Christian Müller-Glissmann von Goldman Sachs hat für Kunden nur einen Ratschlag zum jüngsten Inflationsschock: Das bereits schlechte Jahr an der Wall Street wird noch schlimmer werden. Nach Ansicht des Marktstrategen steht Fed-Chef Jerome Powell nun unter noch grösserem Druck, die inflationsbereinigten Zinssätze zu erhöhen, um die heisse Konjunktur abzukühlen. Damit droht neuer Schaden für Aktien und Co.

Diese Ausgangslage deutet darauf hin, dass die Bewertungen für alle Anlageklassen, mit Ausnahme des Dollars, noch weiter sinken können. Die Fed ist nämlich entschlossen, die Realzinsen noch höher zu treiben, nachdem die Benchmark am Dienstag kurzzeitig die 1-Prozent-Marke überschritten hat. Dieses Niveau, das zuletzt 2018 erreicht wurde, dürfte das Wirtschaftswachstum in Zukunft erheblich einschränken.

Nasdaq 100 mit schlimmstem Absturz seit 2020

Während die Fed wahrscheinlich froh ist, dass der Anleihemarkt endlich auf ihre Botschaft hört, ist es eine andere Sache für Anleger, welche zinssensible Anlagestrategien bei Technologieaktien, Gold und Kryptowährungen anwenden. "Die hohe und hartnäckige Inflation erhöht das Risiko, dass die Zentralbank ihre Geldpolitik weiter straffen muss, was zu noch höheren Realrenditen führen könnte", so Müller-Glissmann. "Dies würde einen Abwärtsdruck auf die Bewertungen aller Vermögenswerte ausüben, vor allem, wenn diese höheren Renditen die Wachstumsrisiken erhöhen."

Die Teuerungsrate für Waren und Dienstleistungen fiel im August auf 8,3 Prozent von 8,5 Prozent im Juli, wie das Arbeitsministerium am Dienstag in Washington mitteilte. Von Reuters befragte Experten hatten mit einem Wert von 8,1 Prozent und damit einem deutlicheren Nachlassen des Preisauftriebs gerechnet. Anlegerinnen und Anleger stiessen am Dienstag daraufhin Vermögenswerte ab, darunter Tech-Aktien bis hin zu Unternehmensanleihen mit langer Laufzeit. Der Nasdaq 100 erlebte den schlimmsten Absturz seit März 2020.

Es gilt nun als ausgemacht, dass die Fed in der nächsten Woche die Zinsen um einen weitere 0,75 Prozentpunkte erhöhen wird. Nach dem Bericht verdoppelten die Ökonomen von Goldman Sachs ihre Zinserhöhungsprognose für Dezember auf 50 Basispunkte. Sie prognostizieren nun ebenfalls, dass es im September zu einer Erhöhung um 75 Basispunkte kommen wird.

Volatilität für Aktien dürfte hoch bleiben

Die negative Beziehung zwischen Aktien und höheren Realzinsen ist bekannt. Gleichzeitig sind Anlagen ohne Einkommensströme weniger attraktiv, da höhere Opportunitätskosten anfallen. Dies im Vergleich zu Bargeldpositionen oder einer Staatsanleihe, die irgendwann eine reale Rendite abwerfen kann. "Es gibt ausser dem Dollar nur sehr wenige Vermögenswerte, die von steigenden US-Realrenditen profitieren", sagt Müller-Glissmann. "Auf kurze Sicht bedeutet dies weiterhin für Aktien eine hohe Volatilität."

Sicherlich haben die Realzinsen bereits dazu beigetragen, den Willen der Fed zu erfüllen, indem sie Konsumenten und Unternehmen von der Kreditaufnahme abhalten und dabei gleichzeitig den Immobilienboom dämpfen. Das alles deutet darauf hin, dass die Fed das neue Niveau im Stillen bejubeln wird. Das deutet aber auch auf einen ganz anderen Kurs als im Jahr 2018 hin, als die Realzinsen das letzte Mal so hoch waren. Damals trieb der Anstieg der Realzinsen die politischen Entscheidungsträger dazu, ihre Straffungskampagne aufzugeben. Kurz darauf haben sie mit weiteren Zinserhöhungen aufgehört.

Zukunftsorientierte Anleger sind weniger erfreut über die Situation. "Es besteht das Risiko, dass eine hohe Inflation und steigende Zinsen das Wirtschaftswachstum verlangsamen und die USA und andere grosse Volkswirtschaften in eine Rezession stürzen", sagt Richard Flynn, Geschäftsführer beim Finanzdienstleister Charles Schwab. "Die Unternehmensgewinne bleiben vorerst stark. Allerdings werden die Anleger die Unternehmensgewinne in der zweiten Jahreshälfte besonders aufmerksam verfolgen."

(Bloomberg/cash)