ABB und Holcim lieferten sich im Wochenverlauf ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den ersten Platz auf dem Treppchen der am besten performenden Aktie im SMI. Auf Wochenfrist zogen ABB um 3,5 Prozent an, Holcim um 3,4 Prozent. Und dies, obwohl beide Titel in den letzten 36 Monaten schon aussergewöhnlich gut gelaufen sind. ABB legten innert dreier Jahren um etwa 118 Prozent zu, Holcim gar um mehr als 300 Prozent.
Das Elektrotechnikunternehmen profitiert in allen Kernmärkten - Elektrifizierung, Industrieautomation, Antriebstechnik und Robotik - von einer anhaltenden Dynamik. Dies zeigt sich zum Beispiel im Bereich Prozessautomation, wie der ABB-Topmanager Peter Terwiesch gegenüber cash.ch im Interview hier erklärte.
Zudem haben die verbesserten Einschätzungen zur europäischen Konjunkturentwicklung einen Beitrag zu den Kursgewinnen geleistet. Die Strategen von Barclays gehen davon aus, dass Maschinen- und Industrieaktien auch künftig von der kurzfristigen Konjunkturerholung profitieren werden. Höhere Preise für Luft- und Raumfahrt, Verteidigung und Elektrotechnik würden durch die langfristige Prognose des Gewinnwachstums pro Aktie gerechtfertigt, so die Experten in London.
Verschiedene Analysten haben in den letzten Wochen die Kursziele für ABB erhöht. UBS und Goldman Sachs erhöhten das vor Monatsfrist je auf 54 von 49 Franken, mit einem unverändert neutralen Rating. Die JPMorgan-Analystin Daniela Costa begründete ihren Entscheid damals aufgrund der starken Auftragsleistung im zweiten Quartal. Die Expertin hob entsprechend die Prognosen für den adjustierten Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebita) für die Geschäftsjahre 2025 bis 2027 um 6 bis 9 Prozent an.
Hohe Bewertungen im Sektor
Aufgrund des starken Kursanstiegs in diesem Jahr stellt sich allerdings die Frage, ob beim ABB-Konzern nun ein Grossteil der Wachstumsfantasie in den aktuellen Kursen eingepreist ist. Die Barclays-Experten zeigen sich bei Unternehmensdienstleistungsaktien, insbesondere solchen mit US-Exposure, vorsichtiger und nennen eine Verschlechterung der Konjunkturlage als klares Risiko. Sie weisen ausserdem darauf hin, dass die Transportlogistik und die Containerschifffahrt aufgrund von Zöllen und der Bedrohung der Spotpreise durch neue Kapazitäten unter Druck stehe. Das könnte mittelfristig auf die Nachfrage drücken.
Derzeit werden europäische Industrieaktien im Euro Stoxx Industrial 600 Index im Schnitt mit dem über 22-fachen Kurs-/Gewinn-Verhältnis (KGV) gehandelt. Das liegt nahe dem oberen Ende der langfristigen Spanne und entspricht einem Aufschlag von rund 50 Prozent gegenüber dem Gesamtmarkt Euro Stoxx 600 Index. Dieser Aufschlag entspricht fast dem höchsten Wert aller Zeiten, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Freitag berechnet hatte.
Etwas zurückhaltender zeigen sich deshalb die Experten der Deutschen Bank und betonen, die Bewertungen im Sektor erscheinen ausgereizt und die Gewinndynamik lasse nach. Während das Umsatzwachstum des Sektors in den kommenden Quartalen voraussichtlich solide bleiben sollte, erwarte der Konsens nun eine deutliche Verlangsamung des Gewinnwachstums. Das werde die Margen unter Druck setzen.
Einer der Analysten mit einer Verkaufsempfehlung bei ABB ist Gael de-Bray von der Deutschen Bank. Am Donnerstag erhöhte er immerhin das Kursziel auf 47 von 45 Franken, beliess die Einstufung aber weiterhin auf «Sell». Während ABB mit seinen Aktivitäten im Bereich Elektrifizierung und Datenzentren zu den Profiteuren zählen könnte, bleibe aus der Sicht des Experten der Deutschen Bank offen, ob die massiven Investitionen in Rechenzentren tatsächlich nachhaltige Renditen bringen. Auch Fragen zu künftiger Nachfrage, technologischen Effizienzgewinnen und möglichen Stromengpässen stellten aus Anlegersicht weiterhin Unsicherheitsfaktoren dar.