Es ist Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff, der einen Taucher des SMI auf unter 7000 Punkte bis Ende Jahr "nicht für unwahrscheinlich" erachtet. Das ist eine böse Vorstellung für Anleger, erholt sich der SMI derzeit doch von seinen Tiefständen im Winter. Seit dem Tief bei 7400 Punkten Mitte Februar haben die Anleger den Leitindex fast 10 Prozent auf 8290 Punkte emporgeschoben. Um den Jahres-Anfangsstand bei 8820 Punkten wieder zu erreichen, fehlen noch rund 6 Prozent.

Im Gespräch mit cash sagt Neff aber: "Auch wenn wir gerade etwas Morgenluft sehen, glaube ich nicht, dass wir jetzt wieder auf Aufholjagd gehen." Die Korrekturgefahr sei einfach gross: "Aktien sind teuer, die realwirtschaftlichen Perspektiven lediglich durchzogen, die Liquidität verpufft und die Schulden belasten das ohnehin gesättigte Wachstum global. Und dann kommt da noch die US-Wahl." All dies sei nicht erspriesslich für Aktien, und die relative Attraktivität gegenüber anderen Anlageklassen allein sei noch kein Garant eines endlosen Höhenfluges.

Zur prominenten Stimme von Neff gesellt sich eine nicht minder prominente, und ebenfalls pessimistische Meinung: Der Ökonom und Unternehmensberater Klaus Wellershoff sagte vergangene Woche im cash-Interview voraus, dass der Aktienmarkt dieses Jahr noch unter Druck kommen werde." Auch er führt die hohen Bewertungen ins Feld und verweist auf schrumpfende Gewinne und steigende Zinsen. "Da müssen Sie nicht rechnen", lautete seine Aussage. Ein baldiger Anstieg der US-Obligationenrenditen bringe die Aktienmärkte in die Bredouille. 

SMI top, Nebenwerte flop?

Fundamental sehen beide Wirtschaftswissenschaftler die Lage schwierig. Rolf Maurer, Anlagespezialist und Partner bei Bevag Better Value AG, teilt die Ansicht, dass die Situation nicht sehr übersichtlich sei: "Im Moment ist es nicht leicht, zu sagen, welches die positiven Treiber sind." Er ist bezüglich des SMI aber optimistischer als Neff und Wellershoff: "Ich gehe davon aus, dass der SMI Ende Jahr etwas höher tendiert als jetzt, allerdings nicht deutlich höher."

Die Lage sei zum jetzigen Zeitpunkt insgesamt besser ist als die verbreitete Stimmung: Europas Konjunktur werde stärker, wenn auch von einem tiefen Niveau aus, auch die USA entwickle sich robust, und die chinesische Regierung werde eine harte Landung der Wirtschaft in ihrem Land mit allen Mitteln verhindern.

Eine noch viel optimistischere Prognose wagt Roland Egger, Investmentspezialist bei Lombard Odier. Er sieht aber weniger schwarz für den Schweizer Aktienmarkt. Die Genfer Privatbank nahm im Frühling ein gar optimistisches SMI-Jahresziel von 10'000 Punkten zurück, setzt es aber immer noch bei 9000 Punkten an.

Markterholung als Hoffnung

Die gegenwärtigen Unsicherheiten bestünden vor allem wegen der Bewertungen, politischer Unsicherheiten wie Brexit-Votum und Trump-Präsidentschaftskandidatur sowie des Zinsrisikos. Die politischen Risiken werden derzeit von einer Vielzahl von Beobachtern als begrenzt gesehen. Ein Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union, über den am 23. Juni entscheiden wird, würde keine sofortigen Änderungen der EU-Struktur und zunächst einen zeitlich limitierten Wackler an den Börsen verursachen, lautet der Tenor.

Der US-Wahlkampf, der zweifellos noch für reisserische Schlagzeilen und jede denkbare Prognose sorgen wird, dürfte, wie von Raiffeisen-Volkswirt Neff beschrieben, die Märkte bewegen. Eine tatsächliche Wahl Donald Trumps, dessen Wirtschaftsprogramm, vorsichtig formuliert, eher "wild" ist, kann man sich noch nicht so richtig vorstellen.

Dass die Federal Reserve in einer Phase der Straffung ihrer geldpolitischen Zügel ist, haben die Finanzmärkte verinnerlicht. Ein rasches Ansteigen der Obligationen-Renditen, wie von Klaus Wellershoff prognostiziert, wäre das grössere Problem für den Aktienhandel.

Large Cap Rally möglich

Lombard-Odier-Analyst Egger sagt dem Schweiz Aktienmarkt ein Szenario voraus, das die Vorzeichen der vergangenen Monate gewissermassen umkehrt. Bisher heimsten Small- und Mid-Caps Lob ein. Während der SMI noch knapp 6 Prozent Rückstand auf den Jahresanfangs-Stand hat, fehlen beim breiten Markt SPI noch 1,5 Prozent. Der SPI Extra, der die grosskapitalisierten Werte ausklammert, kommt gar auf ein Year-to-Date-Plus von 4,5 Prozent. 

Doch sagt Egger: "Während die Nebenwerte schon relativ teuer sind, ist das beim SMI nicht unbedingt der Fall." Typischerweise sind die SMI-Aktien, die in letzter Zeit unter Druck waren, günstig bewertet: Swatch hat ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 14, Richemont 18,4. Die Novartis-Aktie und der Roche-Genusschein sind mit einem KGV von 24,5 respektive 19,3 relativ hoch bewertet. Auch Nestlé liegt mit 22,5 relativ hoch, doch die UBS kommt nur auf eine Ratio von 12,8, die Credit Suisse auf 11,8.

Egger erwartet fundamental eher positive Daten, zumindest bei den SMI-Schwergewichten. Er kann sich vorstellen, dass bei den Pharmakonzernen ein guter Newsfluss kommt. "Nestlé sehe ich auch wieder positiver", sagt er im Gespräch mit cash. Auch die Banken, bei denen im Moment nur schwarz gesehen werde, könnten im zweiten Halbjahr eine Erholung erleben. 

Wenige Titel entscheidend

Mit Kursavancen bei Pharma, Nestlé und den Banken, die fast 70 Prozent des Gewichts des Leitindex' ausmachen, kann der SMI schnell zulegen. "Der Markt hat sich seit Anfang Jahr schon gut erholt", sagt Roland Egger. Ein Jahresend-Stand von 9000 Punkten im SMI sei nicht unrealistisch, denn der Index müsste sich nur um etwa 8,5 Prozent nach oben bewegen.

Um hingegen auf 7000 Punkte hinunter zu rauschen, bräuchte es einen Kurszerfall von 15,5 Prozent. Über einen Zeitraum von mehrerer Monaten ein Szenario, das auch früher schon beobachtet wurde. Mit Parametern, die nicht einfach zu interpretieren sind, könnten sowohl die Optimisten als auch die Pessimisten recht behalten.