Schweizer Unternehmen könnten mehr aus Social Media machen, lautete das Resultat einer Studie vor zwei Jahren. "Die Möglichkeiten werden bisher nicht voll genutzt", so die Autoren der Capgemini-Untersuchung. Seither ist Social Media dem Exoten-Status entwachsen und ein etabliertes Thema geworden, sagt Guido Kamann, der die damalige Untersuchung für das Beratungsunternehmen durchführte, zu cash. "Gleichzeitig ist aber auch die Anfangseuphorie in diesem Bereich weg."
Schon ein Blick auf die Anzahl Follower auf dem Kurznachrichtendienst Twitter zeigt gewaltige Unterschiede. Das Schlusslicht Geberit mit 347 Followern und den Primus Novartis (148'000 Follower) trennt die Gefolgschaft in der Grösse einer Kleinstadt. Allerdings ist der Pharmariese Novartis punkto Gewinn und Mitarbeiterzahl um den Faktor 20 grösser als der Sanitärtechnikkonzern. Das erklärt aber den grossen Unterschied bei den Followern nicht ganz.
Zwei von 20 SMI-Unternehmen haben gar kein offizielles Twitter-Profil, nämlich Julius Bär und Richemont. "Als Privatbank legen wir Wert auf den direkten Kontakt zwischen Kunde und Kundenberater", begründet die Bank Bär ihre Twitter-Absenz auf Anfrage von cash.
Wer ist wirklich einflussreich?
Auf der zweiten wichtigen Social-Media-Plattform Facebook sind sogar nur 14 von 20 SMI-Firmen mit einer eigenen Seite vertreten. Hier hat der Nahrungsmittelmulti Nestlé bislang am meisten "likes" gesammelt (7,4 Millionen). Dahinter folgen Swatch und ABB (3,9 Millionen und 360'129, weitere Zahlen siehe Tabelle unten). Der Duftstoffhersteller Givaudan gehört hier zu den Abwesenden. Das soll sich aber bald ändern, wie Sprecherin Sabine Abanto auf Anfrage sagt.
Das sind die nackten Zahlen. Doch wie einflussreich sind die Firmen mit ihren Social-Media-Aktivitäten? Die Anzahl Follower und "gefällt mir"-Nachrichten sind schliesslich nicht gleichbedeutend damit, wie tonangebend Firmen auf Social Media sind.
Um das zu beurteilen, hat die Zürcher Social-Media-Agentur Kuble in Zusammenarbeit mit der Agentur für Meinungsbildung (AFMB) für cash einen entsprechenden Index erstellt. Dieser basiert auf dem sogenannten Klout Score, der den Online-Einfluss von Unternehmen, Organisationen und Personen quantitativ dokumentiert. Dabei werden unter anderem die Aktivitäten auf Twitter und Facebook, aber auch die Anzahl Weiterempfehlungen in sozialen Netzwerken gemessen. Der genaue Klout-Algorithmus wird nicht bekanntgegeben.
Am einflussreichsten sind gemäss dem einflussreich-Ranking die beiden Grossbanken Credit Suisse und UBS sowie der weltgrösste Uhrenhersteller Swatch. Schon relativ weit abgeschlagen folgen die SMI-Schwergewichte Nestlé, Novartis und Roche (hier gehts zum vollständigen Ranking). Es ist wenig erstaunlich, dass die oben erwähnten Twitter-und Facebook-Muffel auch auf der einflussreich-Skala zuhinterst auftauchen: Geberit, Transocean, Givaudan, Actelion, Holcim und SGS kommen auf einen Klout-Wert unter 50, während die Skala bis 100 reichen würde.
Den breiten News-Strom sortieren
Mit einem anderen Ansatz versucht Sentifi die Aufmerksamkeit in digitalen Medien zu erfassen. Die Schweizer Firma, die sich selber als "Finanzmarktintelligenz-Plattform" bezeichnet und deren Dienste auch cash.ch in Anspruch nimmt, identifiziert aus dem breiten Strom von Twitter, News und Blogs die relevanten Meldungen über ein Unternehmen. Diese "wisdom of the crowds" oder Schwarm-Intelligenz soll es Beobachtern ermöglichen, die heiss diskutierten Themen, Aktien oder Personen zu verfolgen.
Über die letzten 365 Tage war die UBS das meist besprochene SMI-Unternehmen, wie aktuelle Sentifi-Daten zeigen, die cash vorliegen. Dahinter folgen Credit Suisse, Nestlé, Novartis und Roche.
Die Unterschiede zwischen der Anzahl "Freunde" und "Followern" in den sozialen Medien einerseits und den beiden Rankings andererseits sind gross. Das hängt sicher mit den Zielgruppen zusammen. Für Grossbanken oder Hersteller von Konsumgütern ist es einfacher, die Kundschaft über soziale Netzwerke anzusprechen. Es entsteht hier viel eher ein Dialog mit Endabnehmern und Klienten als bei Industrieunternehmen wie ABB, das keine Retailkundschaft hat.
Handkehrum orientieren sich beide Indizes an qualitativen Parametern. Das heisst: Gute sowie schlechte Nachrichten werden zum Volumen dazugezählt. Hohe Werte auf Social Media sind also nicht unbedingt gleichbedeutend mit unternehmerischem Erfolg, gutem Image oder Investorenzuneigung. So gehören die "Klout-Könige" CS und Swatch über das letzte Börsenjahr gesehen zu den Bettler-Aktien mit unterdurchschnittlicher Performance.
«Unzählige ungeschriebene Gesetze»
Experten sind sich deshalb einig: Es gibt keine Allzweckwaffe für Social Media. "Social Media hat wenige Regeln, aber unzählige ungeschriebene Gesetze", sagt Achim Jenner von der Agentur für Meinungsbildung, die für Kuble das Ranking erstellt hat. Die Herausforderung guter Kommunikation im Social Web liege darin, den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Anspruchsgruppen zu finden.
Verschiedene Firmen erreichen das, indem sie nationale Twitter-Kanäle betreiben - wie es die UBS tut. Auch die Migros gilt als Vorbild in Sachen Social Media. Der Detailhändler habe "Chancen und Risiken früh erkannt", sagt Irène Messerli von Bernet PR, einer auf digitale Kommunikation spezialisierten Agentur. Als Beispiel nennt Messerli die Migipedia-Community, wo Migros in Dialog und Interaktion mit ihren Kunden steht.
Als erfolgreiche Strategie gilt in der Branche auch, eine Marke als persönlich und menschlich zu repräsentieren. Verschiedene Firmen wie ABB, Adecco, Holcim oder Hublot versuchen das über twitternde CEO zu erreichen.
Fahrlässiges Verhalten
Achim Jenner schätzt die Chancen eines Social-Media-Engagements grundsätzlich dann als gut ein, wenn die Ziele klar und realistisch formuliert werden. "Dann erhält man ein starkes Meinungsbildungs-Tool, das sich für Corporate Communications, Marketing und flankierendes Branding instrumentalisieren lässt." Allerdings erfordert eine solche Arbeit einiges an Einsatz, wie das Beispiel von Nestlé zeigt. Der Nahrungsmittel-Multi hat auf Facebook am meisten Anhänger aller SMI-Titel und lässt sich das einiges kosten.
In Vevey ist ein eigenes Team für das Überwachen und Bespielen der Online-Kanäle zuständig. Seit Nestlé vor mehreren Jahren von Greenpeace über Facebook angeprangert wurde, hat der Konzern viel Geld in die Hand genommen, um die Wiederholung eines solchen Ereignisses zu verhindern. 12 Personen beobachten nun, was über Kit Kat oder Nescafé getwittert, gepostet oder gebloggt wird.
Gleichzeitig darf Social Media nicht mehr isoliert betrachtet werden. "Es ist Teil der digitalen Transformation, die für alle Unternehmen von Bedeutung ist", sagt Guido Kamann von Capgemini. Im Fall von Banken bedeutet das beispielsweise, dass Kunden auch übers Internet eine Hypothek abschliessen können – ohne einen Kundenberater zu Gesicht zu bekommen. Aber auch andere Industrien werden in Zukunft mit einem zunehmenden Digitalisierungsgrad konfrontiert. "Wer sich nicht damit beschäftigt, handelt fahrlässig", so Kamann.
SMI-Titel | Twitter-Follower | Tweets | Facebook-Likes |
ABB | 104'000 | 6824 | 360'129 |
Actelion | 2015 | 513 | 1631 |
Adecco | 5344 | 2856 | 29'535 |
CS | 127'000 | 4065 | 74'440 |
Geberit | 347 | 121 | 46'913 |
Givaudan | 677 | 2850 | - |
Holcim | 4665 | 590 | 13'745 |
Julius Bär | - | - | - |
Nestlé | 97'300 | 3958 | 7,4 Mio. |
Novartis | 148'000 | 8040 | 95'652 |
Richemont | - | - | - |
Roche | 107'000 | 4772 | 30'435 |
SGS | 3246 | 2022 | - |
Swiss Re | 14'700 | 6574 | - |
Swisscom | 16'600 | 7549 | 269'844 |
Syngenta | 45'100 | 7750 | 197'671 |
Swatch | 31'600 | 3101 | 3,9 Mio. |
Transocean | 630 | 84 | - |
UBS | 114'000 | 800 | 36'604 |
Zurich | 26'000 | 2710 | 252'552 |
Quellen: twitter.com, facebook.com (Stand 26.05.2015)