Die Bilanz ist ernüchternd: Seit Jahresbeginn beträgt das Minus 54 Prozent, seit dem Allzeithoch vor vier Jahren etwa 70 Prozent und seit dem Börsengang im Juli 2021 rund 66 Prozent. Mit der Aktie des amerikanischen Lingerie- und Bekleidungskonzerns Victoria’s Secret geht es abwärts.
Zwar verfügt Victoria’s Secret gemäss Euromonitor in den Bereichen Nachtwäsche und Unterwäsche den grössten respektive zweitgrössen Marktanteil und müsste eigentlich von seiner Markenbekanntheit profitieren. Doch laut den Aktivisten wird das Unternehmen von einem unfähigen Management und einem schwachen Verwaltungsrat geführt.
Kursverlauf von Victoria’s Secret in Dollar.
Die Finanzkennzahlen verdeutlichen die Probleme: Stagnierende oder rückläufige Umsätze, sinkende operative Margen und ein Gewinneinbruch. Seit dem Geschäftsjahr 2022 ist das Nettoergebnis um 75 Prozent eingebrochen. Zum Vergleich: Der Markt für Nachtwäsche, Unterwäsche und Bademode verfügt über eine hohe Stabilität und wuchs um jährlich 1,1 bis 1,9 Prozent seit 2015.
Fehlender Fokus und ungünstige Positionierung
Die hausgemachten Probleme trotz ikonischer Marke rufen nun aktivistische Investoren auf den Plan. Das «Wall Street Journal» berichtete kürzlich über den Einstieg der Barington Capital Group beim Modekonzern. Per Offenlegungsunterlagen hat der Investor bereits ein Prozent des Kapitals aufgebaut und in einem offenen Brief angekündigt, weitere Aktien zu kaufen.
In diesem Schreiben, adressiert an die Verwaltungsratspräsidentin Donna James, forderte Barington neben einer kompletten Erneuerung des Verwaltungsrats eine stärkere Fokussierung auf das Kerngeschäft mit BHs.
Die breite Produktpalette und das mittlere Preissegment, in dem sich Victoria’s Secret positioniert, sind mitverantwortlich für die missliche Lage. Kürzlich verglich cash.ch das Unternehmen mit zwei Konkurrenten. Das Fazit: Die ganze Branche leidet zwar unter niedrigen Bewertungen, doch Marken im Hochpreissegment verzeichnen höhere Wachstumsraten und geringere Probleme als Marken in den tiefen Preisklassen ohne klare Positionierung.
Barington ist überzeugt, dass das Management - einschliesslich der Chefin Hillary Super - nicht über die nötige Erfahrung und strategische Klarheit verfügt, um eine Trendwende herbeizuführen. Deshalb sucht er den personellen Neuanfang.
Giftpille und geheimer Positionsaufbau
Barington ist jedoch ein kleiner Fisch. Der australische Milliardär Brett Blundy hat eine Beteiligung von knapp 13 Prozent aufgebaut. Er ist damit der grösste Minderheitsaktionär.
Der Aufbau dieser Beteiligung geschah im Geheimen und wurde erst Ende Mai publik. Blundy verstiess damit gegen die Offenlegungsrichtlinien in den USA.
Um eine mögliche Stimmenmehrheit zu vermeiden, führte Victoria’s Secret sogleich eine sogenannte «Poison Pill» - also Giftpille - ein. Diese Vorgehensweise ist eine Abwehrstrategie von Unternehmen, um feindliche Übernahmen zu erschweren oder sich selbst unattraktiv zu machen.
Victoria’s Secret hat dabei einen Aktionärsrechtsplan beschlossen. Dieser tritt in Kraft, wenn ein einzelner Investor 15 Prozent oder mehr der Aktien erwirbt. Dann erhalten alle anderen Aktionäre Bezugsrechte, wodurch sich ein Übernahmeversuch deutlich verteuert. Damit will das Unternehmen einen weiteren Positionsaufbau durch Blundy verhindern.
Wie auch Barington fordert Blundy einen stärkeren Fokus auf BHs und eine Erneuerung des Verwaltungsrats. Er kritisierte das Unternehmen scharf wegen «anhaltender Misswirtschaft» und «katastrophaler Entscheidungen auf Vorstandsebene».
Unterbewertung mit grossem Potenzial und Unsicherheiten
Wenig überraschend ist Victoria’s Secret tief bewertet. Das vorwärtsgerichtete Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt zwischen 8 und 9. Der US-Markt, gemessen am S&P 500, erreicht zum Vergleich ein KGV von knapp 23.
Auch andere Bewertungskennzahlen sind niedrig: Das Verhältnis von Unternehmenswert zu EBITDA beträgt 5,4 und die Nettofinanzverbindlichkeiten zum EBITDA liegen bei 2. Kurz: Gemessen an der Ertragskraft ist Victoria’s Secret günstig - und die tiefe Bewertung kommt nicht von der Bilanzseite. Das Unternehmen hat kein Schuldenproblem und schüttet auch keine Dividenden aus.
Dennoch sind sich die Analysten aufgrund der grossen Unsicherheiten uneins. Drei Experten empfehlen die Aktien zum Kauf, fünf zum Halten und drei zum Verkauf.
Zu den pessimistischen Stimmen zählen die Spezialisten der US-Bank Wells Fargo. Sie raten zum Verkaufen mit einem Kursziel von 15 Dollar. Das Abwärtspotenzial beträgt ihrer Meinung nach 20 Prozent. «Besser, aber nicht gut genug», betiteln sie die jüngsten Ergebnisse. Der Konzern macht zwar Fortschritte, die Ergebnisse fallen jedoch durchwachsen aus: Das Kerngeschäft mit Dessousbereich bleibt rückläufig, die Bruttomarge steht unter Druck und die Prognose für das Geschäftsjahr 2025 wurde gesenkt.
Wiederum JP Morgan sitzt auf der Kippe. Der Turnaround sei erst angestossen worden und die kürzlich erfolgten Managementwechsel in Schlüsselpositionen müssen sich erst beweisen. Das Unternehmen ist damit fair bewertet.
Demgegenüber stehen die Analysten der britischen Bank Barclays. Die Kaufempfehlung und das Kursziel von 23 Dollar - Gewinnpotenzial von 25 Prozent - begründen sie mit bereits sichtbaren Verbesserungen aufgrund der Strategieanpassung und dem günstigen Risiko-Ertrags-Verhältnis der Aktien. Laut ihnen hat das Management die Problemfelder erkannt und Gegenmassnahmen eingeleitet. Nach der Stabilisierung der Margen in diesem Jahr rechnet Barclays gegen Ende 2025 oder Anfang 2026 mit einem Anstieg des Wachstums.