaktion stellte J&J 1 Milliarde Franken für die Fortsetzung der Forschung im neuen Unternehmen bereit.
In der Risikoeinschätzung lag J&J goldrichtig. Seit der Abspaltung verlor Idorsia zeitweise 93 Prozent ihres Werts. Mit den diesjährigen Kursgewinnen beläuft sich der Verlust noch auf 57 Prozent. Ursachen waren das Ausbleiben des Durchbruchs, eine wenig überzeugende Pipeline und ein schwindendes finanzielles Polster.
Das Bild eines riskanten Biotech-Unternehmens mit Projekten in der frühen Forschungs- und Entwicklungsphase konnte Idorsia bis heute nicht ablegen: Abgesehen vom Abspaltungsjahr 2017 schrieb die Firma ausschliesslich Verluste. Insgesamt summierten sich diese auf 3,4 Milliarden Franken. Bei einem Gesamtumsatz von 710 Millionen Franken seit der Abspaltung ist das viel.
Wenig überraschend löste sich das finanzielle Polster schnell in Luft auf. Und ab 2020 musste die Forschung fremdfinanziert werden. Die langfristigen Schulden betragen derzeit rund 1,3 Milliarden Franken. Über 80 Prozent davon sind in Form von Wandelanleihen und Wandeldarlehen - sie können also vom Darlehensgeber in Aktien umgewandelt werden. Die Verwässerungsgefahr für die bisherigen Aktionäre ist also enorm.
Deadline
An sich ist an dieser Situation nichts Besonderes. Junge Biotechunternehmen gehören zu den riskantesten Anlageformen: Entweder gelingt ihnen der Markteintritt mit einem Blockbuster-Medikament oder sie verschwinden vom Markt.
Der starke Kursanstieg in nur wenigen Monaten ist dagegen schon aussergewöhnlich. Je nach Ursache deutet er auf erste Erfolge beim Turnaround hin oder macht die ohnehin risikoreichen Idorsia-Titel noch riskanter. Ein Blick auf die fundamentale Ausgangslage fällt gemischt aus.
Die neue Geschäftsführung hat sich zwar das Ziel gesetzt, Idorsia ab 2027 in die Gewinnzone zu führen. Doch ganz freiwillig ist das nicht: Noch bis Ende 2026 reichen die Barmittel des Unternehmens. Mit einem Aufschub der Wandelanleihen mit Laufzeiten bis 2025 und 2028 um weitere zehn Jahre hat sich Srishti Gupta gleich nach Amtsantritt Freiraum geschaffen.
Um die Finanzen zu schonen, sollen die Forschungs- und Entwicklungsausgaben laut Gupta künftig gezielter eingesetzt werden. Analysten erwarten dadurch eine Halbierung der Kosten. In der gewonnenen Zeit will Gupta das Augenmerk auf Schlafmittel legen - sie sind bereits auf dem Markt - und einige wenige Pipeline-Kandidaten.
Die Analysten der Deutschen Bank um Niall Alexander haben den Unternehmenswert auf die einzelnen Bilanzpositionen heruntergebrochen. Was auffällt: Der Anstieg des fairen Werts der Idorsia-Aktien im zweiten und dritten Quartal dieses Jahres geht hauptsächlich auf die Sparmassnahmen zurück, nicht auf einen Wertzuwachs des Portfolios. Die Vermögenswerte verloren 2 Franken pro Aktie, während die Einsparungen einen Wertzuwachs von 6 Franken pro Aktie brachten.
Mai 2025 | August 2025 | |
Quviviq | 11 | 9 |
Tryvio | 1 | 1 |
Wert lancierte Produkte | 12 | 10 |
Lucerastat | 3 | 3 |
Selatogrel | 0 | 0 |
Cenerimod | 0 | 0 |
Wert Pipeline | 0 | 0 |
Andere | 4 | 2 |
Gesamtwert Portfolio | 17 | 13 |
F&E | -11 | -5 |
Investitionen | 0 | 0 |
Unternehmenswert | 6 | 8 |
Nettofinanzverbindlichkeiten | -6 | -5 |
Marktwert der Aktie | 1 | 2.4 |
Quelle: Deutsche Bank; alle Werte in Franken pro Aktie. In der Tabelle werden die bereits lancierten Produkte und der Wert des Pipelineportfolios mit den Kosten wie Forschung und Entwicklung, Investitionen und Nettofinanzverbindlichkeiten (Schulden minus liquide Mittel) zusammengerechnet. Die Summe entspricht dem Marktwert der Aktie.
Kurzfristig sind die Sparmassnahmen zweifelsohne die richtige Antwort. Längerfristig muss das Unternehmen jedoch wieder stärker investieren, denn zu geringe Forschung erhöht das ohnehin hohe Pipelinerisiko zusätzlich.
Produkteportfolio und Pipeline
Idorsia verfügt über nur zwei Hauptprodukte im Markt: das Schlafmittel Quviviq und den Blutdrucksenker Tryvio. Laut Unternehmen befinden sich drei weitere vielversprechende Wirkstoffe in der Pipeline. Für die Experten der Deutschen Bank ist allerdings unklar, wie daraus wettbewerbsfähige Assets werden sollen. Einige Kandidaten befinden sich in stark umkämpften Bereichen, bei anderen steht die US-Arzneimittelbehörde im Weg. Das Aufwärtspotenzial sei entsprechend limitiert. Für die Berechnung des fairen Werts werden bis auf Lucerastat (es befindet sich bereits in der Phase III) die Pipelinekandidaten mit einem Wert von null bewertet.
Auch bei den bereits lancierten Produkten läuft es nicht wie gewünscht. Trotz neuartigem Wirkmechanismus bleibt Quviviq hinter den Erwartungen zurück. In einem Interview mit «Pharma Boardroom» verwies CEO Gupta auf die Eigenheiten des US-Marktes in Bezug auf Schlafmittel.
Historisch bedingt (wegen Missbrauchspotenzial und den Risiken von Beeinträchtigungen am Folgetag) werden Schlafmittel in den USA von «völlig unbedenklich» bis «streng kontrolliert» eingestuft. Quviviq gilt als kontrollierte Substanz und dies schafft erhebliche Hürden beim Marktzugang.
Idorsia ist zwar dabei, eine Streichung aus der Liste kontrollierter Substanzen voranzutreiben und entsprechende Petitionen wurden bei der Arzneimittel- und Drogenbekämpfungsbehörde (FDA und DEA) eingereicht. Der Ausgang ist jedoch unklar.
Beim Vertrieb von Tryvio ist Idorsia noch auf der Suche nach einem Partner. Biotechunternehmen mit einem kapitalarmen Geschäftsmodell vermarkten ihre Produkte üblicherweise mit einem Pharmakonzern. So steigt die Kapitalrendite (ROIC) deutlich über den Branchenschnitt, und das Unternehmen kann sich auf Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe konzentrieren.
Zwar sei die Streichung gewisser US-Zulassungsauflagen ein positives Signal, «doch halten wir das Medikament für klinisch wenig wettbewerbsfähig», so die Experten der Deutschen Bank. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Partnersuche.
Hoffnungen und Erwartungen
Insgesamt hat sich das Bild für Idorsia dennoch etwas verbessert. Srishti Gupta gilt als Branchenkennerin und hat mit ihren ersten Massnahmen die kritischsten Probleme vorerst entschärft. Mit den diesjährigen Kursgewinnen honoriert der Markt diese zumindest kurzfristig richtigen Schritte. Aber er nimmt auch sehr viel Positives vorweg.
Denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das Marktpotenzial der beiden lancierten Arzneimittel bleibt höchst unsicher und das Pipelinerisiko ist erheblich. Wiederum Gesundschrumpfen mag eine Lösung sein, rechtfertigt die aktuelle Bewertung jedoch nicht.
Die ersten Gewinne werden im besten Fall in zwei Jahren erwartet. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für 2027 liegt bei 21. Laut der Deutschen Bank beträgt das durchschnittliche KGV für europäische Small- und Mid-Cap-Pharma- und -Biotechunternehmen weniger als 15. Auch beim Unternehmenswert zum Umsatz mischt Idorsia oben mit: Für 2026 beträgt die Kennzahl 5,8, während der Branchenschnitt bei 5,1 liegt. Ohne den Ausreisser Genmab aus Dänemark (über 23) beläuft sich der Schnitt sogar nur auf 3,6.
Diese höheren Erwartungen zu übertreffen dürfte nun deutlich schwieriger werden. Der Druck auf das Management steigt im gleichen Mass. Gelingt es Gupta nicht, in den kommenden Quartalen das Steuer grundlegend herumzureissen und die Erwartungen zu übertreffen, droht ein Verlauf wie einst bei Nestlé und Mark Schneider: Euphorie am Anfang, Ernüchterung am Ende.
Der Unterschied zum Nestlé-Beispiel: Bei Idorsia dürften die Schwankungen bis dahin heftiger und das Tempo schneller sein - die Deadline ist schliesslich bekannt.
1 Kommentar
dank cash - bin ich unter 2.— spekulativ eingestiegen..🙏🙏