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Bei den Grosskonzernen aus dem Swiss Market Index (SMI) ist die Jahresberichterstattung weit fortgeschritten. Mittlerweile haben 15 der 20 Unternehmen ihre Abschlüsse veröffentlich. Nächste Woche kommen mit Holcim und Swiss Re zwei weitere hinzu.

Nach den beiden Basler Pharmagiganten Roche und Novartis legte gestern Donnerstag mit Nestlé das dritte Schwergewicht das Resultat vor. Allen Unkenrufen zum Trotz war es dem Nahrungsmittelmulti aus Vevey im Schlussquartal sogar möglich, das organische Umsatzwachstum auf 7,2 Prozent zu beschleunigen. Analysten waren von einer Verlangsamung auf 6 Prozent ausgegangen. Allerdings sorgten die zuletzt stark gestiegenen Herstellkosten, dass der operative Gewinn (EBIT) den Erwartungen nur knapp gerecht wurde.

Von steigenden Herstellkosten zeugen auch die diesjährigen Vorgaben, strebt Nestlé neben einem organischen Umsatzwachstum von 5 Prozent doch eine operative Marge (EBIT) zwischen 17 und 17,5 Prozent an. Das liegt unter den von Analysten durchschnittlich erwarteten 17,5 Prozent.

In einer Telefonkonferenz bezeichnete Firmenchef Mark Schneider die Jahresvorgaben gegenüber Analysten dann jedoch als "konservativ". Sprich: Man stapelt absichtlich tief.

Mein persönlicher Lichtblick war einmal mehr das kräftige Wachstum im Onlinegeschäft. In diesem Geschäftszweig steigerte Nestlé den Jahresumsatz um 15 Prozent. Dadurch stieg der Anteil am Gruppenumsatz auf respektable 14,3 Prozent.

Zur Erinnerung: Firmenchef Schneider will den Umsatzanteil dieses Vertriebskanals bis Ende 2025 auf 25 Prozent ausbauen. Das wiederum entspräche einem jährlichen Wachstum um 20 Prozent, wobei der Fokus auf dem Ausbau des Direktvermarktungsgeschäfts liegt. Nestlé sieht darin einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Rivalen.

Kursentwicklung der Nestlé-Aktien über die letzten zwei Wochen (Quelle: www.cash.ch)

Diese ambitionierten Pläne machen Nestlé zwar nicht gleich zur nächsten Amazon. Dennoch müsste sich die steigende Bedeutung dieses zukunftsträchtigen Vertriebskanals längerfristig eigentlich positiv im Kurs- und Bewertungsniveau der Aktien niederschlagen.

Doch ganz so ruhig und besonnen wie der Swiss Performance Index (SPI) und das Schwergewicht Nestlé den geübten Beobachter glauben lassen will, war das Börsengeschehen dann aber doch nicht. Ganz im Gegenteil: Wohin man in den letzten Tagen auch blickte, sah man teils ziemlich heftige Kursverwerfungen. So unberechenbar und launisch war die Börse noch selten.

Gerade für die Aktionärinnen und Aktionäre des Spezialitätenchemieherstellers Clariant begann die Woche mit einem Paukenschlag. Die Baselbieter verschieben die Veröffentlichung des Jahresergebnisses, nachdem Hinweise eingegangen waren, wonach Mitarbeiter in den vergangenen zwei Jahren absichtlich Rückstellungen und Abgrenzungen falsch verbucht haben könnten.

Eine Untersuchung durch externe Berater ist zwar weit fortgeschritten, das finanzielle Ausmass vorerst allerdings noch nicht absehbar. Auch bleibt unklar, ob auch frühere Jahresabschlüsse davon betroffen sind.

Erste provisorische Eckdaten waren der Medienmitteilung dann aber trotzdem zu entnehmen, beispielsweise dass der Gruppenumsatz im letzten Jahr um 15 Prozent auf 4,37 Milliarden Franken gestiegen und mit einer operativen Marge (EBITDA) zwischen 16 und 17 Prozent zu rechnen sei. Geht man bei der Marge vom Mittelwert aus, bewegt sich das Jahresergebnis in etwa im Rahmen der durchschnittlichen Analystenerwartungen.

Dennoch gerieten die Aktien am Montag unter die Räder. Nachdem zeitweise Kurse von 16 Franken und weniger bezahlt worden waren, gingen die Papiere des Spezialitätenchemieherstellers an diesem Tag um ziemlich genau 16 Prozent tiefer aus dem Handel hervor.

Eine eher etwas unglückliche Falle machte Jefferies-Analyst Chris Counihan. Er hatte die Valoren von Clariant nur eine Woche zuvor mit einem Kursziel von 23 (zuvor 18,20) Franken von "Hold" auf "Buy" heraufgestuft.

Nach den Hiobsbotschaften vom Hauptsitz in Muttenz macht er diesen Schritt nun rückgängig. Neuerdings lautet das Anlageurteil wieder "Hold" und das Kursziel sogar nur noch 18 (zuvor 23) Franken. Unter dem Strich sind so beim Kursziel sogar 20 Rappen auf der Strecke geblieben...

Im Wissen, dass sich bei den Kaufargumenten des Analysten eine Woche zuvor alles um eine mögliche Sonderdividende oder eine Zerschlagung Clariants in einzelne Geschäftszweige drehte und beides auch heute noch ohne weiteres möglich ist, überrascht mich dieser Handtuchwurf schon sehr. Da frage ich mich doch: Weiss Counihan mehr als wir Normalsterblichen...?

Kommen wir auf Logitech zu sprechen. Noch vor wenigen Tagen sah alles danach aus, als ob die Aktionärinnen und Aktionäre dieses Unternehmens mit einem blauen Auge davonkommen. Denn während in den vergangenen Wochen eine Technologieaktie nach der anderen unter die Räder geriet, wusste sich jene des Unterhaltungselektronikspezialisten stets zu behaupten.

Gestern Donnerstag gerieten die Kurse dann aber auch bei den Lausannern ins Rutschen. Von aggressiven Verkäufen aus dem angelsächsischen Raum gebeutelt, gingen die Valoren um mehr als acht Prozent tiefer aus dem Handel. Das dürfte gerade die Leerverkäufer freuen, haben sie ihre Wetten gegen Logitech zuletzt doch auf knapp 12 Prozent der ausstehenden Aktien ausgebaut.

Den Stein ins Rollen – oder besser gesagt die Kurse zum Purzeln – brachte übrigens ein Kommentar von Morgan Stanley. Darin berichtet Autor Erik Woodring nach Nachforschungen von randvollen Produktlagern in den Absatzkanälen der Lausanner. Diese seien fast doppelt so stark bestückt wie in der Zeit vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Seines Erachtens könnte sich das künftig rächen. Er bleibt mit seinen Umsatz- und Gewinnerwartungen jedenfalls hinter den Schätzungen anderer Berufskollegen zurück.

Die Aktien von Logitech schmierten zuletzt regelrecht ab (Quelle: www.cash.ch)

Der Analyst stuft die in New York gehandelten Aktien wie bis anhin mit "Underweight" und einem Kursziel von 74 Dollar ein. Unter gewissen Umständen rechnet er gar mit Kursen von 48 Dollar.

Unter normalen Umständen hätte eine solche Wortmeldung nie zu derartigen Kursverwerfungen geführt. Aber in diesen Tagen ist eben alles ein bisschen anders.

Dass es auch anders geht, zeigt sich am Beispiel von Temenos. Dass sich die Valoren vom zahlenbedingten Kurstaucher erholen und wieder in den dreistelligen Frankenbereich zurückfinden konnten, ist nicht zuletzt einer vertrauensbildenden Massnahme eines Mitglieds der Geschäftsleitung zu verdanken. Letzteres griff beherzt zu und erwarb mal eben schnell für 5 Millionen Franken Aktien des eigenen Arbeitgebers.

Dennoch ist die Bankensoftwareschmiede aus Genf an der Börse nur noch ein Schatten vergangener Tage. Die Umstellung des Geschäftsmodells auf Software im Abonnement braucht weiterhin viel Zeit und Geduld. Und von den prozentual zweistelligen Wachstumsraten der letzten Jahre lässt sich nurmehr träumen.

Ich berichtete diese Woche von Analyst Cengizhan Sen von Julius Bär. Er rät seiner Anlagekundschaft, in die Kursschwäche hinein Zukäufe zu tätigen und sieht in der Genfer Bankensoftware-Schmiede nun erst recht ein heisses Übernahmeziel für einen ausländischen Interessenten. Neuerdings veranschlagt der Analyst noch ein Kursziel von 140 (zuvor 165) Franken.

Dass Sen in Temenos ein heisses Übernahmeziel sieht, macht ihn übrigens zum Wiederholungstäter. Nach demselben Strickmuster ging er einst schon beim Sensorenhersteller AMS vor.

Ich kommentiert das damals wie folgt:

Mal schauen, was uns die kommende Woche so bringt und ob das Börsengeschehen dann etwas weniger launisch ist...

 

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