Im Märchen "Goldilocks" aus dem 19. Jahrhundert probiert ein kleines Mädchen den Brei von drei abwesenden Bären. Der erste Brei ist zu heiss, der zweite zu kalt, der dritte genau richtig. Basierend auf dem Märchen wird das "Goldlöckchen-Prinzip" auch für die Wirtschaft und Finanzwelt angewendet. Goldilocks nennen Profis Zeiten, in denen die Wirtschaft weder zu heiss noch zu kalt ist und in denen alles stimmt: Liquidität ist reichlich vorhanden, es herrschen tiefe Zinsen, die Konjunktur läuft, die Gewinne sprudeln, mit Aktien und sogar mit Staatsanleihen lässt sich Geld verdienen. 

Eine solche Goldilocks-Phase hatten wir in den letzten Jahren, vor allem 2017. Doch damit ist nun vorbei, wie man an der an der deutlich erhöhten Volatilität und Nervosität an den Finanzmärkten seit fast drei Monaten feststellen kann. Das sagen auch die Experten der Fondsgesellschaft Fidelity International, dem viertgrössten Vermögensverwalter der Welt mit verwalteten Vermögen von über 2 Billionen Franken. 

Denn laut Sonja Laud, Leiterin Aktien bei Fidelity in London und gebürtige Hamburgerin, steht der Konjunkturzyklus womöglich an einem Wendepunkt. "Wir haben schon einige Indizien dafür, dass wir ein Plateau erreicht haben oder bereits eine kleine Abschwächung", sagt sie im cash-Börsen-Talk. Die Neuorientierung an den Märkten zeige sich auch in den Anlegererwartungen für die Jahresabschlüsse der Unternehmen, die in den nächsten Wochen anstehen: "Okay, das werden sicher nochmals gute Jahresabschlüsse und vielleicht auch ein gutes erstes Quartal. Aber was kommt danach?", fasst Laud die derzeitige Denkweise der Investoren zusammen.

Die Stimmung ist mit Blick auf die Zahlensaison eigentlich immer noch gut. Für die Schweiz etwa rechnet der Markt im Gesamtjahr 2018 mit einem Gewinnwachstum von knapp 15 Prozent. Die Schätzungen könnten aber revidiert werden, sollten sich die Konjunkturdaten eintrüben. Schon jetzt legen einige wirtschaftliche Frühindikatoren wie Einkaufsmanagerindizes (PMI) nicht mehr weiter zulegen, in der Schweiz rutsche dieser im März gar deutlich nach unten.

Pharma, Versorger und Telekommunikation

Die erhöhte Volatilität an den Börsen ist laut Experten typisch für die späte Phase eines Konjunkturzyklus. Aktien-Anleger sollte sich in solchen Perioden umorientieren. Fidelity ist bei Dividendenpapieren vorsichtiger geworden, nicht als Ganzes, sondern punktuell. "Anleger sollten nun auf Werte schauen, die in der Börsenrangliste auf der Verliererseite standen im letzten Jahr", sagt Laud.

Bislang war der Markt eher auf zyklische Werte ausgerichtet. Nun könnte man bei defensiven Aktien "durchaus Opportunitäten finden", findet Laud und meint damit Aktien in den klassisch defensiven Sektoren wie Pharma, Versorger und Telekommunikation. Multi-Asset-Fondsmanager von Fidelity zum Beispiel setzen auf europäische Telecomgesellschaften, die durch günstige Bewertung, Umsatzzunahme und Margensteigerung auffallen.

Der Aktie von Facebook gegenüber ist Sonja Laud, die sich bei Fidelity selber um fast 200 Milliarden Franken an Fondsgeldern kümmert und früher bei DWS und Baring Asset Management gearbeitet hat, indes eher skeptisch eingestellt. "Ich wäre sehr, sehr vorsichtig, mich hier zu schnell wieder zu engagieren." In den USA sei man erst am Anfang einer politischen und regulatorischen Einflussnahme, "die sich sehr lange hinziehen kann." Das könnte dazu führen, dass es zu Änderungen bei den Geschäftsmodellen zur Nutzung von privaten Daten ergeben werden. 

Und wie geht es mit den Börsen generell weiter in diesem Jahr? Ist Laud derselben Meinung wie etwa Anastassios Frangulidis, Chefstratege bei Pictet Asset Management, der momentan erst den Anfang des eines Börsenbebens und die eigentliche Korrektur erst 2019 kommen sieht (siehe cash-Artikel von Montag)? So weit möchte Sonja Laud nicht gehen: "Wir haben die Chance, Seitwärtsmärkte zu sehen. Für den Gesamtmarkt tun wir uns schwer, sehr positiv zu sein. Die Opportunitäten liegen in den einzelnen Bereichen." Ein wirklicher Handelskrieg zwischen den USA und China wäre aber die negativste Konsequenz für die Aktienmärkte, sagt sie.

Sehen Sie hier den cash-Börsen-Talk mit Sonja Laud.

Artikel und Video mit Sonja Laud entstanden anlässlich einer Medienreise für Journalisten aus Kontinentaleuropa, die von Fidelity organisiert wurde.