Die europäische und im Speziellen die Schweizer Branche der Medtech- und Medizindienstleister blickt auf zwei enttäuschende Jahre mit herben Kursverlusten zurück. Unter Berücksichtigung der Dividendenzahlungen - sogenannter Total Return - haben mit Alcon (-8,03 Prozent), DocMorris (-63,47 Prozent), Lonza (-45,37 Prozent), Sonova (-26,98 Prozent), Straumann (-15,40 Prozent) und Tecan (-20,69 Prozent) sechs von sieben Schweizer Branchenschwergewichten nicht überzeugt. Einzig Galenica vermochte mit +18,84 Prozent seit dem ersten Januar 2022 eine positive Performance auszuweisen. 

Das Analystenteam um Falko Friedrichs der Deutschen Bank glaubt nun allerdings, dass die Talsohle durchschritten ist und bessere Zeiten auf den heterogenen europäischen Medizintechnik- und Dienstleistungssektor mit unterschiedlichen Endmärkten und Wachstumsdynamiken zukommen werden. «Wir sind vorsichtig optimistisch, dass sich die Situation im Jahr 2024 verbessern wird, da wir eine Entspannung bei den Lieferketten, dem inflationären Kostendruck, eine Verbesserung der Kundenstimmung in China, neue Innovationen und Potenzial für wertsteigernde Akquisitionen sehen.»

Für das Jahr 2024 erwartet die Deutsche Bank ein robustes organisches Umsatzwachstum von durchschnittlich 7 Prozent für den gesamten abgedeckten Sektor - primär gestützt durch gesunde Auftragsbücher. Darüber hinaus wird ein 12-prozentiges Wachstum beim Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen - auf englisch Earnings Before Interest, Tax and Depreciation oder kurz EBITDA - erwartet.  Allerdings dürften die meisten Unternehmen aufgrund höherer Zinssätze von höheren Zinsaufwendungen betroffen sein, weshalb das adjustierte Gewinnwachstum nur bei 11 Prozent liegen dürfte.

Redcare Pharmacy mit deutlich mehr Potenzial als DocMorris

Unter den Top-Picks finden sich die vier Unternehmen Fresenius, Siemens Healthineers, Redcare Pharmacy und Gerresheimer und somit kein Schweizer Unternehmen. Gerade der Vergleich von DocMorris und dessen niederländischem Hauptkonkurrent Redcare Pharmacy zeigt auf, weshalb die Deutsche Bank die Wachstumsperspektiven der europäischen Konkurrenz gegenüber den Schweizer Medtech-Unternehmen derzeit deutlich besser sieht.

Redcare Pharmacy als Top Pick wird mit Kaufen und einem Kursziel von 172 Euro eingestuft, was ein Kurspotenzial von 35 Prozent ergibt. DocMorris wird dagegen nur mit Hold und einem deutlich geringeren Kurspotenzial von 11 Prozent auf 60 Franken eingestuft. Dies resultiert daher, dass das Umsatzwachstum bei Redcare Pharmacy 2023-2028 auf 21,4 Prozent veranschlagt wird, während dieses bei DocMorris nur 17,5 Prozent betragen dürfte. Diese Differenz sieht zwar auf den ersten Blick relativ gering aus. Wird aber berücksichtigt, dass die Umsatzsteigerung von Jahr zu Jahr entsprechend auf einer höheren Basis annualisiert wird, so kann man getrost schon fast von Welten sprechen. 

Einen weiteren, wesentlichen Unterschied machen die DB-Analysten bei der Einpreisung des elektronischen Rezeptes (eRx) in Deutschland aus. Während dieses bei Redcare Pharmacy derzeit gar nicht im Preis enthalten ist (fairer Wert ohne eRx von 126 Euro, aktueller Kurs 126,60 Euro), macht dieses beim Schweizer Konkurrenten DocMorris einen wesentlichen höheren Anteil vom Potenzial im Vergleich zum aktuellen Aktienkurs aus. 

Alcon und Tecan mit ansprechendem Kurspotenzial

Deutliches Kurspotenzial macht die Deutsche Bank bei den Schweizer Werten Alcon (Rating Kaufen, Kursziel 80 Franken und Kurspotenzial von 24,2 Prozent) und Tecan (Rating Kaufen, Kursziel 372 Franken und Kurspotenzial von 19,6 Prozent) aus. 

Alcon hat seit der Abspaltung von Novartis im Jahr 2019 erhebliche Fortschritte bei der Umsetzung seiner Turnaround-Strategie erzielt. Dies wurde vor allem durch die Einführung neuer Produkte vorangetrieben, welche die Produktlücken im wachstumsstarken Segment geschlossen haben. Darüber hinaus hat Alcon seine Ziele einer weiteren Margenausweitung erreicht.

Bei Tecan erwartet das Analysten-Team um Friedrichs, dass die operative Leistung von Tecan relativ robust bleiben wird - trotz mehrerer externer Gegenwinde wie dem vorsichtigen Ausgabeverhalten von Pharmakunden, einem herausfordernden makroökonomischen Umfeld in China, einem gedämpften Finanzierungsumfeld für Biotech-Kunden und der Antikorruptionskampagne in China. Dieser Gegenwind wird höchstwahrscheinlich im ersten Halbjahr 2024 anhalten, sollte sich aber im Laufe des Jahres allmählich verbessern.

Die innovativen Angebote von Tecan und sein starkes Engagement in den Diagnostik- und MedTech-Märkten - die derzeit robuster sind als der Life-Sciences-Markt - sollten das Unternehmen etwas vor einigen Gegenwinden schützen und es ihm ermöglichen, weiterhin ein höheres Wachstum als die meisten Mitbewerber zu verzeichnen. Über die operative Outperformance hinaus könnten Firmenübernahmen für zusätzliche Umsätze sorgen.

Den Valoren von Straumann traut die Deutsche Bank ein ordentliches Potenzial (Rating Kaufen, Kursziel 134 Franken und Kurspotenzial von 9,8 Prozent) zu, während dieses bei Galencia (Rating Halten, Kursziel 73 Franken und Kurspotenzial von 1,9 Prozent), Lonza (Rating Halten, Kursziel 366 Franken und Kurspotenzial von 6,3 Prozent) und Sonova (Rating Halten, Kursziel 253 Franken und Kurspotenzial von 1,0 Prozent) unterdurchschnittlich ausfällt. 

Bei der Künstliche Intelligenz hat Lonza die Nase vorn

Der globale MedTech- und Dienstleistungssektor führt wie andere Branchen zunehmend Lösungen der künstlichen Intelligenz (KI) in die Prozesse ein. Mit Hilfe von KI versuchen Unternehmen der Branche, die Prozessdynamik zu verändern, um die Qualität und Patientenversorgung zu verbessern. Dies sollte die Effizienz verbessern und die Kosten für die Herstellung von Produkten und die Bereitstellung von Dienstleistungen senken.

Angesichts der disruptiven Natur dieser Technologie hat dies Auswirkungen auf die Medtech-Branche. Insgesamt geht die Deutsche Bank davon aus, dass Fortschritte in der KI insbesondere die medizinische Bildgebung, die Arzneimittelentwicklung und die In-vitro-Diagnostik, aber auch die Krankheitsvorhersage, das Molekülmanagement für klinische Studien, die behördliche Dokumentation, die Patientenversorgung, die vorausschauende Wartung von Dialysegeräten und den Zugang zu Gesundheitsdiensten verbessern werden.

Von den Schweizer Unternehmen ist Lonza bereits aktiv in diesem Bereich. Lonza nutzt künstliche Intelligenz, um Moleküle vor klinischen Studien zu stabilisieren. Das hilft Kunden, Fehlerrisiken in der frühen Entwicklung zu reduzieren und die Markteinführung des Arzneimittels zu beschleunigen. Die KI-Module des Unternehmens unterstützen das computergestützte Arzneimitteldesign, die Bewertung von Proteinprofilen, die Entwicklung von Expressionssystemen für Säugetiere mit DNA-Elementdesign und die Vorhersage von Nebenwirkungen neuartiger Therapien. Das Unternehmen unternimmt auch Schritte in Richtung einer KI-gestützten Gentechnik, die auf Methoden der Bioinformatik basiert. 

Thomas Daniel Marti
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