cash.ch: Trotz anhaltender Corona-Krise hat der Swiss Market Index seit seinen Tiefstständen im März um über 30 Prozent zugelegt. Befinden wir uns in einem neuen Bullenmarkt?

Felix Brill: Wir glauben nicht, dass wir schon in einem neuen Bullenmarkt sind. Wir sehen kurzfristig die Gefahr, dass es zu Rückschlägen kommen wird. Eine zweite Corona-Welle könnte noch eintreffen. Und die Märkte sind in letzter Zeit zu schnell zu stark nach oben gestiegen. Daher: Nein, dies ist noch nicht der nächste Bullenmarkt.

Mehrheitlich wird davon ausgegangen, dass im dritten Quartal eine konjunkturelle Erholung einsetzt. Sind zyklische Werte schon interessant?

Ja, in der Tat. Die konjunkturelle Erholung, die wir schon in ersten Anzeichen sehen, wird sich fortsetzen. Dies im Zuge der immer stärkeren Öffnung der Wirtschaft. Solange es keine wirkliche zweite Welle gibt und wenn sich das konjunkturelle Umfeld immer stärker erholt, werden Zykliker durchaus profitieren können. Kurzfristig raten wir aber noch nicht zum Kauf von Zyklikern, sondern vorerst noch zu mehr Qualität und defensivem Verhalten. Das heisst bewährte Werte wie aus dem Gesundheitssektor wie Roche. Aber auch Nestlé ist im momentanen Umfeld eine gute Wahl. Aus Branchensicht finden wir Telekommunikation erwähnenswert. Einerseits wegen der Bewertung, andererseits wegen des dem aktuellen Umfelds der Digitalisierung. In der Schweiz ist daher die Swisscom ganz interessant.

Fed-Chef Jerome Powell verkündete letzte Woche, dass die Zinsen noch Jahre tief bleiben werden. Was bedeutet dies für die Entwicklung der Bankenaktien?

Bei den Banken ist das Geschäft natürlich einfacher, wenn es eine grössere Zinsdifferenz gibt. Das ist in der jetzigen Situation eine gewisse Herausforderung. Umgekehrt war die Unterstützung der Zentralbanken sehr wichtig für die Erholung der Aktienmärkte und generell der Finanzmärkte. Und dies ist ein Umfeld, in dem Banken profitieren können. Daher gibt es nicht nur die negative Seite, weil die Zinsen generell tief sind, sondern auch die positive Seite, weil das Umfeld für Banken gut ist.

Der Dollar hat gegenüber dem Euro wie auch dem Franken seit Ende Mai deutlich an Wert verloren. Woran liegt das?

Von Schwäche würde ich noch nicht reden. Ganz im Gegenteil: Der Dollar ist noch sehr stark bewertet gegenüber vielen anderen Währungen. Wir sahen insbesondere im März, als die Finanzmärkte tatsächlich sehr viele Stresssymptome gezeigt hatten, dass die sichere Hafenfunktion des Dollars sehr gefragt ist. Der Dollar legte in den ersten Märztagen sehr stark an Wert zu und hat jetzt etwas von diesem Zugewinn wieder abgegeben. Aber kurzfristig würde ich dies nicht überinterpretieren.

Sondern?

Auf lange Sicht sieht es etwas anders aus. Der Dollar durchlief in den letzten Jahren einen Zyklus, in dem er sehr stark und überbewertet gegenüber sehr vielen Währungen war. Wenn die sichere Hafenfunktion nach der Corona-Krise weniger wichtig wird, sehen wir gute Chancen, dass wir in eine andere Phase eintreten werden. Dass dann der Dollar nicht von Stärke strotzt, sondern zum Schwächling an der Währungsfront mutieren wird.

Wie soll ein Schweizer Anleger sein Portfolio hinsichtlich der kommenden Dollarschwäche ausrichten?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich darauf zu wappnen. Einerseits kann es Sinn machen, die Dollarpositionen abzusichern. Dies ist momentan günstiger als noch vor ein oder zwei Jahren, da die Zinsdifferenz nun kleiner geworden ist. Andererseits lohnt sich der Blick auf die Schwellenländer. Schwellenländer profitieren davon, wenn der Dollar zur Schwäche neigt. Das könnte aus Sicht eines Schweizer investors mit dem Franken sehr interessant sein.

Gold ist in der Corona-Krise sehr gefragt. Die Vergangenheit hat sich gezeigt, dass in Phasen von Dollarschwäche Gold tendenziell profitiert. Sehen Sie dies für die nächste Zeit gleich?

Gold ist sehr prominent in unserem Portfolio. Gold spielt eine grosse Rolle, um ein Portfolio zu stabilisieren und ein Portfolio robuster zu machen. Gold ist ein bewährter 'Diversifikator' im Portfolio, was sich auch jetzt in der Krise wieder gezeigt hat. Kurzfristig sehen wir noch Risiken für Rückschläge an den Finanzmärkten. In diesem Umfeld finden wir es weiterhin wichtig, Gold im Portfolio zu berücksichtigen. Und falls sich der Dollar in den nächsten Jahren tatsächlich abschwächen wird, ist Gold ebenfalls eine interessante Wahl.

Felix Brill ist Anlagechef und Mitglied der Geschäftsleitung der VP Bank Gruppe. Zuvor führte er als CEO das Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners, das er zusammen mit Partnern im Jahr 2009 gegründet hatte.

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