Um den Einfluss Europas mächtigster Automobil-Dynastie zu wahren, nahm Hans Michel Piëch im Jahr 2017 einen Kredit auf, um für rund 1,1 Milliarden Euro Anteile an der Familienholding von seinem Bruder Ferdinand Piëch - dem streitbaren früheren Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG - zu erwerben.
Der Deal half zwar, einen damals eskalierenden Familienstreit beizulegen, machte Hans Michel jedoch noch stärker von stabilen VW-Dividenden abhängig, um die Schulden zu bedienen. Da sich die finanzielle Lage beim Autobauer nun eintrübt, stehen die Nachkommen von Ferdinand Porsche, dem Schöpfer des VW Käfers, vor neuen Belastungen für ihre Cashflows.
Schwindende Ausschüttungen
Hans Michel, 83, einer der führenden Köpfe des Clans, der Europas grössten Autobauer kontrolliert, könnte unter Druck geraten, seine Kreditverpflichtungen zu bedienen, wenn Ausschüttungen von VW und den Beteiligungen weiter sinken, sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen. Trotz wachsender Sorge gebe es derzeit jedoch keine Hinweise auf eine unmittelbare Liquiditätsklemme, hiess es.
Die Porsche Automobil Holding, die börsennotierte Gesellschaft, über die die wichtigsten Vermögenswerte gehalten werden, erklärte, sie verfüge über keine Informationen zur finanziellen Lage einzelner Familienmitglieder und lehnte weitere Kommentare ab. Auch Volkswagen äusserte sich nicht.
Druck auf Reformen
In einer Phase tiefgreifender Umbrüche – VW kämpft mit technologischen Veränderungen, einer schwächelnden Nachfrage in Schlüsselregionen sowie steigender Konkurrenz durch Tesla und BYD – könnte das Familieninteresse an stabilen Dividenden notwendige Reformen ausbremsen, die den weit verzweigten Konzern wettbewerbsfähiger machen sollen.
«Volkswagen ist ein Chaos in Sachen Unternehmensführung», sagte Serden Ozcan, Professor für Corporate Transformation an der WHU Business School in Düsseldorf. «Das Unternehmen muss das Undenkbare tun, nämlich Strukturen aufbrechen und so viel wie möglich veräussern. Ich glaube nicht, dass die Familie dazu bereit ist.»
Wertverlust der Familienbeteiligung
Der Anteil des Clans an der Porsche Holding ist derzeit rund 7 Milliarden Dollar wert – mehr als 3 Milliarden Dollar weniger als nach dem Börsengang des Sportwagenherstellers Porsche Ende 2022. Dividenden in Höhe von mindestens 1 Milliarde Dollar haben laut Bloomberg-Milliardärsindex den Rückgang jedoch abgefedert.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Ausschüttungen der Porsche Holding weiter so üppig fliessen wie früher. Bereits dieses Jahr sind sie um 25% gesunken, und die Marke Porsche kündigte an, ihre Dividende werde im kommenden Jahr deutlich niedriger ausfallen.
Machtstruktur des Clans
Über die Holdinggesellschaft kontrolliert die rund drei Dutzend Personen umfassende Familie die Mehrheit der Stimmrechte bei Volkswagen sowie eine Sperrminorität beim Hersteller des Sportwagens 911. Seit Porsches gescheiterter Übernahmeoffensive gegen VW im Jahr 2009 hat die Familie den Fokus auf die Bewahrung des Status quo gelegt, statt erneut grosse Risiken einzugehen.
Im Machtkampf von 2015 gegen Ferdinand Piëch stellte sich der Rest der Familie gegen ihn und hinter CEO Martin Winterkorn, der VW an die Spitze der Automobilindustrie geführt hatte. Als der Dieselskandal anschliessend eine Neuordnung erzwang, holte die Familie den Vertrauten und Porsche-Chef Matthias Müller an die VW-Spitze und unterstützte einen Kurs, der den Zehn-Marken-Konzern zusammenhielt.
Zuletzt wich VW im Gegensatz zu Wettbewerbern wie General Motors nicht aus China zurück – obwohl die Bedingungen für ausländische Hersteller zunehmend schwieriger werden.
Gelenkt von Hans Michel und seinem 82-jährigen Cousin Wolfgang Porsche sowie unterstützt von weiteren Mitgliedern wie Ferdinand Oliver Porsche, Peter Daniell Porsche und Josef Michael Ahorner, gilt die Familienführung als weniger entschlussfreudig als andere Automobildynastien.
Italiens Agnelli-Clan, dessen Vermögen auf Fiat zurückgeht, wird seit mehr als zwei Jahrzehnten von John Elkann geführt. Um das Familienvermögen über den Automobilsektor hinaus zu diversifizieren, hat der Enkel des ehemaligen Patriarchen Gianni Agnelli mehrere Schritte eingeleitet, darunter die Fusion von 2021 mit dem französischen Unternehmen Peugeot zur Schaffung von Stellantis.
Die Quandt-Familie, dominierender Aktionär bei BMW, hat ebenfalls umfangreiche Vermögenswerte ausserhalb der Autoindustrie aufgebaut.
Der Porsche-Piëch-Clan ist komplex, aber weniger unübersichtlich als andere deutsche Industriedynastien. Frühere Spannungen zwischen den Porsche- und Piëch-Zweigen sind seit dem Anteilsverkauf und dem späteren Tod Ferdinand Piëchs weitgehend abgeflaut – dennoch dominieren ältere Mitglieder die Entscheidungsstrukturen.
Langjährige Rivalitäten
Hans Michel, der in den Aufsichtsräten von Porsche Holding, Volkswagen sowie den Marken Porsche und Audi sitzt, kaufte seinen Bruder aus, der nach seiner Entmachtung als VW-Aufsichtsratschef durch die eigene Familie die Verbindung kappen wollte.
Der für seinen schroffen Stil bekannte Ferdinand hatte behauptet, andere Familienmitglieder hätten früher vom Dieselskandal bei VW gewusst, als sie einräumten. Danach bot er seinen 15%-Anteil an Porsche-Holding-Aktien zum Verkauf an – und zwang die Familie damit zum Handeln.
Hans Michel musste verhindern, dass die Anteile auf dem freien Markt landen und die Kontrolle des Clans verwässern. Um das notwendige Kapital aufzubringen, setzte er eigene Aktien als Sicherheit ein.
Eine Meldung vom Februar zeigt, dass seine Münchner Investmentgesellschaft HMP Vermögensverwaltung einen Kredit über 110 Millionen Euro aufgenommen hat, besichert durch Porsche-Holding-Aktien und weitere Konten. Ein Dokument aus dem Januar 2021 wies bereits aus, dass die Firma 25 Millionen Aktien verpfändet hatte.
Führungsstreit und Strategiezweifel
Personelle Spannungen rücken erneut in den Vordergrund. Nachdem der familiennahe Oliver Blume 2022 sowohl an die Spitze der Porsche-Marke als auch des VW-Konzerns berufen wurde, äusserten einige Familienmitglieder angesichts schwächerer Ergebnisse Zweifel an seiner auf Elektromobilität ausgerichteten Strategie, hiess es.
Doch die Familie drängte zunächst nicht auf einen Wechsel. Stattdessen verschärften sich die internen Konflikte bei Porsche und führten im Februar zum Abgang von Finanzchef Lutz Meschke und Vertriebsvorstand Detlev von Platen. Um Investoren zu beruhigen, wird Michael Leiters – früher CEO von McLaren Automotive und zuvor über ein Jahrzehnt bei Porsche – im Januar Blume als Porsche-Chef ablösen.
Suche nach neuen Einnahmequellen
Nach Jahren, in denen Hinweise von Beratern zum Aufbau eines breiteren Portfolios ignoriert wurden, begannen die Familien in diesem Jahr, zusätzliche Dividendenzuflüsse zu prüfen.
Mit den Plänen der Bundesregierung, Hunderte Milliarden Euro für Verteidigungs- und Infrastrukturvorhaben zu mobilisieren, signalisiert die Porsche Holding Investitionsbereitschaft. Das Family Office führte zudem Gespräche mit der Deutschen Telekom über die Auflegung eines Risikokapitalfonds für die Verteidigungsindustrie.
Mehr dazu: Porsche, Telekom verhandeln Rolle als Rüstungsfonds-Ankeranleger
VW vor finanziellen Engpässen
Bei Volkswagen haben Bedenken über die Cashflow-Situation laut informierten Personen dazu beigetragen, dass sich der jüngste fortlaufende Investitionsplan verzögert.
Finanzvorstand Arno Antlitz erwägt demnach Kürzungen und Verkäufe von Vermögenswerten, um das anvisierte Budget von 160 Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre einzuhalten – auch angesichts des Drucks, Dividenden zu sichern. VW lehnte eine Stellungnahme ab.
Für dieses Jahr erwartet der Konzern im Automobilgeschäft einen Netto-Cashflow von null. Der Trend deutet darauf hin, dass VW bereits 2025 beginnen könnte, Reserven anzugreifen. Obwohl dies die Dringlichkeit erhöht, droht den Machtzentren des Unternehmens – darunter Gewerkschaften und das Land Niedersachsen – eine Blockade, da sie sich schwer tun, einen gemeinsamen Kurs zu finden.
«Es scheint, dass bei VW die Bereitschaft zu Veränderungen abnimmt, je härter die Herausforderungen werden», sagte Hendrik Schmidt, Corporate-Governance-Experte bei DWS Investment. «Unsere Sorge ist, dass angesichts der aktuellen Probleme – die zahlreich und eng miteinander verknüpft sind – die Zurückhaltung der Familie, den Einfluss zu lockern oder einen Generationswechsel einzuleiten, wächst.»
(Bloomberg)
