Der Schweizer Aktienmarkt hat sich seit Anfang Mai in der Tendenz rückläufig entwickelt. Seit Jahresbeginn lautet das Kursplus gemessen am Swiss Market Index (SMI) trotzdem knapp 3 Prozent. Ob das Börsenbarometer in den nächsten Monaten wieder höher geht, hängt vor allem davon ab, wie stark die Zinsen die Konjunktur belasten. Eine Umfrage von cash.ch bei fünf Fondsmanagern zeigt, dass beim Markt- und Konjunkturausblick in der Tendenz eher Pessimismus vorherrscht.

Doch trotz hoher Zinsen, rückläufiger Wirtschaftsindikatoren und der eher unsicheren Marktlage wird zugekauft und auf Chancen gewartet. Denn der Schweizer Markt verfügt über viele qualitativ gute Unternehmen mit soliden Bilanzen. Insbesondere ein Unternehmen steht derzeit dank einem erfolgreichen Turnaround hoch im Kurs. Die Börsenspezialisten haben auch verkauft und sehen mehrere Titel, die generell zu meiden sind. Der Überblick.

Marc Strub, Leiter Portfolio Management Reichmuth & Co:

Für Marc Strub von der Privatbank Reichmuth & Co ist es bemerkenswert, wie die Finanzmärkte sich von den Auswirkungen des Zinsschocks des vergangenen Jahres erholt haben. Dies verdient besondere Beachtung, da nicht nur die Nominalzinsen, sondern auch die Realzinsen gestiegen sind. «Gleichzeitig ist die US-Zinskurve seit vielen Monaten invers. Historisch war dies ein verlässlicher Rezessionsindikator», sagt er auf Anfrage von cash.ch. Bis zum Jahresende sieht Strub trotzdem weiterhin Potenzial für höhere Aktienkurse, man dürfe jedoch nicht vergessen, dass «wir uns spät im Zyklus befinden».

Der Aktienexperte, der von Gelegenheiten bei Schweizer Nebenwerten in den kommenden Quartalen überzeugt ist, hat zuletzt beim Flughafen Zürich aufgestockt. «Obwohl dieses und das kommende Jahr weiterhin von bedeutenden Investitionen geprägt sein werden, zeichnet sich ab dem Jahr 2025 eine sehr robuste Generierung von freiem Cashflow ab» so Strub. Die geplante Ausschüttung von 40 Prozent des Gewinns als reguläre Dividende sowie die Ausschüttung der verbleibenden 83 Franken Millionen aus steuerlich begünstigten Einlagereserven in Form einer Sonderdividende machten das Unternehmen zu einem «äusserst attraktiven Dividendenzahler».

«Wir meiden Wachstumssegmente, die heute noch keinen Cash Flow erwirtschaften und auf externe Finanzierungen angewiesen sind», warnt Strub. Dies treffe insbesondere auf einige kleinkapitalisierte Schweizer Biotechtitel wie Idorsia oder Cosmo Pharmaceuticals zu. Bei ersten konjunkturellen Lichtblicken sieht Strub Chancen bei Bossard, SFS, Dätwyler oder Holcim. Alles gut geführte Unternehmen mit soliden Bilanzen. Die Nummer 1 im Protfolio ist hingegen Accelleron: «Das Unternehmen nimmt eine globale Spitzenposition in der Entwicklung und Produktion von Turboladern für Grossverbrennungsmotoren ein, die beispielsweise in der Frachtschifffahrt zum Einsatz kommen.» Eine äusserst attraktive Eigenschaft von Accelleron sei zudem, dass etwa 75 Prozent seiner Umsätze im Servicegeschäft erzielt werden, wobei hier attraktive Margen realisiert werden. Der Titel sei auch auf dem aktuellen Kursniveau «äusserst attraktiv».

Martin Lehmann, 3V Invest «Swiss Small + Mid Cap Fonds»:

«Die Inflationszahlen stehen nach wie vor im Blickpunkt der Anleger und daraus folgend die Frage, wo wir im Zinserhöhungszyklus stehen», sagt Martin Lehmann auf Anfrage von cash.ch. Entsprechend waren die Märkte über die Sommermonate nervös, die Anleger zurückhaltend und die Handelsvolumina sehr tief. Aufkommende Ängste über die konjunkturelle Entwicklung in China sowie Probleme bei einigen grossen Immobilienentwicklern belasteten zudem den Markt. Abzeichnende Zinssenkungen in den USA im nächsten Jahr sollten dem Markt jedoch helfen.

Speziell positiv gestimmt ist der Fondsmanager bei Aryzta: «Unsere Zuversicht, dass die ambitionierten Mittelfristziele erreicht werden ist weiter gestiegen.» Das operative Geschäft mache weiter Fortschritte und auch die Bilanzqualität verbessere sich nach der Rückzahlung einer (teuren) Hybridanleihe. Bei SoftwareOne ist Lehmann optimistisch, dass der derzeit laufende „strategic review“ in einer Übernahme resultieren wird. «Ob erhöhtes Übernahmeangebot oder sich aufhellende Geschäftsbedingungen - die SoftwareOne-Aktie sollte in beiden Szenarien profitieren.»

Patrik Jäger, «IFS Swiss Small & Mid Cap Equity Fund»:

«Aufgrund des erneut starken Anstiegs der Ölpreise wird der Inflationsdruck in den nächsten Quartalen wieder zunehmen», warnt Patrik Jäger von der Vermögensverwaltungsboutique IFS. Das Umfeld bleibe weiterhin äusserst anspruchsvoll und ein stagflationäres Szenario werde wahrscheinlicher. Manche Firmen müssen aufgrund der hohen Auftragseingänge stark in Kapazitäten investieren, während andere Kurzarbeit eingeführt haben. 2023 ist wegen des heterogenen Ausgangslage für Unternehmen bislang ganz klar ein Jahr für «Stockpicker».

Zugekauft hat Jäger zuletzt bei Aryzta. Das neue Management habe gezeigt, dass das Geschäft, wenn es richtig betrieben wird, durchaus margenträchtig ist und höhere Kosten weitergegeben werden können. Die Sanierung der Bilanz werde früher oder später weiter voranschreiten. Reduziert wurde Ende August hingegen bei Barry Callebaut. «Die Ankündigungen zur Strategieanpassung überzeugen uns nicht. Auch firmenintern dürften die Reorganisationen zu Spannungen führen», so Jäger

Sehr negativ sieht Jäger immer noch Idorsia: «Der eben angekündigte Rückkauf der Rechte an Aprocitentan muss als weiterer herber Rückschlag gewertet werden, zumal die Aussichten auf stattliche Lizenzeinnahmen nun wegfallen.» Die Firma habe nun angesichts der prekären finanziellen Lage kaum mehr strategische Optionen. Auch bei Polypeptide würde der Fondsmanager zur Zeit nicht investieren. Die Firma habe nach wie vor mit operativen Qualitätsproblemen zu kämpfen und es sei noch nicht absehbar, wann diese gelöst sein werden.

«Aufgrund der jüngsten Kurskorrekturen sind auf unserer Watchlist nun diverse Zykliker wie Comet oder Bossard», sagt Jäger. Sobald sich das wirtschaftliche Umfeld wieder aufhelle, werden diese Titel deutlich zulegen. Auch Ascom werde beobachtet zumal die jüngste Korrektur nicht fundamental, sondern durch Veränderungen im Aktionariat begründet sein dürfte. Die Nummer 1 im Portfolio sei nach wie vor Also. «Je grösser die Software Cloud-Plattform wird, desto attraktiver wird sie sowohl für Software-Anbieter als auch für die Endkunden.» Den «Plattform-Charakter» des Geschäfts werde in der aktuellen Bewertung noch nicht richtig widerspiegelt.

Carla Bänziger, Senior Portfolio Manager Swiss Equities bei Vontobel:

Die Marktlage bleibt für Carla Bänziger, Portfoliomanagerin bei Vontobel, unsicher. «Die Notenbanken haben zwar die Zinsen massiv erhöht und die Inflation kommt langsam runter. Aber die Arbeitslosenzahlen sind immer noch sehr tief», sagt sie gegenüber cash.ch. Hinzu komme, dass es in vielen Ländern Anzeichen für weitere Lohnerhöhungen nächstes Jahr gebe. Zusammen mit den wieder ansteigenden Energiekosten wirft das die Frage auf, ob es zu einer zweiten Welle der Inflation kommen könnte.

Trotz dieser Prognose hat Bänziger im Juni und Anfangs Juli bei Adecco zugekauft. «Nach vielen enttäuschenden Quartalen war die Bewertung von Adecco nicht anspruchsvoll. Zudem haben wir angenommen, dass eine potenzielle Rezession dieses Mal anders verlaufen wird, weil Arbeitskräfte immer noch stark nachgefragt werden und die Arbeitslosenzahlen wohl weniger steigen werden als sonst.» Seit dem Einstieg hat der Titel fast 25 Prozent zugelegt. Lindt & Sprüngli ist aber weiterhin die Nummer 1 im Portfolio. «Die Aktie hat einerseits einen eher defensiven Charakter, die Firma wächst aber klar über dem Markt und gewinnt Marktanteile.»

Bänziger ist hingegen vorsichtig bei Firmen mit hoher Verschuldung, da die Refinanzierungskosten massiv angestiegen sind. Aktien wie VAT und Straumann haben wiederum in den letzten Wochen eingebüsst und könnten noch weiter unter Druck geraten, falls die Notenbanken noch weitere Zinserhöhungen ankündigen. «Langfristig erachten wir jedoch beide Firmen als interessante Investments.»

Birgitte Olsen, Bellevue Entrepreneur Switzerland Fund, Bellevue Asset Management:

«Die Lage ist immer noch widersprüchlich und da die Märkte bislang recht resilient waren, führt dies zu einer gewissen Nervosität», sagt Fondsmanager Birgitte Olsen auf Anfrage von cash.ch. Ein baldiges Ende des enormen Lagerabbaus und dessen verzerrende Auswirkung auf Nachfrage und Sentiment könnte in vielen Sektoren für mehr Visibilität sorgen. Unternehmen mit schwachen Bilanzen und unsicheren Cashflows sind für Olsen nach wie vor kein Thema. Generell werde den negativen Auswirkungen höherer Zinsen zu wenig Beachtung geschenkt. «Sowohl Anleger wie Analysten sind in ihren Projektionen zu wenig kritisch und aus alter Gewohnheit wird der operative Gewinn ohne Rücksicht auf den finanziellen Leverage betrachtet.»

Die positive Sicht auf Inficon und der Bewertungsabschlag gegenüber VAT habe gut funktioniert, so Olsen. «Wir haben den Portfolioanteil bei den Halbleiterwerten im Portfolio etwas reduzieren, bleiben aber mittelfristig überzeugt». Aufgestockt wurde hingegen bei Aryzta: Das Unternehmen habe das tückische inflationäre Umfeld gut gemeistert, gewinne Marktanteile und könne so weiter Schulden abbauen. Der verschuldungsinduzierte Bewertungsabschlag dürfte sich weiter reduzieren.

Bei Swissquote und VZ Holding sieht Olsen Chancen bei einem Rücksetzer. Beide Unternehmen sind sehr dynamisch, im aktuellen Umfeld gut positioniert und gewinnen Marktanteile. Auch VAT bleibe mit klaren Einstiegspreisen auf der Kaufliste.Mittelfristig braucht die Welt mehr und leistungsstärkere Halbleiter und das dürfte positiv für VAT sein. «Günstige defensive Wachstumswerte sind rar und Medmix ist unser Favorit im Portfolio.» Sogar der Gesundheitsbereich kämpft mit zu hohen Lagerbeständen in Folge der langwierigen Lieferkettenengpässe. Kundenseitig führt dies seit einigen Quartalen zu Lagerabbau und einer verminderten Nachfrage. Auch Medmix hat im zahnmedizinischen Bereich damit zu kämpfen. «Dies ist aus unserer Sicht jedoch kurzfristig und wird sich normalisieren.»

ManuelBoeck
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