Der cash Insider berichtet im Insider Briefing jeweils vorbörslich von brandaktuellen Beobachtungen rund um das Schweizer Marktgeschehen und ist unter @cashInsider auch auf Twitter aktiv.

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Die letzten Tage erwiesen sich für den Schweizer Aktienmarkt mehr oder weniger als ein Nullsummenspiel. Am breit gefassten Swiss Performance Index (SPI) gemessen zeichnet sich ein leichtes Wochenplus ab.

Schon seit Wochen spielt die Musik fast ausschliesslich in New York. Dort steht das Börsengeschehen ganz im Zeichen des Hypes rund um die jüngsten Fortschritte bei der generativen künstlichen Intelligenz, kurz "GenAI". Dieser Hype zieht Anlagegelder in Milliardenhöhe an. Gelder, welche an anderen Börsen dann fehlen.

Nur um in etwa eine Vorstellung von der Grössenordnung zu erhalten: Erhebungen der Bank of America zufolge flossen den Aktienfonds alleine in den vergangenen zwei Wochen unter dem Strich 22,5 Milliarden Dollar zu. Das ist der höchste gemessene Zufluss seit Januar. Unnötig zu erwähnen, dass ein ansehnliches Stück dieses Kuchens an Fonds ging, welche sich auf Technologieaktien spezialisiert haben.

Bei den hiesigen Unternehmen lassen sich die möglichen "GenAI"-Profiteure an einer Hand abzählen. Für Analyst Jörn Iffert von der UBS zählt die VAT Group aus dem Rheintal zu diesen Unternehmen. Vor wenigen Tagen schrieb er ausführlich zu diesem Thema, nachdem er den Valoren des Vakuumventilherstellers zuvor mit einer kräftigen Erhöhung seines 12-Monats-Kursziels auf 375 (zuvor 305) Franken zu einem kleineren Höhenflug verhalf.

Ich kommentierte die Kurszielerhöhung und den zweistelligen Tagesgewinn dieser Aktien damals wie folgt:

Zu meiner Überraschung liess der UBS-Analyst die Gelegenheit ungenutzt verstreichen, sein 12-Monats-Kursziel erneut anzuheben. Es war, als hätte er bereits geahnt, dass die VAT Group tags darauf für sämtliche 650 Produktionsmitarbeitenden am Hauptsitz in Haag Kurzarbeit einführen würde. Gleichzeitig wartete das Unternehmen in der Medienmitteilung mit vorsichtigen Aussagen zur Geschäftsentwicklung in der zweiten Jahreshälfte auf – was an der Börse nach dem Höhenflug der letzten Wochen verständlicherweise nicht gut ankam.

Kursentwicklung der VAT-Aktien seit Jahresbeginn (Quelle: www.cash.ch)

Die Euphorie rund um das Thema "GenAI" dürfte die Anlegerinnen und Anleger allerdings grosszügig über die kurzfristige Auftragsflaute bei den Rheintalern hinwegblicken lassen. Ähnliches dürfte für die vielen Analysten und ihre Kaufempfehlungen gelten.

Während die Valoren von Unternehmen aus der Halbleiterindustrie gefragt sind, fristen die Valoren von Nestlé, Roche und Novartis ein Mauerblümchen-Dasein. Die defensiven Attribute der drei Indexschwergewichte sind momentan schlichtweg nicht gefragt.

Nicht so recht in dieses Bild will da die Heraufstufung des Schweizer Aktienmarktes von "Underweight" auf "Overweight" durch die britische HSBC passen. Die Strategen heben einerseits die guten Gewinnaussichten, andererseits aber auch die hohe Widerstandsfähigkeit der hiesigen Unternehmenslandschaft in einem zusehend schwierigeren Wirtschaftsumfeld hervor.

Auch die Berufskollegen bei der Bank of America räumen dem Schweizer Aktienmarkt als einzigem Börsenplatz in ganz Europa mit "Overweight" ein überdurchschnittliches Gewicht in den Kundenportefeuilles ein. Grund ist der hohe Anteil von Unternehmen aus der Nahrungsmittel- und der Pharmaindustrie. Die Aktien aus diesen beiden Wirtschaftszweigen werden ebenfalls mit "Overweight" eingestuft.

Am Mittwoch berichtete ich davon, dass sich die amerikanische Grossbank nach monatelangen Warnungen vor einer 20-Prozent-Korrektur in Europa neuerdings kleinlaut gibt. Ich schrieb:

...und...

Technologieunternehmen sucht man bei den hiesigen Blue Chips – mit der Ausnahme Logitechs – vergebens. Spätestens nach dem genauso überraschenden wie rasanten Rücktritt des langjährigen Firmenchefs Bracken Darrell haben die Lausanner jedoch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Dass der Verwaltungsrat der Weltöffentlichkeit noch keinen Nachfolger präsentieren konnte, lässt erahnen, dass der Rücktrittswunsch unerwartet kommt.

Ich selber wäre nicht überrascht, wenn Darrell aufgrund seines geradezu beeindruckenden Leistungsausweises von einem deutlich grösseren Branchennachbarn abgeworben worden wäre.

Unter dem langjährigen Firmenchef ist Logitech zu einem Vorzeigeunternehmen mit der Innovationskraft eines Start-Ups herangewachsen. Nun kehrt ebendieser Architekt seinem Arbeitgeber den Rücken – und das noch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.

Nachdem die Kasse der Lausanner während der Pandemie kräftig klingelte, waren Umsatz und Gewinn zuletzt stark rückläufig. Folglich lief es nicht mehr ganz so gut. Stummer Zeuge: Der Aktienkurs, welcher sich seit dem Rekordhoch vom Frühsommer 2021 bei knapp 125 Franken mehr als halbiert hat.

Auch der Rücktritt Darrells stiess der Börse diese Woche sauer auf, hatten die Valoren am Mittwoch doch zweistellige Kursverluste zu beklagen. Der Analyst der Citigroup strafte die Logitech-Aktien von "Buy" auf "Neutral" ab, sein Berufskollege bei der Zürcher Kantonalbank ging von "Übergewichten" auf "Marktgewichten".

Ich bin nun neugierig, ob sich der Verlust des langjährigen Firmenchefs auch beim Tagesgeschäft bemerkbar macht – und nicht weniger wichtig: Wohin es Bracken Darrell künftig verschlägt.

Apropos Überraschungen: Beim Verwaltungsrat von SoftwareOne ging ein unverbindliches Übernahmeangebot von Bain Capital ein. Der Finanzinvestor bietet den Aktionärinnen und Aktionären 18,50 Franken in bar je Aktie. Den Segen der Gründeraktionäre – gemeinsam halten diese gut 29 Prozent am Unternehmen - haben die Amerikaner bereits.

Höhenflug der SoftwareOne-Aktien nach Bekanntwerden der Bain-Offerte (Quelle: www.cash.ch)

Dass der Verwaltungsrat das Angebot als ungenügend zurückweist, dürfte auch damit zu tun haben, dass SoftwareOne im Oktober 2019 zu 18 Franken je Aktie an die Börse gebracht wurde. Mit 18,50 Franken liegt die Offerte aus Übersee nur geringfügig über dem damaligen Ausgabepreis. In der Spitze wurden einst sogar Kurse von knapp 30 Franken bezahlt. Wer sich damals Aktien anlachte, hat spätestens jetzt das Nachsehen.

Anhand eines Discounted-Cashflow-Modells ermittelt Analyst Andreas Müller von der Zürcher Kantonalbank einen fairen Aktienkurs von 17 Franken. Da die Gründeraktionäre mit ihren 29 Prozent das Angebot unterstützen, glaubt er, dass Bain Capital erfolgreich sein wird.

Seine Berufskollegen bei der Bank Julius Bär und Kepler Cheuvreux widersprechen ihm. Für Bär-Analyst Cengizhan Sen sind die Aktien von SoftwareOne mindestens 20 Franken wert. Dort liegt denn auch sein Kursziel. Kepler-Analyst Florian Treisch geht sogar noch einen Schritt weiter und stuft die Valoren mit einem Kursziel von 22 (zuvor 17) Franken von "Hold" auf "Buy" herauf. Er stemmt sich damit gegen das vorliegende Angebot und weist dieses ebenfalls als ungenügend zurück.

Sein Berufskollege bei der Bank Julius Bär schätzt die Situation vermutlich richtig ein, wenn er schreibt, dass Bain Capital angesichts der Akzeptanz der Gründeraktionäre vermutlich zu einem günstigen Preis zum Zug kommt...

Keine gute Woche hatte Veraison. Für den aktivistischen Vermögensverwalter gingen diese Woche gleich zwei Hiobsbotschaften ein.

So büssten die Aktien von Evolva knapp die Hälfte ihres Werts ein, nachdem der Nahrungsergänzungsmittelhersteller von Finanzierungsproblemen berichtete und die zuvor kommunizierten Finanzziele kassierte. Das Unternehmen führt nun Gespräche mit möglichen Partnern und schliesst selbst einen Verkauf nicht aus.

Neben Pictet Asset Management (knapp 9 Prozent) zählt Veraison (gut 5 Prozent) zu den mit Abstand grössten Evolva-Aktionären. Beide Vermögensverwalter waren zu deutlich höheren Kursen eingestiegen.

Auch bei Calida gibt es schlechte Neuigkeiten zu beklagen. Der Unterwäschehersteller trennt sich nach gerade einmal einem Jahr wieder von Erlich Textil. Dieser Fehlgriff kostet das Unternehmen bis zu 25 Millionen Franken, die an Wertberichtigungen anfallen.

Neuerdings geht Calida im laufenden Jahr von einem Rückgang beim Umsatz sowie beim operativen Gewinn (EBIT) aus. Folglich sollen auch die bisherigen Mittelfristziele unter negativen Vorzeichen überarbeitet werden.

Mit einem Stimmenanteil von knapp 10 Prozent ist Veraison der zweitgrösste Aktionär des Unterwäscheherstellers. Nur die Familie Kellenberger bringt mit 33,4 Prozent noch mehr Stimmen auf die Waage.

Ob der für seine aktive Einflussnahme bei Unternehmen berüchtigte Vermögensverwalter kommende Woche weitere Hiobsbotschaften zu verkraften hat, wissen wir spätestens nächsten Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.

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