Beim Absatz vollelektrischer Fahrzeuge ist der Autohersteller BYD (Kurzform für: Build your Dream) aus der Metropole Shenzhen auf dem besten Weg, Tesla als neuen globalen Marktführer zu überholen. Wenn das der Fall ist - wahrscheinlich im laufenden Quartal -, wird dies sowohl ein symbolträchtiger Wendepunkt für den Markt für Elektrofahrzeuge sein als auch eine weitere Bestätigung für Chinas wachsende Bedeutung in der globalen Automobilbranche.

In dem Sektor, der immer noch von Namen wie Toyota, Volkswagen und General Motors dominiert wird, sind chinesische Hersteller wie BYD und SAIC auf dem Vormarsch. Nachdem China in den letzten Jahren die USA, Südkorea und Deutschland überholt hat, ringt die Volksrepublik nun mit Japan um die Spitzenposition im globalen Pkw-Export.

Per Oktober gingen in diesem Jahr 3,6 Millionen Fahrzeuge vom chinesischen Festland ins Ausland. Etwa 1,3 Millionen davon waren Elektrofahrzeuge. "Die Wettbewerbslandschaft in der Autoindustrie hat sich verändert", konstatiert Bridget McCarthy, Leiterin des China-Geschäfts von Snow Bull Capital. Der Hedgefonds aus Shenzhen hat sowohl in BYD als auch in Tesla investiert.

"Es geht nicht mehr um die Grösse und das historische Ansehen der Autohersteller, sondern um die Geschwindigkeit, mit der sie Innovationen vorantreiben und sich weiterentwickeln können. BYD hat schon vor langer Zeit damit begonnen, sich darauf vorzubereiten, dies schneller zu tun, als irgendjemand es für möglich gehalten hat. Jetzt muss der Rest der Branche versuchen, aufzuholen", sagt McCarthy.

Tesla-CEO Elon Musk hat unlängst gewarnt, dass sich beim gestiegenen Zinsniveau nicht genügend Verbraucher seine Elektrofahrzeuge leisten können. BYD indessen bietet ein halbes Dutzend Modelle in grösserer Stückzahl an, die viel weniger kosten als Tesla für seine günstigste Limousine Model 3 in China verlangt.

Im Jahr 2011 hatte der inzwischen reichste Mensch der Welt bei einem Auftritt bei Bloomberg TV noch über Autos von BYD gekichert, wie ein Clip zeigte, den ein Tesla-Fanclub im Mai geteilt hat. In Reaktion auf das Posting bei X liess Musk wissen, die Fahrzeuge von BYD seien inzwischen "sehr wettbewerbsfähig".

In China zieht BYD Tesla und allen anderen Automarken davon. Indessen erweist es sich als schwierig, den grossen Erfolg im Ausland zu wiederholen. Europa steht kurz davor, sich den USA anzuschliessen und chinesische Autoimporte mit höheren Zöllen zu belegen, um Tausende von Arbeitsplätzen in der Produktion zu schützen. Die Märkte für Elektroautos in anderen Ländern stecken indessen noch in den Kinderschuhen und sind nicht annähernd so lukrativ.

USA tabu für BYD

Die USA werden vom BYD-Management aufgrund der eskalierenden Handelsspannungen zwischen Washington und Peking als praktisch tabu betrachtet. Der milliardenschwere Gründer von BYD, Wang Chuanfu, meidet im Gegensatz zu Elon Musk soziale Medien und das Rampenlicht weitgehend. Wochen vor der Einleitung der EU-Untersuchung zu Chinas Subventionen für seine Elektrofahrzeugindustrie erklärte er jedoch, für die Marken aus dem Reich der Mitte sei es an der Zeit, "die alten Legenden" der Automobilwelt zu zerstören.

Während viele Autokäufer ausserhalb Chinas BYD noch immer nur vom Hörensagen kennen, hat Warren Buffett schon im Jahr 2008 in BYD investiert. Seine Holding Berkshire Hathaway liess sich einen Anteil von fast 10 Prozent rund 230 Millionen Dollar kosten. Als Berkshire letztes Jahr damit begann, seine Anteile zu reduzieren – BYD-Aktien wurden nahe ihrem Allzeithoch gehandelt – war der Wert der Beteiligung auf das 35-fache gestiegen: Rund 8 Milliarden Dollar.

Der verstorbene stellvertretende Chairman von Berkshire, Charlie Munger, betrachtete BYD in erster Linie als Batteriefirma. Auf Bloomberg TV sagte er im Mai 2009, das Unternehmen arbeite an "einem der wichtigsten Themen, die die technologische Zukunft des Menschen beeinflussen". Mungers Familie hatte schon Jahre vor Berkshire in das Unternehmen investiert. In einem Interview mit dem Podcast Aquired erklärte Munger Wochen vor seinem Tod, dass er versucht habe, Wang davon abzubringen, in das Autogeschäft einzusteigen.

BYD erwarb 2003 einen scheiternden staatlichen Autohersteller und stellte 2008 seinen ersten Plug-in-Hybrid namens F3DM vor. Ein Rezensent der New York Times schmähte das Design des Fahrzeugs mit den Worten, der Kompaktwagen sei "ungefähr so ​​trendy wie ein Toyota Corolla aus der Y2K-Ära", also der Zeit der frühen 2000er Jahre.

Das Unternehmen verkaufte im ersten Jahr insgesamt 48 Fahrzeuge. Zu dieser Zeit rief China Anreize für den Kauf von Plug-in- Autos ins Leben. Die staatliche Unterstützung umfasste Steuererleichterungen für die Käufer, Produktionsanreize für Hersteller, Hilfen bei Forschung und Entwicklung sowie günstige Grundstücke und Kredite. Im Gegensatz zu den allermeisten anderen Autoherstellern fertigt BYD auch seine Batterien selbst, was die Position des Konzerns im Wettbewerb stärkt.

BYD der erste chinesische Zulieferer von Motorola und Nokia

Bevor das Unternehmen in das Autogeschäft einstieg, war es Anfang der 2000er Jahre der erste chinesische Zulieferer von Motorola und Nokia im Bereich der Lithium-Ionen-Batterien. Um schon vor dem E-Mobilitäts-Schwenk im Verbrauchersegment die Produktion steigern zu können, setzte das Management auf Fahrzeugsegmente, die Batteriezellen in besonders großer Stückzahl benötigen würden.

Kurz nach dem PKW F3DM brachte der Konzern seinen ersten Elektrobus auf den Markt. "BYD war ein Wunder", sagte Munger dem Podcast „"Acquired" in einer Folge, die im Oktober ausgestrahlt wurde. Er nannte Wang ein Genie. Er sei ein fanatischer Ingenieur und habe das Unternehmen durch eine 70-Stunden-Woche vor dem Bankrott bewahrt. Was die tatsächliche Produktion betrifft, sei der Manager hinter BYD "besser als Elon".

Wang wuchs als zweitjüngstes von acht Kindern in einem ärmlichen Dorf in der ostchinesischen Provinz Anhui auf. Seine Eltern starben, als er ein Teenager war. Seine älteren Geschwister unterstützten ihn während seiner Schul- und Universitätsausbildung. In den ersten Jahren seines Berufslebens arbeitete Wang in Peking in staatlichen Diensten in der Seltenerdmetall-Forschung, einem wichtigen Bereich für Batterieherstellung und Unterhaltungselektronik. 1995 gründete er in Shenzhen BYD - mit Hilfe eines Kredits von fast 300'000 Dollar, den ein Freund bereitstellte.

Inzwischen verfügt er laut dem Bloomberg Milliardärs-Index über ein Vermögen von 14,8 Milliarden Dollar. Nachdem BYD etwa anderthalb Jahrzehnte Erfahrung in der Autoproduktion gesammelt hatte, war das Management so klug, die Preise für Plug-in-Fahrzeuge auf ein Niveau zu senken, das mit denen im Verbrennersegment vergleichbar ist.

Der neue SUV von BYD kostet 153'600 Dollar

An gutem Design mangelte es der Modellpalette indessen noch. Um Abhilfe zu schaffen, holte BYD im Jahr 2016 Wolfgang Egger als Designchef an Bord, und damit eine Kapazität im Segment, der diese Position bereits bei Audi und Alfa Romeo innehatte. Ebenfalls zum Konzern stiessen der Chef des Fahrzeugdesigns von Ferrari und ein Top-Innenarchitekt von Mercedes-Benz.

China hat Tesla inzwischen als erstem ausländischen Unternehmen gestattet, ein Automobilwerk ohne einheimischen Joint-Venture-Partner zu bauen. BYD indessen ist mittlerweile dem Anspruch entwachsen, lediglich mit preiswerten Modellen zu punkten. Das derzeit teuerste Konzernmodell – der SUV Yangwang U8 – kostet umgerechnet rund 153'600 Dollar. Zu Chinas enormem Wachstum im E-Auto-Bereich haben staatliche Subventionen einen Beitrag geleitet.

Paul Gong, Chef der Automobilindustrie-Analyse bei der UBS, sieht einen noch grössere Erfolgsfaktor jedoch im Grad des Wettbewerbs, der durch diese Unterstützung entstanden ist. "Sie müssen an Innovationen arbeiten, sie müssen versuchen, herauszufinden, was die Verbraucher wirklich wollen, und sie müssen ihre Kosten optimieren, um sicherzustellen, dass ihre Elektrofahrzeuge in diesem hart umkämpften Markt wettbewerbsfähig sind", sagte Gong.

Bei der Analyse einer BYD-Limousine des Modells Seal fand sein Team einen Kostenvorteil von 25 Prozent gegenüber der Konkurrenz aus dem traditionellen Autosektor. Angesichts dieser Erkenntnis prognostizieren die UBS-Experten, dass chinesische Hersteller im globalen Automobilgeschäft bis Ende des Jahrzehnts wohl auf einen Marktanteil von einem Drittel kommen werden. Die Analysten von Bernstein gehen davon aus, dass Tesla im nächsten Jahr einen Umsatz von 114 Milliarden Dollar erzielen wird, während BYD auf 112 Milliarden Dollar kommt.

(Bloomberg)