cash.ch: Die Corona-Krise hat die Weltwirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen. Der IWF geht davon aus, dass die Weltwirtschaft 2020 um 3 Prozent schrumpfen wird. Überrascht Sie das Ausmass der Krise?

Mario Geniale: Die Wirtschaftsdaten zeigten schon vor der Corona-Krise eine gewisse Abschwächung. Das Corona-Virus hat uns daher im falschen Moment erwischt. Man konnte aber davon ausgehen, dass dies zu einer Intensivierung der Abschwächung führt. Das Ausmass der Lockdowns hatten wir aber bei weitem nicht in den Karten.

Es gibt keinen historischen Vergleich zur Corona-Krise?

Nein, gar nicht. Der Vergleich mit den 1930er Jahren ist schwierig. Wir haben dahingehend eine gleiche Situation, da wir uns jetzt auch in einer Schuldenfalle befinden. Der Schuldenstab wird herumgereicht. Diesen haben nun wiederum die Zentralbanken und die Regierungen übernommen. Dabei ist kein Ende in Sicht und das Ausmass hat den Geschmack der 1930er Jahre. Es geht momentan einzig darum, dass nicht ganze Wirtschaftssysteme zusammenbrechen.

Die Schuldenfrage ist momentan kein Thema…

Dies hat man auch nach 2008 und 2009 nie angeschaut. Man hatte vor der Krise das Gefühl, dass Schuldenproblem würde mit der Zeit verschwinden. Die Idee dahinter: Das Wirtschaftswachstum allein verringert die Schuldenquote. Die Inflation haben wir aber nie bekommen.

Kommt die Inflation nach dieser Corona-Krise?

In der Finanzkrise hat man Unmengen an Liquidität auf die Bankbilanzen geschoben. Die Inflation hat man danach einzig in den Immobilien und den Aktien gesehen. Dieses Mal geht die Geldmenge direkt in die Realwirtschaft. Wir denken, dass hauptsächlich Produkte im Hochpreissegment und von nationaler Bedeutsamkeit teurer werden könnten.

Allein in den USA sind im April 20 Millionen Menschen arbeitslos geworden und in der Schweiz steigt die Arbeitslosenquote auf 3,3 Prozent. Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass der Konsum nachhaltig geschädigt wird?

Entscheidend ist die Verunsicherung. Diese ist per Definition schädlich und wird einen sichtbaren Effekt haben. Die Konsumenten werden bei grösseren Anschaffungen zurückhaltend sein. Wir gehen von einem nachhaltigen Effekt bis Ende Jahr und bis ins nächste Jahr hinein aus. 

In der Jahresbetrachtung stehen der SMI und der SPI dank der Erholung im April nur noch 10 respektive 7 Prozent im Minus. Ist die Krise an den Aktienmärkten schon eingepreist?

Grundsätzlich spielen hier einerseits die defensive Ausrichtung des Schweizer Marktes und andererseits die drei grossen Indexschwergewichte Roche, Novartis und Nestle eine grosse Rolle, dass der Schweizer Markt nicht so sehr gelitten hat. Wir gehen davon aus, dass die Schweiz in der Corona-Krise besser dastehen wird als das Ausland. Wir sehen daher den Swiss Markte Index Ende Jahr bei 10'000 Punkten. Zwischenzeitlich kann es zu Korrekturen kommen, die für Zukäufe genutzt werden sollten.

In welchen Sektoren sehen Sie das grösste Potenzial?

In der Gesundheits- und Technologiebranche. Dies sind Sektoren, die von den Megatrends Alterung und Digitalisierung profitieren. Im Bereich Gesundheit sind neben den Schwergewichten Roche und Novartis auch  Vifor Pharma, Sonova und Straumann interessant. Im Technologiebereich sehen wir weiterhin Comet und VAT als führende Zulieferer in der Halbleiterindustrie. 

Bei anderen Sektoren ist Vorsicht angebracht?

In anderen Sektoren ist die Titelselektion sehr entscheidend. Wir haben immer noch einen Megatrend in Richtung Urbanisierung. Hiervon profitieren Schindler und Lafarge Holcim stark. Im Bereich Onlinehandel ist der Lagerlogistiker Interroll ein interessanter Kandidat. Im Bereich Elektrofahrzeuge profitiert der Kabelhersteller Komax- und beim Windanlagenbau ist Gurit ein wichtiger Lieferant. 

Die Aktien der Grossbanken UBS und Credit Suisse verlieren in der Krise zwischen 20 und 40 Prozent. Würden Sie momentan auf eine Grossbank setzen?

Wir sind im Finanzsektor und bei Versicherungen eher vorsichtig. Bei den Aktien beider Grossbanken positionieren wir uns zurückhaltend. Wenn, dann favorisieren wir die UBS. Diese gefällt uns wegen dem defensiveren Geschäftsmodells besser. Mit dem Fokus auf die Vermögensverwaltung ist die UBS besser aufgestellt als die Credit Suisse.

Bei welchen Aktientiteln sehen Sie für einen risikofreudigen Anleger das grösste Potenzial?

Man könnte darauf spekulieren, dass ein Impfstoff früher als erwartet kommt. Der Tourismussektor und damit die Airlines wären dann sicherlich die Gewinner und hätten ein massives Aufholpotenzial. Dies ist aber aufgrund der heutigen Informationen eine hochspekulative Überlegung.

Wie soll ein Anleger sein Aktienportfolio in der Corona-Krise ausrichten? 

Drei Faktoren sind wichtig: Qualität, Qualität und Qualität. Die Schwergewichte RocheNovartis und  Nestle können wegen ihres soliden Geschäftsmodells im Portfolio je 10 Prozent ohne weiteres ausmachen. Aber in der Schweiz gibt es zahlreiche Firmen mit hoher Qualität. Dazu gehören auch Lonza, Schindler, Lafarge Holcim oder Straumann.

Was für eine Cash-Quote empfehlen Sie momentan?

Wir haben eine substanzielle Cash-Quote wegen unserem Untergewicht bei den Obligationen. Und auch für weitere Einbrüche sollte man aufgestellt sein. Wir schliessen nicht aus, dass der SMI zwischenzeitlich unter 9000 in Richtung 8500 Punkte gehen wird. In diesen Momenten würden wir aber wieder zukaufen.

Wall-Street-Legende Ray Dalio sieht Gold neuerdings bald bei 3000 Dollar. Sind sie auch so bullish auf Gold?

Gold gehört in das Portfolio als Absicherung und stabilisierender Faktor. Allein wegen der Tendenz der Zentralbanken, ihre Bilanzen bei jeder Krise auszuweiten, gehört Gold hinein. Kurzfristig sehen wir kein massives Aufwärtspotenzial. In den nächsten fünf Jahren würden mich aber Levels zwischen 2500 und 3000 Dollar pro Unze nicht überraschen. 

Mario Geniale ist als Chief Investment Officer verantwortlich für die Anlagepolitik der Bank CIC. Der diplomierte Vermögensverwalter und Finanzexperte verfügt über langjährige Erfahrung im Portfolio Management und Advisory.

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