In den letzten Wochen und Monaten wird in den hiesigen Wirtschaftsmedien praktisch täglich dieselbe Story erzählt: Der Swiss Market Index (SMI) eilt von einem Rekord zum nächsten. Seit Anfang Jahr hat der Schweizer Leitindex bereits über 16 Prozent zulegen können. Gemessen an einer historischen Durchschnittsrendite von jährlich 7 bis 8 Prozent ist dies mehr als ordentlich. Die Konsequenz – oder der Grund? – dieses Rekordlaufs: Ganze elf der 20 Blue Chips notieren nahe ihren Rekordhochs. Im Gegenzug liegen neun Titel trotz des SMI-Rekordlaufs unter ihren Allzeithochs; sechs von ihnen tun dies gar zweistellig (Credit Suisse, Holcim, Novartis, Swiss Re, Swatch, UBS).

SMI-Kursentwicklung in den letzten zehn Jahren. Grafik: cash.ch

Dass der SMI in dieser Gemengelage nahe einem Rekordhoch notiert, liegt auch an seiner Berechnung. Der Schweizer Blue Chip Index ist nicht einfach ein Durchschnittswert aller im SMI vertretenen Aktien. Wie stark ein Titel den Index bewegt, hängt von seiner individuellen Gewichtung ab. Der SMI ist "free-float-adjustiert", was bedeutet, dass nur der frei handelbare Teil der Aktien im Index berücksichtigt wird. Das hat etwa zur Folge, dass Novartis, Roche und Nestlé nahezu die gleiche Gewichtung im Index haben (ca. 18 Prozent), obwohl Novartis aktuell mehr als 100 Milliarden Franken weniger wert ist als die anderen Schwergewichte. Die maximale Gewichtung einer Aktie ist auf 20 Prozent angesetzt.

Entscheidende Rolle von Roche und Nestlé bei SMI-Rekord 

Dass der SMI zu seinem Rekordlauf ansetzen konnte, liegt unter anderem daran, dass zwei der drei Schwergewichte dies kurstechnisch "zugelassen" haben. Sowohl der Nahrungsmittelmulti Nestlé (11,3%) als auch der Pharmariese Roche (+19,6%) tragen aktuell mit einer soliden Rendite ihren Teil zur SMI-Rally bei. Auf Rekordstände brachten den SMI allerdings die Highflyer in diesem Jahr wie etwa Partners Group, ABB, Sika, Geberit, Lonza oder Richemont, die allesamt weit über 30 Prozent zulegten. 

Doch auch bei den Aktien, die weit von ihren Allzeithochs notieren, muss differenziert werden. So handelt die UBS-Aktie sage und schreibe 78 Prozent unter ihrem Höchststand von vor der Finanzkrise 2007/2008. Dieses Jahr allerdings befindet sich die Aktie mit einem Plus von 22 Prozent im soliden SMI-Mittelfeld. Die Bewertungen europäischer Bank-Aktien sind schwer mit 2007 vergleichbar. Das Tiefzinsumfeld in Europa und der Schweiz sowie die Disruption durch die Fintech-Branche lassen Zweifel daran, dass die Aktien von UBS und Credits Suisse überhaupt mal wieder in die Nähe ihrer Höchststände herankommen. 

Credit Suisse mit Rekord: 90 Prozent unter Allzeithoch

Anders als bei der UBS liegt der Aktienkurs der Credit Suisse nicht nur meilenweit vom Höchststand entfernt – ganze 90 Prozent und damit so weit wie bei keinem anderen SMI-Titel –, sondern performt auch aktuell weit unterdurchschnittlich. Die zweitgrösste Schweizer Bank scheint noch lange nicht in der Position zu sein, die jüngste Skandalserie um die Greensill-Pleite und das Archegos-Debakel hinter sich zu lassen. Allein die Greensill-Insolvenz dürfte die Credit Suisse noch lange Zeit beschäftigen, da wegen noch immer offener Haftungsfragen weiterhin nicht abschliessend geklärt ist, wie viel der Skandal die Credit Suisse am Ende tatsächlich kosten wird. Die CS-Aktie scheint verführerisch günstig zu sein, zugreifen sollten Anlegerinnen und Anleger aber dennoch nicht. 

Kursentwicklung der CS-Aktie (gelb) und des SMI (blau) seit 1995 (angeglichen). Quelle: Google Finance

Dass sich die gesamte Finanzbranche schwertut, zeigen die Versicherungstitel Swiss Re, Swiss Life und Zurich Insurance, die ebenfalls allesamt von ihren Allzeithochs entfernt notieren – wenn auch nicht so weit entfernt wie UBS und CS. Versicherungstitel gerieten vor allem durch die Corona-Krise unter Druck, weil bis heute noch nicht absehbar ist, in welchem Umfang die Firmen für Corona-Schäden haften müssen. Vor allem die Aktie von Swiss Re notiert noch immer 25 Prozent unter ihrem Vor-Corona-Niveau, was gleichzeitig dem Allzeithoch entspricht. Was Kurssteigerungen angeht, dürften Anleger noch etwas Geduld brauchen, die attraktive Dividendenpolitik spricht allerdings schon jetzt für die Aktien.

SMI-Bremsklotz Novartis 

Der grösste Bremsklotz im SMI ist – aufgrund seiner hohen Gewichtung – Novartis. Das dritte SMI-Schwergewicht tut sich bereits seit einigen Jahren schwer an der Börse, die Aktie kommt 2021 auf eine Rendite von läppischen 1,3 Prozent. Schlechter performten nur die Titel der Credit Suisse. Novartis befindet sich noch immer in einer Transformation, was Anlegerinnen und Anleger weiterhin abschreckt. Ausserdem fehlt es an Kurstreibern. "Eine richtige Phantasie kann Novartis beim Investor mit der derzeitigen Pipeline nicht generieren", fasste jüngst Pharmaexperte Michael Nawrath im Interview mit cash.ch zusammen. Anleger sollten bei Novartis weiter abwarten. 

Michael Nawrath: «Bei Novartis fehlt weiterhin das Vertrauen der Investoren»

Auch die Aktie von Holcim liegt meilenweit unter ihrem Allzeithoch aus dem Jahr 2007 (-56%). Seitdem befindet sich die Aktie praktisch im übergeordneten Abwärtstrend. Dieses Jahr gewinnt die Aktie immerhin um 7 Prozent, was allerdings gleichzeitig der viertschlechteste Kurszuwachs im SMI ist. Und das, obwohl Analysten seit langer Zeit regelmässig eine Rally der Aktie ausrufen. Aktuell empfehlen laut Daten von Bloomberg 22 von 27 Analysten die Titel des Zementherstellers zum Kauf, die anderen 5 raten zum "Halten". Das durchschnittliche Kurspotenzial beträgt satte 30 Prozent. Trotzdem will die Aktie einfach nicht steigen. Warum sich das bald ändern könnte, führte der cash Insider jüngst hier aus.

Spezialfall Swisscom - Chance Swatch

Ein Spezialfall bildet die Swisscom-Aktie. Rein kurstechnisch wäre ein Investment in die Aktie des Telekomanbieters in den letzten 25 Jahren "totes Geld" gewesen. Die Aktie bewegt sich seit Jahrzehnten um die 500-Franken-Marke, aktuell notiert sie mit 540 Franken etwas darüber, auf Jahressicht gewinnen die Titel immerhin rund 13 Prozent. Doch Swisscom ist vor allem wegen seiner defensiven Qualitäten und seiner stabilen Dividendenausschüttung gefragt – in den letzten 12 Monaten lag sie bei durchschnittlich 4,6 Prozent. Daran dürfte sich in naher Zukunft auch nichts ändern. Die Aktie bleibt ein Fels in der Brandung. 

Als letzte SMI-Aktie, die unter ihrem Allzeithoch notiert, ist noch Swatch zu nennen. Die Aktie notiert 55 Prozent unter ihrem Höchststand von 2013. In diesem Jahr gehörten die Titel lange Zeit zu den SMI-Top-Performern, bis vergangene Woche China mit seinen Regulierungsvorstössen gegen Reiche sämtliche Luxus-Aktien kurzzeitig einbrechen liess. Während der jüngste Einbruch übertrieben scheint (mehr dazu hier) könnte die Aktie auch für einen langfristigen Einstieg attraktiv bewertet sein. Laut Analysten der Helvetischen Bank ist Swatch ​​nach wie vor mit einem Abschlag von fast 30 Prozent zum globalen Luxusgütersektor bewertet. Auch die befragten Analysten von Bloomberg sind mehrheitlich positiv gestimmt und sehen im Durchschnitt ein Ertragspotenzial bei der Aktie von 28 Prozent.