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Über lange Wochen hinweg hielten uns Wirtschaftsjournalisten und Börsenkolumnisten am Schweizer Aktienmarkt über Unternehmen mit ihren Zahlenkränzen auf Trab. Mittlerweile meldet sich allenfalls noch der eine oder andere Nachzügler zu Wort. Wer nun allerdings denkt, dass damit endlich etwas Ruhe einkehrt, der irrt.
In die Lücke springen die Banken und ihre Analysten. Ich zähle alleine am heutigen Freitag nicht weniger als sieben Erstabdeckungen, Umstufungen oder Wiederabdeckungen. Dabei fällt auf, dass man sich mit immer aufsehenerregenderen Aktienempfehlungen oder Kurszielen gegenseitig zu überbieten versucht. Im lauten Hintergrundlärm des Börsengeschehens bekommt nur noch derjenige Aufmerksamkeit, der am lautesten schreit. So kommt es mir zumindest vor.
Die für Kepler Cheuvreux tätige Analystin Justine Telliez etwa nimmt die Abdeckung der Galderma-Aktien mit «Buy» und einem Kursziel von 137 Franken auf. Es ist das höchste mir bekannte Kursziel für diese Papiere. Sogar die einst mit dem Börsengang betraute UBS veranschlagt «bloss» ein Zwölf-Monats-Kursziel von 128 Franken. Die Valoren gingen am Donnerstagabend bei etwas mehr als 113 Franken aus dem Handel.
In der 72 Seiten starken Unternehmensstudie räumt die Autorin zwar ein, dass der Spezialist für dermatologische Wirkstoffe seit seinem Gang an die Börse bereits eine grundlegende Höherbewertung erfahren habe und die Aktien beileibe kein Schnäppchen mehr sind. Dennoch glaubt sie, dass dem Unternehmen der Wachstumsschub erst noch bevorstehe.
Die Aktien von Galderma verspüren schon seit Tagen starken Rückenwind (Quelle: www.cash.ch)
Mitunter ein Grund für das hohe Kursziel dürften die Schätzungen der Analystin für das Hautmittel Nemluvio sein. Sie traut dem Präparat in der Spitze einen Jahresumsatz von mehr als 3,5 Milliarden Dollar zu. Das wiederum liegt klar über den Annahmen anderer Berufskollegen.
Ansonsten erscheint mir die Studie gut recherchiert. Die darin genannten Kaufargumente sind schlüssig. Wirklich neue Erkenntnisse sucht man als Leser jedoch vergeblich.
Ebenfalls mit der grossen Kelle richtet Lucas Glemser von der Berenberg Bank bei Huber+Suhner an. In einer Unternehmensstudie nimmt er die Erstabdeckung dieser Aktien mit «Buy» und einem Kursziel von 100 Franken auf, was weit über den Schlusskursen vom Donnerstagabend bei 81 Franken liegt. Nur die Nebenwertespezialisten von Research Partners kommen ebenfalls auf ein Kursziel von 100 Franken.
Der Berenberg-Analyst begründet seine Zuversicht nicht zuletzt mit der starken Stellung des Unternehmens im Zuliefergeschäft für die Rüstungsindustrie sowie für Rechenzentren. In beiden Geschäftszweigen rechnet er mittelfristig mit einer erfreulichen Wachstumsentwicklung. Den Bewertungsabschlag der Aktien gegenüber jenen anderer Branchennachbarn hält Glemser für nicht gerechtfertigt. Gesund ist das nicht.
Wie die Aktien von Galderma und Huber+Suhner haben sich auch jene von Implenia über die letzten Wochen geradezu beeindruckend entwickelt. Ähnlich verhält es sich bei den Valoren des Tiefbauspezialisten. In den vergangenen Tagen verliehen mit den Analysten von UBS und Kepler Cheuvreux gleich zwei Vertreter dieser Berufsgilde ihren Kaufempfehlungen mit kräftigen Kurszielerhöhungen Nachdruck. Der für die UBS tätige Tommaso Operto kommt neuerdings auf ein Zwölf-Monats-Kursziel von 60 (zuvor 47) Franken, sein Berufskollege Torsten Sauer als Chefanalyst bei Kepler Cheuvreux gar auf 62 (zuvor 45) Franken. In Bankenkreisen gilt Implenia als einer der Gewinner des milliardenschweren Infrastrukturpakets der neuen deutschen Regierung. Neu ist diese Erkenntnis nicht, zählen die Aktien des Tiefbauspezialisten nicht zuletzt auch deswegen mit einem Plus von mehr als 70 Prozent seit Januar doch zu den diesjährigen Börsenüberfliegern.
Aber bleiben wir doch noch bei Unternehmensstudien aus dem Hause Kepler Cheuvreux. Gestern Donnerstag sorgte der Broker in hiesigen Börsenkreisen mit einer ebensolchen zu Cosmo Pharmaceuticals für rege Diskussionen. Denn darin verleiht der Autor Nicolas Pauillac seiner Kaufempfehlung mit einer überraschenden Erhöhung des Kursziels auf 100 (zuvor 84) Franken nochmals Nachdruck. Überraschend deshalb, weil sich eine Experten-Kommission der europäischen Arzneimittelbehörde EMA vor wenigen Wochen gegen eine Marktzulassung des Aknemittels Winlevi ausgesprochen hatte und eigentlich eher mit Anpassungen unter negativen Vorzeichen zu rechnen gewesen wäre.
Der Analyst glaubt, dass der diesjährige Investorentag von Anfang Juli den Startschuss für eine grundlegende Neubeurteilung und -bewertung der Aktien geben könnte. Er geht davon aus, dass die neue Geschäftsleitung an diesem Tag mit einer fokussierteren Wachstumsstrategie aufwarten wird. Als mögliche Pfeiler dieser Strategie sieht Pauillac die Produkte GI Genius, Breezula sowie Winlevi.
Beim Haarmittel Breezula könnten sogar noch vor dem Investorentag wichtige Studienergebnisse anstehen. Der Analyst traut dem Präparat in der Spitze einen Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro zu und lässt diesen mit einer Zulassungswahrscheinlichkeit von 75 Prozent in sein Bewertungsmodell mit einfliessen. Sollte Breezula in den fortgeschrittenen Studien überzeugen können, hält er sogar Kurse von bis zu 128 Franken für möglich.
So etwas würde auch mich freuen, ist Cosmo Pharmaceuticals doch ein fester Bestandteil meiner Schweizer Aktienfavoriten für 2025 mit einer Gewichtung von um die fünf Prozent.
Kommen wir auf DocMorris und damit auf einen «Dauergast» in meiner Kolumne zu sprechen. Das hatten sich die Aktionärinnen und Aktionäre der Versandapotheke vermutlich anders vorgestellt: Kaum hat das Unternehmen seine Bilanz gestärkt, ziehen ausgerechnet im wichtigen deutschen Markt dunkle Wolken am Horizont auf.
Wie Analyst Sven Sauer von Kepler Cheuvreux schreibt, könnten den Versandapotheken dort die Umsätze mit elektronischen Medikamentenrezepten regelrecht wegbrechen, sollte die Gesundheits-ID ab dem kommenden April wie geplant das bisherige CardLink-Verfahren ablösen. Ohne die freiwillige Gesundheits-ID dürften viele Kundinnen und Kunden ihre elektronischen Medikamentenrezepte ab dann nämlich nicht mehr digital einlösen können, so die Befürchtung des Analysten.
Kurszerfall bei den DocMorris-Aktien seit Jahresbeginn (Quelle: www.cash.ch)
Am Dienstag strafte er die Aktien von Redcare Pharmacy deshalb kurzerhand von «Buy» auf «Hold» ab und kürzte das Kursziel auf 130 (zuvor 150) Euro. Während die Valoren der Erzrivalin an diesem Tag unter die Räder gerieten und um mehr als 20 Prozent tiefer aus dem Handel gingen, wurden auch jene von DocMorris in Sippenhaft genommen. Sie büssten immerhin knapp sechs Prozent ein – obwohl sie von Kepler Cheuvreux gar nicht abgedeckt werden.
Ob die Umsätze mit elektronischen Medikamentenrezepten bei unseren nördlichen Nachbarn ab April 2026 tatsächlich wegbrechen, wird sich zeigen müssen. Falls ja, wäre das aus Sicht der Aktionärinnen und Aktionäre von DocMorris an Ironie kaum zu überbieten. Als die Versandapotheke noch «Zur Rose» hiess, verkaufte sie ihre hiesigen Geschäftsaktivitäten für rund 360 Millionen Franken an die Migros, um an neue Mittel zu kommen. Notwendig machten diesen Befreiungsschlag Verzögerungen bei der Einführung elektronischer Medikamentenrezepte in Deutschland. Dann erwies sich dort der Wettbewerb mit der finanziell deutlich besser gestellten Redcare Pharmacy als kostspieliger als gedacht, was vor wenigen Wochen in einer üppigen Kapitalerhöhung mündete. Nicht auszudenken, was nun wäre, wenn die Umsätze mit elektronischen Medikamentenrezepten ab dem kommenden April wegbrechen würden...
Interessant erscheint mir übrigens, dass die Leerverkäufer die Kapitalerhöhung dazu genutzt haben, um ihre Wetten gegen DocMorris substanziell zurückzufahren. Mussten in der Vergangenheit in der Spitze bis zu 50 Prozent aller ausstehenden Aktien für Leerverkäufe herhalten, sind es mittlerweile keine neun Prozent mehr. Das geht aus aktuellen Erhebungen der Beratungsfirma S&P Global hervor.
Bleibt mir nichts anderes übrig als zu hoffen, dass der für die Deutsche Bank tätige Analyst Jan Koch mit seiner Vermutung richtig liegt, dass die Zertifizierung für CardLink im April nächsten Jahres verlängert wird. Ansonsten könnten sich die Leerverkäufer wieder an DocMorris festbeissen.
Am Dienstag gehörte Julius Bär die mediale Bühne, lud die Zürcher Bank an diesem Tag doch zum diesjährigen Investorenanlass nach London. Ich schrieb bereits am Freitag, dass der neue Firmenchef Stefan Bollinger in Sachen künftige Strategie und Mittelfristziele schon mit der grossen Kelle anrichten müsse, um die Erwartungen der Börse erfüllen zu können.
Und so kam es, wie es kommen musste: Die Reaktion fiel eher etwas unterkühlt aus. Die Aktien gingen am Dienstag tiefer aus dem Handel und konnten sich seither denn auch nicht wieder aufrappeln.
Der neue Firmenchef verkaufe seinen Aktionärinnen und Aktionären «alten Wein in neuen Schläuchen» war nur ein Vorwurf, der in hiesigen Börsenkreisen die Runde machte. Auch jener, dass die neuen Mittelfristziele zu wenig ambitioniert seien, war zu hören. Ausserdem wurde enttäuscht, wer schon jetzt mit neuen Aktienrückkäufen rechnete.
Mit Mate Nemes von der UBS verliert heute ein Analyst die Geduld, welcher die Aktien von Julius Bär gefühlt nunmehr schon seit Jahren zum Kauf anpreist. Er stuft die Valoren von «Buy» auf «Neutral» herunter und kürzt das Zwölf-Monats-Kursziel auf 55 (zuvor 64,50) Franken. Seine Gewinnschätzungen für die kommenden Jahre streicht Nemes um bis zu 25 Prozent zusammen. Seines Erachtens ist aus Anlegersicht viel Geduld gefragt.
Die Kaufempfehlung geht übrigens auf März 2022 zurück, als Kurse von um die 47 Franken bezahlt wurde. Damals lautete das Zwölf-Monats-Kursziel des Analysten sogar 75 Franken.
Auch ich bin nach dem Investorentag etwas desillusioniert. Zugegeben: Die neuen Mittelfristziele dürften realistischer als die bisherigen sein. Und vermutlich legt sich Stefan Bollinger damit den Grundstein für künftige Überraschungen. Allerdings erscheinen mir die Pläne eher farblos. Zudem ist – wie der UBS-Analyst treffend festhält – wohl viel Geduld gefragt. Das gilt auch für die Wiederaufnahme der Aktienrückkauftätigkeit.
An dieser Stelle wünsche ich allen meinen Leserinnen und Lesern ein erholsames Pfingstwochenende. Die nächste Mittags-Kolumne erscheint am kommenden Mittwoch zur gewohnten Zeit. Am Freitag heisst es dann bereits wieder: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.
Der cash Insider nimmt Marktgerüchte sowie Strategie-, Branchen- oder Unternehmensstudien auf und interpretiert diese. Marktgerüchte werden bewusst nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Gerüchte, Spekulationen und alles, was Händler und Marktteilnehmer interessiert, sollen rasch an die Leser weitergegeben werden. Für die Richtigkeit der Inhalte wird keine Verantwortung übernommen. Die persönliche Meinung des cash Insiders muss sich nicht mit derjenigen der cash-Redaktion decken. Der cash Insider ist selber an der Börse aktiv. Nur so kann er die für diese Art von Nachrichten notwendige Marktnähe erreichen. Die geäusserten Meinungen stellen keine Kauf- oder Verkaufsempfehlungen an die Leserschaft dar. |
2 Kommentare
Doc Morris verkauft nicht kostendeckend und das seit mehreren Jahren. Es sollte endlich mal eine vernünftige Kalkulation gemacht werden um in die Gewinnzone zu gelangen. Das heisst es müssten entweder die Verkaufspreise erhöht oder die Kosten gesenkt werden und nicht ständig durch hohe Werbeausgaben versucht werden mehr Umsatz zu generieren, insofern wäre weniger Umsatz positiv, denn je weniger Umsatz desto weniger Kosten und desto weniger Verlust.
Redcare steigt bereits wieder, nachdem Redcare die Einschätzung von Kepler Cheuvreux dementiert hat. Das fehlt mir bei DocMorris – solche Medienmitteilung. Und es fehlt mir auch bei der Einschätzung vom Cash-Insider, dass dies im Beitrag nicht erwähnt worden ist. Einmal mehr machen da die Analysten, was sie wollen. Bleibt zu hoffen, dass mit dem Wegfall von grossen Playern als Leerverkäufer, die gleichzeitig Analysten sind, es ruhiger wird.