Die weltweiten wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus sind nun unübersehbar. Am Samstag erst vermeldete das chinesische Statistikamt, dass der amtliche Einkaufsmanagerindex (PMI) auf 35,7 Punkte gesunken ist. Damit liegt das Barometer deutlich unter der Marke von 50 Zählern, ab der anziehende Geschäfte signalisiert werden. Und: Dem europäischen Corona-Hotspot Italien wird neuerdings ebenfalls ein konjunktureller Rückschlag, wenn nicht eine Rezession, prognostiziert.

Apple ist bis jetzt eines der ersten grossen amerikanischen Unternehmen, das eine Umsatzwarnung wegen des Coronavirus bekanntgeben musste. Der Softwaregigant Microsoft folgte mit einer Umsatzwarnung für die Windows-Sparte letzte Woche. In Europa warnten am Freitag die Fluggesellschaften der International Airlines Group (IAG) wie British Airways oder Iberia, wie auch Finnair und Easyjet vor einer abfallenden Nachfrage. Auch Grossevents der Wirtschaft wie der Autosalon in Genf oder die Uhrenmesse Baselworld sind betroffen.

Der rechtliche Rahmen ist anscheinend «unklar»

Doch von Schweizer Unternehmen fehlen bisher Umsatz- oder Gewinnwarnungen oder andersartige Informationen zu den Auswirkungen des Coronavirus auf den Geschäftsverlauf. Dies obwohl die Ad hoc- Publizitätsvorschriften die Unternehmen prinzipiell dazu verpflichtet, dass alle gegenwärtigen und potentiellen Marktteilnehmer chancengleich mit potentiell kursrelevanten Informationen versorgt werden, sobald das Unternehmen Kenntnis davon hat. Dadurch sollen Transparenz und Gleichbehandlung der Marktteilnehmer möglichst gewährleistet werden.

Unter die potentiell kursrelevanten Tatsachen fallen auch die Informationen betreffend der Geschäftsergebnisse: zum Beispiel wesentliche Gewinnveränderungen wie Gewinneinbruch, Gewinnsprung oder Gewinnwarnung. Klar kann eine allzu frühe Meldung auch heikel sein. Nicht jede Monatsabweichung muss rapportiert werden. Doch eine Meldung ist umgehend zu veröffentlichen, wenn klar ist, dass die früher bekanntgegebenen Ziele nicht mehr realistisch sind. Je länger zugewartet wird, desto grösser wird die Gefahr des Insiderhandels.

Das Problem bei der Ad hoc- Publizitätspflicht liegt aber bekanntermassen darin, dass vieles im Ermessen von Unternehmen liegt: Der Interpretationsspielraum ist ziemlich gross. Trotzdem: Es stellt sich wegen der wirtschaftlichen Situation infolge des Coronavirus nicht die Frage ob, sondern wann die ersten Firmen Anpassungen am Ausblick oder Gewinnwarnungen bekanntgeben. Die Unternehmen stehen in der Pflicht, irgendeinmal die relevanten Informationen bereitzustellen. Ansonsten wird es für alle Marktteilnehmer schwierig, die Auswirkungen auf die Gewinne der Unternehmen einzuschätzen.

Zahlreiche Gewinnwarnungen stehen an

Matthias Geissbühler, Anlagechef von Raiffeisen, rechnet bei den Sektoren Technologie und Automobilzulieferern mit so genannten Gewinnwarnungen. "Wahrscheinliche Kandidaten sind bei den Technologiewerden sind AMS, VAT, Sensirion, U-Blox sowie SFS", sagte Geissbühler auf Anfrage von cash.ch. Er begründet die Einschätzung damit, dass die Umsatzwarnungen von Apple sowie Microsoft sich zwangsläufig auf die Zulieferer beziehungsweise die gesamte Wertschöpfungskette negativ auswirken würden.

Bei den Autozulieferern fällt ins Gewicht, dass die Autoverkäufe in China im Februar um rund 90 Prozent eingebrochen sind. Exponierte Unternehmen seien Autoneum, Feintool und Klingelnberg, sagt Geissbühler. Doch auch andere Unternehmen sieht er als gefährdet: "Auch Luxusgüterkonzerne wie Richemont und Swatch dürften ihre Guidance kaum halten können." Klar ist für Geissbühler auch, dass der Markt dies zumindest teilweise bereits reflektiert und eingepreist hat. Dennoch sei bei den genannten Werten weiterhin eher Vorsicht angebracht. Die Raiffeisen würde deshalb weiterhin defensive Werte favorisieren.

Anastassios Frangulidis von Pictet Asset Management rechnet ebenfalls mit Auswirkungen auf die Gewinne von Schweizer Unternehmen: "Stark und direkt von der aktuellen Coronaviruskrise sind zyklische Sektoren und Titel, wie der Reisesektor (Dufry), die Luxusgüter (Swatch, Richemont), Transportunternehmen (Kühne + Nagel) sowie Unternehmen mit starkem Exposure zu China wie Schindler betroffen." Frangulidis sieht auch die Finanzindustrie exponiert. Tiefere Zinsen oder die abnehmende Zahl von Börsengängen würden die Finanzindustrie treffen.

Weitere Börsenkorrektur würde Banken belasten

Auch die ZKB sieht zahlreiche Unternehmen, die noch stärker vom Coronavirus betroffen sein könnten und sich bisher nicht oder zu wenig dazu geäussert haben. Die Aufzählung sei nicht abschliessend und die Situation derzeit stark im Fluss. Bei den Banken könnten durch eine noch stärkere Börsenkorrektur unter anderem die UBS, CS, EFG und die Julius Bär betroffen sein.

In der Industrie sieht die ZKB eine Reihe von Unternehmen, bei denen überdurchschnittliche Risiken bestehen: Autoneum, Schmolz + Bickenbach, ABB, Georg Fischer, Komax, Schaffner, Cicor, Huber + Suhner und Belimo. Von den Auswirkungen auf den Welthandel könnte der Warenprüfkonzern SGS betroffen sein. Im Tourismus seien hauptsächlich Orascom und der Flughafen Zürich exponiert.

Philipp Lienhardt, Leiter Aktienanalyse bei Julius Bär, weist darauf hin, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt die eigentlichen Gewinnwarnungen in Grenzen halten werden. Grund: Die Unternehmen halten ihren Ausblick oder Jahresziele vage oder weisen darauf hin, dass der Einfluss des Coronavirus schwer abschätzbar sei.

Trotzdem: "Generell sind Industrieuntenehmen wie Georg Fischer, Bucher Industries, OC Oerlikon oder DSV Panalpina stark exponiert. Auch Technologieunternehmen wie AMS, die von Apple und Samsung abhängig ist, und u-Blox sind überproportional betroffen." Die Luxusgüterhersteller Richemont und Swatch seien ebenfalls den Auswirkungen des Coronavirus stark ausgesetzt, da ihre Umsätze stark von China getrieben seien, so Lienhardt.

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