Es ist nicht lange her, als Marktbeobachter beim Anblick des Tesla-Kurscharts nur staunen konnten. Zwischen Anfang Januar und Mitte Februar stieg der Kurs des E-Auto-Pioniers in einer beispiellosen Rally von 400 Dollar auf 968 Dollar. Allein Ende Februar schoss die Aktie innert einer Woche 55 Prozent in die Höhe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Urteil vieler Marktbeobachter gefällt: Tesla erlebt einen Hype, der schon bald ein jähes Ende finden muss.

Das war und ist angesichts des Tempos der Aktien-Rally nachvollziehbar. Als Mitte Februar das Coronavirus Europa und die USA erreichte, sackte der Tesla-Kurs scheinbar folgerichtig in den ersten vier Krisen-Wochen um rund 60 Prozent auf nur noch 361 Dollar ab. Doch was seitdem passiert erstaunt Marktbeobachter aufs Neue: Die Aktie schüttelt – im Gegensatz zu den Titeln anderer Autohersteller – alle Corona-Sorgen ab und kratzt in diesen Tagen bereits wieder an der 800-Dollar-Marke. Wie kann das sein?

Tesla-Aktienkurs in den letzten 12 Monaten, Quelle: cash.ch

«Bestes Quartal der Firmengeschichte»

Ein Grund liegt schlicht in den publizierten Quartalszahlen. Anfang April überraschte Telsa einmal mehr Anleger und Analysten mit erstaunlich guten Absatzzahlen. In den ersten drei Monaten des Jahres verkaufte Tesla 88'400 Fahrzeuge und damit rund 40 Prozent mehr als im Vorjahres-Quartal. Auch das ab Januar in die Produktion aufgenommene Model-Y sorgte für steigende Umsatzzahlen. Elon Musk spricht im Quartalsbericht von der "besten Quartals-Leistung der Firmengeschichte". Anleger rechneten damit, dass die Corona-Krise sich im ersten Quartal deutlicher in den Zahlen niederschlagen würde.

Doch was wirklich beeindruckt sind die Zahlen in China. Erst gegen Ende letztens Jahres konnte Tesla mit der Produktion im Reich der Mitte beginnen. Und das Geschäft scheint gut anzulaufen – trotz Corona. Obwohl im März der Gesamt-Automarkt in China um rund 40 Prozent einbrach, verkaufte Tesla 10'160 Autos. Nur Konkurrent BYD Auto aus Shenzen verkauft mit 10'433 geringfügig mehr reine E-Autos. Zur Einordnung: Im Februar setze Tesla lediglich 3900, im Januar gar nur 2620 Autos ab. Der Trend geht trotz Corona klar nach oben. Das ist der Boden für weitere Kursfantasien bei Anlegern.

Massive Sparmassnahmen gegen die Corona-Krise

Nichtsdestotrotz geht die Corona-Krise auch an Tesla freilich nicht spurlos vorbei. Auch wenn das erste Quartal 2020 das beste Anfangsquartal aller Zeiten war, ging der Absatz gegenüber dem vierten Quartal 2019 um 21 Prozent zurück. Zudem musste Tesla Ende März sein Werk im kalifonischen Fremont schliessen. Dass es bei Autozulieferern zu Engpässen kommt, trifft auch Tesla. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass der E-Auto-Pionier weniger stark davon betroffen ist, da Elektroautos aus weit weniger Teilen bestehen.

Zudem erlebt die US-Wirtschaft einen massiven Einbruch, was die Arbeitslosigkeit in die Höhe schiessen lässt und den Konsum drückt. Darunter könnte auch Tesla leiden.

Doch Tesla scheint mit diesen Herausforderungen umgehen zu können – zumindest bislang. Das Unternehmen aus Kalifornien begegnet der Corona-Krise mit massiven Sparmassnahmen. In den Tesla-Werken sind etwa 50 Prozent des Vertriebs- und Auslieferungspersonals bis auf Weiteres in den unbezahlten Urlaub geschickt worden. Beim übrigen Personal sollen Gehaltskürzungen von 10 bis 30 Prozent angeordnet wurden sein. Was für die Arbeitnehmer schlecht ist, freut auf der anderen Seite Investoren.

Analysten mal wieder uneins

Allerdings rennt auch Tesla hier die Zeit davon. Es stellt sich die hier erstens die Frage, wie lange solche Sparmassnahmen von der Belegschaft mitgetragen werden. Und zweitens, wie lange diese genügen, wenn sich die wirtschaftliche Lage durch das Coronavirus weiterhin nicht verbessert.

Analysten sind bei ihren Kurszielen für Tesla traditionell meilenweit auseinander – und werden von der Realität eingeholt. Vor zwei Wochen sprach Goldman Sachs eine Kaufempfehlung aus und setze das Kursziel auf 864 Dollar – was somit praktisch schon kassiert wurde. Die US-Investmentbank schreibt, Tesla sei klarer Marktführer beim Absatz von Elektroautos, aber auch bei den Batterie-Reichweiten.

Als grösster Tesla-Pessimist präsentiert sich die US-Bank JP Morgan. Sie stuft die Aktie auf "Sell" und setze Anfang April – nach Verkündung der Quartalszahlen – das Kursziel auf 240 Dollar. Das wäre zum jetzigen Kurs ein Verlustpotenzial von über 70 Prozent.

Geballte Ladung an Erwartung

Die massiv divergierenden Kursziele zeigen, wie sich Analysten mit einer Einschätzung von Tesla schwertun. Tesla ist ein Wachstums-Titel, in dem eine geballte Ladung an Erwartung steckt. Der Aktienkurs lässt sich trotz steigender Umsatzahlen noch immer nicht ansatzweise mit der realwirtschaftlichen Realität erklären.

Allerdings muss das nichts heissen. Aktienkurse bilden bekanntermassen immer die Erwartungen für die Zukunft ab. Die Amazon-Aktie schoss bereits Jahre bevor das Unternehmen seine jetzige Marktstellung erreichte in die Höhe. Wenn Tesla tatsächlich das liefert, was Elon Musk verspricht und auch viele Experten für möglich halten, ist der jetzige Kurs wahrscheinlich immer noch viel zu niedrig.

Wenn die Wachstumsstory allerdings einen Knick bekommt – sei es durch externe Faktoren wie Corona oder wider Erwarten durch ernsthafte Konkurrenz der konventionellen Autobauer – kann die Wette auf Tesla für Anleger eine ganz teure werden.