Die Themen, die das Marktgeschehen derzeit beeinflussen, sind zahlreich: Inflation, Zinsen, China – und die Berichtssaison für die Drittquartalszahlen ist nun auch angelaufen. "Eines scheint sicher. Die Zukunft wird nicht so einfach wie die ersten neun Monate des Jahres", sagt Stefan Frischknecht, Leiter Aktien Schweiz beim Vermögensverwalter Schroders. Bis im September habe "heile Welt" an den Märkten geherrscht. Tatsächlich legte der Schweizer Aktienmarkt gemessen am Swiss Performance Index (SPI) im ersten Dreivierteljahr ganze 20 Prozent zu. 

Erst im Herbst begannen die oben genannten Themen, die eigentlich schon das ganze Jahr da waren, auf den Gesamtmarkt einzuwirken. Ergebnis: Mit dem September folgte einer der schwächsten Börsenmonate seit langem. Fragt sich nun, ob es dies jetzt war mit der Korrektur, oder ob Anlegern weiter unruhige Zeiten bevorstehen. Allein die Inflationssorgen scheinen nicht von der Agenda zu verschwinden. Für Mojmir Hlinka von der Vermögensverwaltung Agfif International wird dieses Thema allerdings heisser gekocht, als es ist. 

«Inflation völlig normal»

"Im letzten Jahr stand die Welt für zwei Monate still. Es ist absolut logisch, dass wir jetzt einen Inflationsschub haben", sagt Hlinka und fügt hinzu: "Man erinnere sich nur daran, dass man vor acht Monaten noch Geld bieten musste, damit man eine Tonne Öl loswerden konnte." Was wir jetzt sähen, sei eine nachfragegetriebene Inflation, die völlig normal sei. 

Ähnlich gelassen äussert sich Christian Gattiker, Leiter Research bei der Bank Julius Bär, der die Sorgen des Marktes über steigende Zinsen im Zuge der Inflation zerstreut. "Wenn man eine Diskussion über lang anhaltende Inflation führt, und gleichzeitig die Renditen auf zehnjährige US-Treasuries noch immer auf einem Rekordtief liegen, frage ich mich: Worüber sprechen wir eigentlich?" Die Zinsen seien ohnehin viel zu tief, so Gattiker. 

Bleibt auf die Geldpolitik Verlass? 

In den letzten Wochen sind die Renditen auf zehnjährige US-Staatsanleihen wieder auf rund 1,6 Prozent angezogen. Zuvor waren sie im Sommer eigentlich wieder deutlich zurückgegangen, nachdem Anfang des Jahres steigende Anleiherenditen erstmals seit dem Corona-Schock wieder zum grossen Thema wurden. Trotzdem befinden sich Anleiherenditen noch immer auf einem rekordtiefen Niveau. Geht es nach Hlinka, wird das Zinsniveau auch weiterhin tief bleiben. "Kann sich die USA Zinsen jenseits von 3 Prozent leisten? Nein, kann sie nicht", sagt Hlinka. Daher werde die Politik alles dafür tun, die Zinsen im Zaum zu halten. 

Diesbezüglich ins selbe Horn bläst Frischknecht, für den das Zins-Thema derzeit nicht das Hauptrisiko an den Märkten ist. "Wir haben jetzt über viele Jahre gesehen, dass die Notenbanken bei zu stark anziehenden Zinsen von einer weniger expansiven Geldpolitik wieder auf sehr expansiv zurückschalten." Heisst: Auf die Geldpolitik wird weiterhin Verlass sein. Und Hlinka fügt hinzu: "Auch wenn die Fed jetzt mit dem Tapering beginnt, wäre das positiv. Denn so erhält sie wieder mehr Spielraum für zukünftige Handlungen." Dies stärke den Dollar und schwäche gleichzeitig den Franken, was keine schlechte Nachricht für hiesige Exportunternehmen sei. 

Lieferengpässe: «Risiko einer Kettenreaktion»

Also alles gut an der Börse? Nein, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Für Frischknecht liegt in den globalen Lieferengpässen durchaus ein ernstzunehmendes Risiko. Seit Monaten fehlen der Industrie Komponenten, was die Produktion teilweise erheblich behindert. Besonders der Chip-Mangel, der die Produktion in der Auto-Industrie erschwert, machte zuletzt von sich reden. "Wenn es hier zu einer Kettenreaktion käme, bei der zuerst der Eine nicht liefern kann, worauf der Zweite die Lieferungen stoppen müsste usw., dann bekämen wir ein echtes Problem", glaubt der Schroders-Experte.  

Und auch das Wackeln des globalen Wachstumsmotors China sei kein Thema, welches so schnell verschwinden werde, so Frischknecht. Diese Woche meldete die Volksrepublik ein Wachstums des Bruttoinlandsprodukts von 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was weniger war als erwartet. Was für Industrieländer nach viel klingt, ist für China historisch tief. Und trotzdem spricht für Frischknecht im aktuellen Umfeld noch immer vieles für Aktien. "Eine noch immer anhaltende Wirtschaftserholung, eine positive Entwicklung der Firmengewinne und noch immer tiefe Zinsen sind gute Argumente für Aktien." 

Für Hlinka wird es von entscheidender Bedeutung sein, wie die Berichtssaison weiter verlaufen wird. Diese habe in den USA "mit Paukenschlägen" begonnen. Die Zahlen der US-Banken seien "hervorragend" gewesen. "Es zeichnet sich ab, dass die Ertragssaison über den Erwartungen abschneiden wird", sagt Hlinka und fügt hinzu: "Die guten Zahlen von VAT in der Schweiz haben einen Vorgeschmack darauf gegeben, was der Tech-Sektor zu liefern imstande ist." 

Wie als Anleger positionieren? 

Herrscht bei den zitierten Experten überwiegend Einigkeit bei der Beurteilung der aktuellen Risiken am Markt, weichen die Empfehlungen über zukünftige zu bevorzugende Sektoren und Segmente am Aktienmarkt ab. Hlinka äussert sich besonders "bullish" über den Tech-Sektor, auch und insbesondere in der Schweiz. "Vor allem die Bereiche Vakuum, Halbleiter, aber auch Dienstleistungen sehe ich sehr gut positioniert." Neben VAT empfiehlt der Agfif-CEO im Halbleiter-Segment die Aktie von Inficon. Im Industriebereich setzt Hlinka auf Sika, Ems Chemie und Dottikon. Im Maschinenbau präferiert er Bucher, im Logistik-Geschäft Kühne+Nagel sowie Bossard und Kardex. Doch auch die Pharmazulieferer Lonza und Bachem stehen weiter auf seiner Liste. 

Für Frischknecht hingegen sind so genannte "Growth"-Aktien, also Titel von Unternehmen mit schnell wachsendem Geschäft, mittlerweile zu teuer bewertet. Vielmehr böten sich aktuell Aktien an, die dem so genannten "Value"-Bereich zuzuordnen sind. Heisst: Aktien, die vergleichsweise günstige Bewertungen aufweisen, aber trotzdem ein solides Geschäft haben. "Value-Titel findet man tendenziell vermehrt in Sektoren, die eher mit der alten Ökonomie zusammenhängen. Darunter fallen Rohstoffe, Finanztitel oder die klassische Industrie", so Frischknecht. Im Bereich Finanzen seien Unternehmen, die in Richtung Wealth Management gingen und weniger von der Kreditvergabe abhängig seien, auf seiner Favoritenliste. 

Gattiker glaubt, dass es in den nächsten Jahren mehr um die richtigen Einzeltitel gehen werde, als pauschal um Sektoren. "Dennoch sind wir aktuell in IT und Gesundheitswesen übergewichtet." Zudem hätten zuletzt die "langweiligen Aktien" wie Swisscom Mühe gehabt. "Hier könnte es allgemein zu einer Rückkehr in stabile Werte von Unternehmen mit soliden Geschäftsmodellen kommen", sagt Gattiker.