Nach einem Rekordhoch Ende Dezember hat der Schweizer Aktienmarkt gemessen am Swiss Market Index (SMI) bis Anfang März deutlich korrigiert. Zuerst lasteten gestiegene Anleiherenditen und Zinsängste auf dem Leitindex, Ende Februar kam noch der Krieg in der Ukraine hinzu, was die Volatilität am Markt stark erhöht hat. Seither hat sich der SMI stark erholt, so dass sich das Kursminus seit Jahresbeginn auf 4 Prozent reduziert hat.
Sollte es zu weiteren Korrekturen kommen, würde Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler den Fokus für Zukäufe auf defensive Sektoren wie Nahrungsmittel oder Pharma legen. Geissbühler sieht die Chancen im Moment aber vor allem auch bei kleineren Unternehmen. "In Korrekturphasen verlieren diese Werte in der Regel überproportional", sagt Geissbühler zu cash.ch. Der Grund: Bei solchen Aktien werden tiefere Volumen gehandelt, was Kurse schneller sinken lässt, wenn die Anleger unsicher geworden sind.
Aktien, die in diese Kategorie fallen und bereits heute nicht übermässig teuer sind, sind für Geissbühler die typischen Industrieunternehmen Forbo, Bossard, Bucher, Orior oder Bell. "Diese Titel sollte man auf die Einkaufsliste setzen." Er spricht damit eine Handels-Strategie an, die oft "Buy the Dip" genannt wird.
Für Kurzzeit- und Langzeit-Investoren nicht gleich geeignet
Für einen Anfänger im Aktienhandel mag dieser Terminus jedoch vor allem Fragezeichen aufwerfen. "To buy the dip" heisst nichts anderes, als in eine Aktie oder einen Index zu investieren, nachdem dieser an Wert verloren hat. Während viele in einem solchen Moment das sinkende Schiff so schnell wie möglich verlassen wollen, nutzt ein gewiefter Anleger das Momentum, um sich Anteile zu einem billigeren Preis zu sichern und, bei einem möglichen Wiederanstieg der Aktie, umso grössere Gewinne einzufahren.
In der Praxis mag dies auch bedeuten, dass man bewusst Geld aus dem Aktiengeschäft heraushält und darauf wartet, dass die Marktpreise einer Aktie oder eines Indizes auf einen bestimmten Punkt fallen. Auf diese Weise Investitionen zu tätigen hat dabei den Vorteil, dass man zumindest mit der Gewissheit leben kann, dass der Aktieneinstieg nicht zeitgleich mit dem Allzeithoch eines Kurses erfolgt. Wesentliche Gewinne wären in einer solchen Situation nämlich nicht mehr zu erwarten, da die besten Zeiten des Wertpapiers in so einem Moment bereits der Vergangenheit angehören.
Wie gross die Gewinne bei Buy the Dip schlussendlich aussehen, bestimmt sich unter anderem auch danach, wie gross der "dip", also Kursrückgang, der Aktie zuvor ausgesehen hat. Eine genaue Bestimmung, wie gross der Niedergang der Aktie sein muss, um in der Folge einen ertragreichen Profit zu erzielen, erweist sich als schwierig. Die Buy-the-Dip-Praxis wird üblicherweise auch in Reaktion auf kurzfristige Preisbewegungen angewandt. Aus diesem Grund ist die Methode für Langzeit-Investoren eher ungeeignet.
Gilt «Buy the Dip» auch 2022 für den Gesamtmarkt?
Wenn man aber dennoch über eine längere Zeit hinweg vor allem bei Kursrückgängen zugreifen möchte, hat sich dies vor allem bei Index-Investitionen bewährt. So hat sich gezeigt, dass der amerikanische S&P 500 auf lange Frist tendenziell steigt, weshalb sich auch hier "to buy a dip" als lohnenswert erweisen kann. Doch auch hier sollte man sich bewusst sein, dass Abstürze eintreffen können. Diese gilt es in dieser Situation entweder durchzustehen oder die Anteile mit einem Verlust wieder zu verkaufen, bevor das Schiff noch weiter sinkt.
"Ob sich Buy the Dip auch in diesem Jahr für den Gesamtmarkt wirklich auszahlen wird, muss sich noch weisen. Richtig ist, dass die Strategie 2021 sehr erfolgreich war", sagt Raiffeisen-Anlagechef Geissbühler. In laufenden Jahr habe die Volatilität stark zugenommen. So hat der S&P 500 seit Jahresbeginn bis Ende Februar über 14 Prozent an Wert eingebüsst und damit zwischenzeitliches Korrektur-Territorium erreicht. In den letzten Wochen hat nach Geissbühlers Einschätzung vor allem eine technische Gegenerholung stattgefunden.
Aufgrund der aktuellen Gemengelage - explodierende Inflation, Ukraine-Krieg, Lockdowns in China, Stagflationsrisiken, US-Zinswende und mengenmässige Straffung der Geldpolitik - seien die Risiken aber generell deutlich gestiegen. "Damit nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass der Gesamtmarkt von einem 'Buy the Dip' zu einem 'Sell the Rallye'-Modus wechselt", so Geissbühler. In der laufenden Gewinnsaison sind auch manche Investoren dabei, die Risiken zu reduzieren. Damit tun sie das Gegenteil von Buy the Dip.
Netflix-Wette von Ackman als Warnung
Eine genaue Vorhersage darüber zu treffen, wann ein Kurs-Abstieg beginnt und wie lange dieser anhalten könnte, ist fast unmöglich. So genanntes "Market Timing" ist laut seriösen Experten sehr, sehr schwierig. Im Nachhinein wirkt ein Kursverlauf immer logisch.
Doch kann es sehr riskant sein, bei einem "dip" davon auszugehen, dass sich die Aktie schon bald wieder erholen könnte. Genau dies passierte dem Milliardär und Fondsmanager Bill Ackman, der durch seine hohe Beteiligung am Streaming-Giganten Netflix dieser Tage Schlagzeilen macht.
Ackman investierte bei Netflix in einem Moment, als bereits ein klarer Kursrückgang erkennbar war und viele Investoren ihre Anlage verkauften. Ackman rechnete jedoch wieder mit einem Kursanstieg, da er auf das Geschäftsmodell des Unternehmens vertraute. Nachdem die Netflix-Aktie jedoch nach enttäuschenden Erstquartalszahlen diese Woche regelrecht abstürzte, warf Ackman schliesslich seine Anteile auf den Markt und verlor damit 435 Millionen Dollar.
Vertrauen in Geschäftsmodell vorausgesetzt
Bevor man sich auf die "Buy the Dip"-Methode für eine bestimmte Aktie einlässt, ist es daher wichtig zuerst herauszufinden, weshalb sich der Kurs des Wertpapiers bislang so schlecht entwickelt hat. Wenn es Teil eines Trend ist, der den ganzen Aktienmarkt betrifft, ist ein Kauf eher vertretbar - denn die Aktie würde bei einer Markerholung steigen. Andererseits könnte der Kursrückgang aber auch nur die Firma betreffen, was schon eher problematisch wäre - die dies Bill Ackman mit Netflix erlebt hat.
Damit die Strategie aufgeht, sollte man sich auch sicher sein, dass das Unternehmen, auf welches man setzt, über ein erfolgreiches Geschäftsmodell verfügt, eine gute Wachstumsperspektive hat und im besten Fall auch günstig bewertet ist: Dies heisst, dass der Aktienkurs in einem vernünftigen Verhältnis zu den Gewinnen eines Unternehmens steht.
Ein Beispiel dafür lieferte der Chipkonzern Nvidia im Jahre 2018. Innerhalb von 90 Tagen musste das Unternehmen einen Kursrückgang von 60 Prozent hinnehmen. Darauf folgte jedoch ein riesiges Wachstum des Börsenwerts, womit sich zuvor eine Anwendung des Buy-the-Dip-Prinzips mehr als gelohnt hätte.