Im milliardenschweren Bilanzskandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard ist Ex-Chef Markus Braun wieder auf freiem Fuss. Nach einer Nacht in Untersuchungshaft in München wurde er am Dienstagnachmittag gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro freigelassen, sagten Brauns Rechtsanwalt und ein Sprecher des Amtsgerichts München am Mittwoch. Braun, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation ermittelt, muss sich wöchentlich bei der Polizei melden.

Dem langjährigen Wirecard-Vorstand und Braun-Vertrauten Jan Marsalek, gegen den ebenfalls Ermittlungen laufen, droht Insidern zufolge weiterhin eine Verhaftung. Marsalek war bis zu seiner Abberufung am Montag für das Tagesgeschäft und die Asien-Aktivitäten von Wirecard verantwortlich. Der philippinische Justizminister Menardo Guevarra sagte, es gebe Hinweise darauf, dass Marsalek kürzlich auf die Philippinen gereist sei und sich dort aufhalte. Die Behörden des Landes ermittelten gegen mehrere Personen, die möglicherweise in den Fall Wirecard verwickelt seien.

Unterdessen spitzt sich die geschäftliche Lage für Wirecard zu: Mit dem Uber-Konkurrenten Grab wandte sich am Mittwoch ein prominenter Kunde öffentlich von Wirecard ab. Das wertvollste asiatische Start-Up erklärte, seine Partnerschaft mit Wirecard bis auf weiteres auf Eis zu legen. Beobachter fürchten, dass weitere Kunden diesem Beispiel folgen. Aldi Süd erklärte mit Blick auf die Zusammenarbeit mit Wirecard: "Wir prüfen den Sachverhalt noch".

Weltkonzerne als Kunden

Zu den Kunden gehören etwa auch die niederländische Airline KLM, das schwedische Möbelhaus Ikea oder Fedex. Von der Bereitschaft der Kunden bei der Stange zu bleiben, hängt auch die Zukunft des Konzerns ab. Die Gespräche mit Gläubigerbanken zur Rettung von Wirecard laufen auf Hochtouren. Die Banken versuchen, sich einen Überblick über die Situation von Wirecard zu verschaffen.

Der in den fast zwei Jahrzehnten unter Brauns Führung stark gewachsene Dienstleister für bargeldlose Zahlungen hatte Anfang der Woche eingeräumt, dass ein bilanziertes Vermögen von 1,9 Milliarden Euro auf Konten in Asien aller Wahrscheinlichkeit nach nicht existiert. Die Ermittler legen dem 50-jährigen Österreicher zur Last, allein oder mit weiteren Tätern die Bilanzsumme und den Umsatz durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht zu haben. Die Gesellschaft habe so finanzkräftiger und für Anleger und Kunden attraktiver dargestellt werden sollen.

Kritik an Regulieren

Auch die Finanzaufsicht BaFin geht inzwischen davon aus, dass die Bilanzen für die Jahre 2016 bis 2018 falsch sind. Sie hatte daher ihre Strafanzeige wegen des Verdachts der Marktmanipulation erweitert. Zudem wacht Insidern zufolge ein Sonderbeauftragter bei der Wirecard Bank AG darüber, dass die Gelder des Instituts nicht zum Stopfen der Finanzlöcher beim Mutterkonzern Wirecard genutzt werden. Sie wirbt seit Anfang des Jahres mit Kampfkonditionen um Kundengelder.

Die Behörde, die unter der Aufsicht des Finanzministeriums steht, sieht sich selbst massiver Kritik ausgesetzt, weil sie erst spät gegen das Unternehmen vorging. Der CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer sieht bei der Aufklärung des Bilanzskandals auch das Bundesfinanzministerium in der Pflicht.

"Ich erwarte, dass der Skandal sowohl strafrechtlich als auch aufsichtsrechtlich konsequent und lückenlos aufgeklärt wird", forderte Hauer, der im Finanzausschuss des Bundestags für den Fall zuständige Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion. Die Rollen der Aufsichtsbehörde BaFin und des Finanzministeriums müssten hinterfragt werden. "Ziel muss sein, Lücken und Schwächen im Aufsichtsregime zu schliessen. Ich begrüsse daher, dass mittlerweile auch Finanzminister (Olaf) Scholz Fehler bei der von seinem Hause beaufsichtigten BaFin eingeräumt hat."

(Reuters/cash)