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An der Börse kommen die unterschiedlichsten Akteure zusammen. Mächtige Fonds-Giganten treffen auf Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften, Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften auf Hedgefonds und die wiederum auf eine gewaltige Schar von Kleinanlegern. Auch die Banken mischen kräftig mit – manchmal auf eigene Rechnung, manchmal auch nicht.

Allerdings wird ein immer grösser werdender Teil des täglichen Handelsvolumens gar nicht mehr durch Menschenhand gesteuert. Vieles übernehmen mittlerweile Computerprogramme. Wenn sich etwa ein Kleinanleger ein strukturiertes Produkt oder einen Warrant anlacht, dann löst das beim Herausgeber automatisch einen Kaufauftrag für die zugrundeliegenden Aktien aus. Und ist der Warrant dynamisch abgesichert, dann werden bei steigenden oder fallenden Kursen automatisch Titelpositionen zugekauft oder ausgedünnt. Letzteres erklärt übrigens auch die vielen unterschiedlichen Gegenparteien, wenn man einen Wertschriftenauftrag aufgibt.

Eines haben viele dieser Akteure übrigens gemeinsam: Sie alle machen momentan einen grossen Bogen um die Valoren von Nestlé, Roche und Novartis. Von einem regelrechten Käuferstreik ist die Rede.

Kursentwicklung der Bons von Roche in den letzten 12 Monaten (Quelle: www.cash.ch)

Selbst als am Dienstagnachmittag zahme US-Teuerungsfakten den europäischen Börsen satte Kursgewinne bescherten, blieb das Interesse an den hiesigen Schwergewichten aus dem Swiss Market Index (SMI) überraschend gering. Die Aktien von Novartis gaben sogar leicht nach.

In den letzten Wochen und Monaten habe ich immer wieder auf die für diese Zeit des Jahres dünnen Handelsumsätze hingewiesen. Vermutlich wären diese bei Nestlé und Novartis noch viel tiefer, würden die beiden Unternehmen nicht über eine zweite Handelslinie eigene Aktien zurückkaufen. Es gilt als ein offenes Geheimnis, dass zwischen der regulären und dieser zweiten Handelslinie rege Arbitrage betrieben wird. Ich will mir gar nicht erst ausmalen, wo die Kurse der beiden Aktien heute denn ohne die milliardenschweren Rückkäufe stünden.

Interessant ist, dass mehr als die Hälfte des Tagesvolumens am Schweizer Aktienmarkt immer erst in der Zeit nach Handelsbeginn an der New Yorker Börse – sprich ab 15.30 Uhr – anfällt. So sind es halt trotzdem immer noch die übermächtigen amerikanischen Grossinvestoren, welche selbst bei uns den Ton angeben.

Derweil nimmt der Käuferstreik bei den hiesigen Schwergewichten Züge an, welche sich fundamental betrachtet kaum noch erklären – geschweige denn rechtfertigen - lassen. Auf die nächstjährigen Analystenschätzungen abgestützt errechnet sich bei Novartis gerade noch ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 13. Platzrivale Roche wird sogar nur mit einem KGV von 12 bewertet. Doch selbst die hohe Dividendenrendite von 4 Prozent scheint kaum Käufer hinter dem Ofen hervorzulocken. Dadurch, dass sich der Schweizer Aktienmarkt zuletzt kräftig erholen konnte, sind diese Papiere relativ betrachtet gleich nochmals günstiger geworden.

Selbst die Aktien des Analysten-Lieblings Nestlé leiden unter einem schleichenden Kurszerfall (Quelle: www.cash.ch)

Doch nicht nur die SMI-Schwergewichte haben seit Mai dieses Jahres einen Durchhänger. Ich denke da auch an Aktien von Vorzeigeunternehmen wie Sika, Zurich Insurance oder Swisscom. Diese fristen ein sehr ähnliches Schicksal. Ihre defensiven Qualitäten sind momentan schlichtweg nicht gefragt.

Ich hatte in den letzten Tagen die Möglichkeit, mich mit einem alteingesessenen Profi auszutauschen. Er ist seit mehr als einem halben Jahrhundert an der Börse tätig und ist damit noch zwei Jahrzehnte länger im Geschäft als ich es bin.

Der besagte Profi – übrigens ein wohlgeschätzter Leser meiner Kolumne – stösst sich an der Flaute bei besagten Aktien. Er bezeichnet das seit Mai zu beobachtende Geschehen sogar als "Schabernack-Börse" oder "Mickey-Maus-Börse" und spricht ihr jegliche Rationalität ab.

Auch ich bin immer wieder erstaunt und überrascht, wie prozyklisch das hiesige Börsengeschehen geworden ist. Man erkennt es manchmal kaum wieder. Im Frühling letzten Jahres bei Kursen um die 400 Franken gab es kaum eine Bank, welche die Genussscheine von Roche nicht zum Kauf anpries. Dem damaligen Höhenflug schienen keine Grenzen gesetzt. Und gerade in amerikanischen Analystenkreisen überbot man sich gegenseitig mit immer noch extremeren Kursprognosen. Heute – eineinhalb Jahre später und 160 Kursfranken tiefer, machen dieselben Banken und Analysten einen grossen Bogen um die Valoren des Basler Pharma- und Diagnostikkonzerns.

Ein anderes Bild bietet sich dem geschulten Auge bei Nestlé: Eigentlich ist man sich in Analystenkreisen einig, dass die Aktien des Nahrungsmittelmultis aus Vevey bei 125 Franken oder mehr stehen müssten. Da frage ich mich doch, wo denn da bei 100 Franken und weniger die Schnäppchenjäger bleiben. Oder sind die vielen Kaufempfehlungen nichts weiter als ein blosses Lippenbekenntnis...?!

Momentan graben die Tech-Giganten Microsoft, Apple und Co in New York und die Aktien von Herstellern von Wirkstoffen zur Gewichtsreduktion wie Novo Nordisk (Wegovy) und Eli Lilly (Mounjaro) vielen anderen Titelsegmenten im grossen Stil das Wasser ab.

Vergleichbare Börsenphasen gab es auch in der Vergangenheit immer wieder. Ich denke da etwa an die Tech-Blase Ende der Neunzigerjahre oder an den Höhenflug der Finanzwerte unmittelbar vor dem Kollaps von Bear Stearns und Lehman Bros im Schicksalsjahr 2008. Und meistens waren die hiesigen Qualitätsaktien die Leidtragenden.

Und für diejenigen wie meinen wohlgeschätzten Leser und mich, die immer mal wieder an der Effizienz der Finanzmärkte zweifeln, gibt es die Gewissheit, dass solche Börsenexzesse nicht von Dauer sind und das Pendel irgendwann wieder zurückschlägt. Wie würden die Amerikaner doch sagen: "Hypes come and go – but Roche, Nestlé and Co are here to stay".

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