Selbst nach drei Monaten Aufwärtstrend werden immer mehr Strategen und Investoren hinsichtlich Euro-Aktien optimistisch. Rückenwind erhält die Stimmung von Anzeichen einer Konjunkturerholung, beispiellosen Stimulusmassnahmen und dem Optimismus, dass die Lockerung der Shutdown-Massnahmen nicht zu einer zweiten Coronavirus-Welle führen wird.

Diese Faktoren stützen die Erwartung, dass die seltene Outperformance von europäischen Aktien gegenüber ihren Pendants in den USA anhalten wird, wo die Infektionszahlen in mehreren Bundesstaaten steigen.

Seit Mitte Mai haben sich sowohl der Stoxx Europe 600 Index als auch der Euro Stoxx 50 Index besser entwickelt als die S&P 500-Benchmark und sind auf dem besten Weg, die Wall Street den ersten vollen Monat seit letztem September zu schlagen. Teilweise ist dies auf eine Umschichtung in Zykliker und Substanzwerte zurückzuführen.

Günstigere Bewertung

"Ich stimme mit der zunehmenden positiven Sicht auf europäische Aktien absolut überein", sagte Chris Dyer, Direktor für weltweite Aktien bei Eaton Vance. "Aus relativer Bewertungsperspektive hat sich der Abschlag der europäischen Märkte gegenüber den USA vergrössert. Bei der Frage, wie lange Europa den US-Aktienmarkt übertreffen kann, lautet die Antwort, dass sich dies über mehrere Jahre erstrecken könnte."

Selbst nach einer Rally, die mehr als die Hälfte der durch die Pandemie bis März verzeichneten Verluste wieder wettgemacht hat, werden europäische Aktien auf der Basis des geschätzten Kurs/Buchwert-Verhältnisses weiterhin in der Nähe eines Rekordabschlags gegenüber ihren US-Pendants gehandelt. Gleichzeitig kehren institutionelle Anleger in die Region zurück, nachdem sie die anfängliche Aufwärtsbewegung verpasst haben.

Die Strategen von Blackrock, dem weltweit grössten Vermögensverwalter, erwägen, europäische Aktien von derzeit Untergewichten heraufzustufen und sich den Marktspezialisten von Goldman Sachs Group, Morgan Stanley, Bank of America und Eaton Vance anzuschliessen, die in den vergangenen Wochen optimistischer für die Region geworden sind.

Wachstum in mehreren Volkswirtschaften

Positive Trends bei den Einkaufsmanager-Daten bestätigen den frühen Optimismus der Anleger hinsichtlich einer wirtschaftlichen Erholung. Die Juni-Zahlen für den Euroraum übertreffen die Prognosen und Frankreich kehrt sogar in den Wachstumsbereich zurück.

Nachdem dies eingepreist ist, sind möglicherweise erneute Anzeichen einer Besserung erforderlich, damit die Märkte weiter zulegen können können. Dies könnte von einer weiteren Lockerung der Shutdown-Massnahmen in Ländern wie Grossbritannien kommen, das im Juli Pubs, Restaurants und Kinos wieder eröffnen wird.

Negativ-Stimmung

Einige Indikatoren deuten immer noch auf weiteres Aufwärtspotenzial hin. Trotz der Markterholung ist die Stimmung in Europa zutiefst negativ und die Gesamtpositionierung bleibt laut Emmanuel Cau, Stratege bei Barclays, von Vorsicht geprägt.

"Inmitten erhöhter Tail-Risiken und der sich abzeichnenden negativen Sommersaison bietet die mangelnde Beteiligung der Anleger an der Rally weiterhin ein gewisses Polster für Aktien und könnte unserer Meinung nach die Rally anschieben", schrieb er in einer Notiz am Freitag.

Unter den regionalen Märkten hat sich der dänische OMX Copenhagen 25 Index im ersten Halbjahr am besten geschlagen. Dank einer starken Gewichtung von Aktien aus dem Gesundheitswesen ist dies die einzige europäische Benchmark, die Zuwächse verzeichnete und im Berichtszeitraum um 7,1 Prozent zulegte.

Der Defensiv-Liebling, der Schweizer Marktindex SMI, hat sich ebenfalls besser entwickelt und ist nur um 5,4 Prozent gesunken, verglichen mit einem Rückgang von 14 Prozent beim Stoxx 600. Der deutsche DAX-Index ist um 8,8 Prozent gefallen.

Defensive büssen Vorsprung langsam ein

Bei den Branchen haben die Defensiven bisher in diesem Jahr die Nase vorn, aber sie büssen ihren Vorsprung ein. Zwar sind Technologie- und Gesundheitsaktien 2020 die einzigen im Plus liegenden Sektoren, aber Zykliker wie Autohersteller und Bergbauwerte haben seit Mitte Mai die Liste der Gewinner angeführt.

Nach der starken Rotation sind sich die Strategen hinsichtlich des besten Branchenengagements in den kommenden Monaten uneins. Bank of America, Barclays und Morgan Stanley bevorzugen weiterhin zyklische Aktien, während JPMorgan und Citigroup defensive Titel empfehlen.

Keine Mehrjahres-Empfehlung

Die jüngste Outperformance Europas gegenüber den USA ist auch auf die wachsende Besorgnis zurückzuführen, dass die Konjunkturerholung in den Vereinigten Staaten durch Brandherde neuer Coronavirus-Fälle abgewürgt werden könnte.

"Es bleibt abzuwarten, ob Europa über mehrere Jahres ein Kauf sein wird oder nur für dieses Jahr", sagt Wei Li, Leiterin der Anlagestrategie bei BlackRocks iShares EMEA. "Wir sind optimistischer für europäische Aktien geworden angesichts des relativen Erfolgs, den Europa bei der Eindämmung der Virus-Ausbreitung im Vergleich zu den USA hatte, und der umsichtigeren Öffnung."

(Bloomberg/cash)