Die US-Wirtschaft ist nach der ersten offiziellen Schätzung im ersten Quartal 2024 um 1,6 Prozent gewachsen (annualisiert und im Vergleich zum Vorquartal). Diese fiel deutlich schwächer aus als die erwarteten 2,5 Prozent vom Konsens. «In Bezug auf das BIP handelt es sich hierbei um die erste grosse negative Überraschung seit einem Jahr», schreibt Daniel Hartmann, Chefökonom von Bantleon, in einer Notiz.

Der Aussenhandel war entscheidend für diese Entwicklung, da aufgrund eines starken Anstiegs der Importe (+7,2 Prozent) ein negativer Wachstumsbeitrag von -0,9 Prozentpunkten geleistet wurde. Darüber hinaus enttäuschten der private Konsum (+2,5 Prozent, Konsens: +3,0 Prozent) sowie der Staatsverbrauch (+1,2 Prozent) mit geringeren Zuwachsraten als erwartet. Die Unternehmensinvestitionen entwickelten sich dagegen ungefähr wie erwartet (+2,9 Prozent). Die Wohnbauinvestitionen überraschten sogar positiv (+13,9 Prozent), machen jedoch nur einen sehr kleinen Teil (knapp 4 Prozent) der BIP-Statistik aus.

Während eine solche Abkühlung normalerweise den Ruf nach einer Lockerung der Zinssätze verstärken würde, zeigt der Bericht auch einen unerwartet starken Anstieg der Verbraucherpreise auf. Dadurch sind die Handlungsmöglichkeiten der Federal Reserve stark eingeschränkt, da die Zentralbank deutlich gemacht hat, dass sie eine niedrigere Inflation benötigt, um eine Zinssenkung zu ermöglichen. Die Aktien, die bereits eine solche Zinssenkung eingepreist haben, erlitten daher deutliche Verluste.

Stagflationsgefahr

Es besteht die Gefahr einer Stagflation. Dieser Begriff wird verwendet, um die konjunkturelle Situation einer Volkswirtschaft zu beschreiben, in der die Inflation steigt, obwohl es kaum oder kein Wirtschaftswachstum gibt. Das Wort setzt sich aus den Begriffen «Stagnation» und «Inflation» zusammen. Die letzte Stagflation in den USA trat in den 1970er Jahren auf. Dieser Präzedenzfall gibt uns einen Hinweis darauf, wie sich die wirtschaftliche Lage in den USA entwickeln könnte und verdeutlicht, warum Ökonomen eine Wiederholung unbedingt vermeiden wollen.

Zu Beginn dieses Jahrzehnts führten geopolitische Meinungsverschiedenheiten dazu, dass die OPEC-Koalition die Rohölexporte in die USA einschränkte, was zu einem Anstieg der Energiepreise führte. In Kombination mit hohen Staatsausgaben und der Aufhebung der Bindung des Dollars an Gold führte dies zu einer zweistelligen Inflationsrate, während die Wirtschaft stagnierte.

Dieser Zeitraum war so turbulent, dass er langjährige makroökonomische Theorien auf den Kopf stellte und die Fed dazu zwang, ihre Rolle in der Wirtschaft zu verstärken. Um endlich die Kontrolle zurückzugewinnen, sah sich der damalige Fed-Vorsitzende Paul Volcker gezwungen, die Zinssätze auf erschreckende 20 Prozent zu erhöhen. Dies beruhigte zwar den Preisanstieg, führte aber auch zu einer tiefen Rezession in den USA.

JPMorgan-Chef befürchtet Schlimmeres

Aus diesem Grund scheuen die heutigen Analysten Vergleiche mit der Zeit vor 50 Jahren, und deshalb sind Stagflationsprognosen so wichtig. Jamie Dimon von JPMorgan hat in letzter Zeit Anspielungen auf die stagflationären 1970er Jahre gemacht und davor gewarnt, dass die Märkte den Zustand der Wirtschaft zu optimistisch betrachten.

«Ich mache mir Sorgen, dass es mehr wie in den 70er Jahren aussieht, als wir je zuvor gesehen haben», sagte der prominente Bankchef letzte Woche beim Economic Club of New York. Sein Argument basiert darauf, dass die Staatsausgaben erneut explodiert sind, während die Wirtschaft mit einer Reihe von Inflationstreibern konfrontiert ist, von der umweltfreundlichen Industrialisierung bis hin zur globalen Remilitarisierung.

Dennoch ist eine Stagflation immer noch weit entfernt. Trotz der hartnäckig hohen Inflation rechnen die Märkte weiterhin mit mindestens einer Zinssenkung in diesem Jahr. Zudem haben die Barclays-Analysten um Pooja Sriram nach dem BIP-Bericht darauf hingewiesen, dass die Endverkäufe an inländische Käufer ausreichend gestiegen sind, was darauf hindeutet, dass die Nachfragebedingungen weiterhin stark sind.

Inflationsdaten am Freitag im Fokus

Der Bericht über die persönlichen Konsumausgaben am Freitag, der als wichtigster Inflationsindikator der Fed gilt, wird den Anlegern ein klareres Bild von der Inflationsentwicklung vermitteln. Sollte er steigen, wird die Fed kaum eine andere Wahl haben, als ihre Politik weiter zu straffen, so David Donabedian, Anlagechef von CIBC Private Wealth US.

«Wir sind nahe daran, dass alle Zinssenkungserwartungen der Anleger zurückgenommen werden. Das zwingt Chair Powell dazu, bei der nächsten FOMC-Sitzung einen hawkishen Ton anzuschlagen», schrieb der Anlagechef der kanadischen Bank in einer Notiz.

Für die Aktienmärkte ist die sich anbahnende Wachstumsabkühlung perspektivisch eine negative Botschaft. Kurzfristig leiden jedoch vor allem US-Treasuries unter den Inflationsdaten. «Sollte sich bestätigen, dass die Jahresrate des PCE-Kerndeflator bei 2,8 Prozent verharrt oder sogar auf 2,9 Prozent angestiegen ist, werden die Hoffnungen auf baldige Leitzinssenkungen der Fed weiter schwinden», warnt Hartmann.

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