Für den chinesischen Unternehmer Wang Min hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Karten völlig neu gemischt. Weil die westlichen Sanktionen gegen Moskau viele russische Unternehmen von den Dollar- und Euro-Zahlungssystemen abgeschnitten haben, steht der chinesische Yuan in Russland auf einmal hoch im Kurs. Wang und sein Unternehmen für LED-Leuchten kann jetzt Verträge mit russischen Kunden in Yuan statt in Dollar oder Euro aushandeln, was sein Währungsrisiko vermindert. Und seine Kunden können ihn auch in Yuan bezahlen. Der Geschäftsmann aus der südchinesischen Küstenprovinz Guangdong ist hocherfreut über diese "Yuanisierung" der russischen Wirtschaft, weil sie ihm ganz neue Geschäftschancen eröffnet. "Das ist eine Win-Win-Situation", sagt er.
Sein Auftragsfertigungsgeschäft mit Russland war bisher eher klein. Doch jetzt will der Unternehmer dort in die Lagerhaltung investieren. "Wir hoffen, dass im nächsten Jahr der Umsatz in Russland zehn bis 15 Prozent unseres Gesamtumsatzes ausmachen kann", rechnet Wang vor. Bisher stammt sein Jahresumsatz von rund 20 Millionen Dollar hauptsächlich aus Afrika und Südamerika.
«Renminbi» hält in Russland Einzug
Russland orientiert sich auf der Suche nach finanzieller Sicherheit immer mehr an der Grossmacht China. Die chinesische Währung Yuan - auch Renminbi genannt - hält schon seit Jahren Einzug in Russland. Doch in den den vergangenen neun Monaten ist aus einem langsamen Voranschreiten ein Sprint geworden. Immer tiefer dringt Chinas Währung in die Märkte und Handelsströme Russlands vor, wie eine Auswertung der Nachrichtenagentur Reuters von Daten und Interviews mit zehn Unternehmern und Finanzakteuren zeigt. Es entsteht ein immer grösseres wirtschaftliches Gegengewicht zum Dollar, das die Bemühungen des Westens, ökonomischen Druck auf Russland auszuüben, einschränkt.
An der Moskauer Börse schossen die Gesamttransaktionen im Oktober im Währungspaar Yuan-Rubel auf fast neun Milliarden Yuan - umgerechnet 1,25 Milliarden Dollar - pro Tag, wie aus Börsendaten hervorgeht. Früher hatten sie selten die Marke von einer Milliarde Yuan überschritten - und dies in einer ganzen Woche. "Es wurde plötzlich sehr riskant und teuer, traditionelle Währungen - Dollar, Euro, britische Pfund - zu halten", beschreibt Andrei Akopian, Geschäftsführer der in Moskau ansässigen Investmentfirma Caderus Capital, die Situation nach den Sanktionen. "Jeder war motiviert und wurde sogar zum Rubel oder anderen Währungen gedrängt einschliesslich und vor allem dem Renminbi." Der Yuan-Rubel-Handel belief sich im Oktober auf insgesamt 185 Milliarden Yuan. Das Volumen ist damit mehr als 80 mal so gross wie noch im Februar, als Russlands militärische Invasion der Ukraine begann.
Laut Dimitri Piskulow, Leiter internationale Projekte in der Abteilung Devisenhandel an der Moskauer Börse, kletterte der Anteil des Yuan im Devisenmarkt von weniger als einem Prozent zu Beginn des Jahres auf inzwischen 40 bis 45 Prozent. Im Vergleich dazu schrumpfte laut Börsendaten und Angaben der Zentralbank der Anteil des Dollar-Rubel-Handels, der im Januar noch rund 80 Prozent des Handelsvolumens ausmachte, bis Oktober auf rund 40 Prozent. Das US-Finanzministerium wollte die zunehmende Bedeutung des Yuan in Russland nicht kommentieren.
Yuan-Konten und Yuan-Anleihen
Die internationalen Geldströme weisen einen ähnlichen Trend auf. Bis April rangierte Russland nicht einmal auf der Top-15-Liste von Ländern, die den Yuan ausserhalb des chinesischen Festlands verwenden, zeigen Daten des globalen Finanznetzwerks SWIFT. Inzwischen ist Russland auf Platz vier vorgerückt und liegt damit nur noch hinter Hongkong, Grossbritannien als ehemaligem Kolonialherrn der Stadt und Singapur. Global betrachtet sind der Dollar und der Euro immer noch die mit weitem Abstand dominierenden Währungen. Bis September entfielen auf sie mehr als 42 beziehungsweise 35 Prozent der Geldströme. Der Yuan baute seinen Anteil auf fast 2,5 Prozent aus. Vor zwei Jahren waren das noch unter zwei Prozent gewesen.
Der Optimismus des Unternehmers Wang wird von Shen Muhui geteilt, der einen Handelsverband von kleinen Exporteuren nach Russland in der angrenzenden Küstenprovinz Fujian leitet. Shen zufolge eröffnen immer mehre russische Käufer Yuan-Konten und wickeln Transaktionen direkt in der chinesischen Währung ab, was nach seiner Ansicht ein grosser Vorteil ist. "Der Russland-Ukraine-Konflikt hat chinesischen Geschäftsleuten neue Möglichkeiten eröffnet", sagt Shen. Sein Verband erhalte viele Anfragen von chinesischen Unternehmen, die an Geschäften in Russland interessiert seien.
Es sind aber nicht nur chinesische Unternehmen oder kleinere Firmen, die auf den Yuan-Zug aufspringen. Sieben russische Grosskonzerne, darunter Rusal, Rosneft und Polyus haben nach Berechnungen von Reuters mit der Ausgabe von Yuan-Anleihen bereits 42 Milliarden Yuan auf dem russischen Markt eingesammelt. Die Liste könnte noch länger werden, denn Russlands grösstes Geldhaus Sberbank und der Ölkonzern Gazpromneft erwägen ebenfalls, Schulden in chinesischer Währung aufzunehmen.
Risiken der «Yuanisierung»
Russlands Präsident Wladimir Putin strebt seit langem danach, die Abhängigkeit des Landes vom Dollar zu verringern. Die geopolitischen Entwicklungen des Jahres 2022 haben diesen Trend beschleunigt. Denn China, die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt, beteiligt sich nicht an den Sanktionen des Westens gegen Russland. Vielmehr hatten Putin und der chinesische Staatschef Xi Jinping im Februar kurz vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine eine "grenzenlose" Partnerschaft angekündigt.
Russland wickelte 2021 noch 49 Prozent des Handels mit China in Dollar ab. Auf den Yuan entfielen 19 Prozent, wie Andrei Melnikow, stellvertretender Direktor der Abteilung Internationale Kooperation der russischen Notenbank, im September auf einer Konferenz erklärte. Auch wenn die Zahlen für 2022 noch nicht feststehen - laut Melnikow gewinnt die chinesische Währung an Boden. Die Nachfrage nach Yuan-Liquidität sei aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu traditionellen Zahlungsmethoden und der im Ausland eingefrorenen Gold- und Währungsreserven stark gestiegen.
Russlands Notenbank-Gouverneurin Elvira Nabiullina hat die Entwicklung genau im Blick. Vor Abgeordneten sagte sie kürzlich, der Zustrom an Yuan weise auf eine "Transformation der Währungszusammensetzung" der russischen Wirtschaft hin. Aufseher sehen aber auch Gefahren wie etwa die einer Ungleichheit zwischen einer wachsenden Zahl an Yuan-Einlagen und eines gleichzeitig nur langsamen Anstiegs der Kreditvergabe in Yuan. Geldhäuser sollten aus Sicht der Zentralbank daher das wachsende Risiko einer "Yuanisierung" ihrer Bilanzen eindämmen, indem sie etwa vermehrt Importzahlungen in Yuan leisten oder den Yuan bei Handelsgeschäften mit anderen Ländern einsetzen. Eine Eindämmung der Nutzung der chinesischen Währung ist derzeit aber nicht geplant, wie Elizaveta Danilova, Leiterin der Abteilung für Finanzstabilität der Zentralbank, auf einer Konferenz in diesem Monat sagte.
Akopian von Caderus Capital verweist auf Aussagen russischer Börsenhändler, dass ihre Kunden einen immer grösser werdenden Anteil ihrer Assets in Yuan hielten. "Bei den meisten russischen Banken kann man inzwischen ein Renminbi-Konto eröffnen", erzählt Akopian. Die Zinssätze seien sehr niedrig, weil Investoren Renminbi im Überfluss besässen. "Deshalb ist jedes Renminbi-Produkt, das auf den Markt kommt, sehr beliebt. Es besteht eine grosse Nachfrage."
(Reuters)