Der Derivate-Anbieter Leonteq hat am Montag die Gewinnprognose für das laufende Jahr deutlich zusammengestrichen. Als Grund wurde das geringere Handelsergebnis vor allem aufgrund der geringeren Marktvolatilität angegeben. Die Aktie verlor in der Folge 7 Prozent und baute das Minus seit Jahresbeginn auf 11 Prozent aus.

Doch Leonteq ist nicht allein mit Gegenwinden konfrontiert: Der Vakuumventil-Hersteller VAT sah sich Mitte Juni wegen des schwachen Geschäftsgangs zur Einführung von Kurzarbeit in der Schweiz genötigt. Die zyklische Korrektur im Halbleitersektor läuft und führt unter anderem zu einem ausgeprägten Lagerabbau. Es besteht für Fabienne Hockenjos, Anlagechefin der Basellandschaftlichen Kantonalbank, ein gewisses Enttäuschungspotenzial bei Halbleiterzulieferern wie Comet oder VAT.

Und erst letzte Woche sorgte der amerikanische Broker Stifel in einem Strategiepapier – der cash-Insider hat darüber berichtet - über mögliche Enttäuschungen am Schweizer Markt. Vorsichtige, wenn nicht gar negative Aussagen findet man darin etwa zu Clariant, Geberit, Givaudan, Rieter oder eben VAT.

Konjunktureller Gegenwind nimmt zu

Ganz unerwartet kommt diese Entwicklung nicht: Die Vorlaufindikatoren (PMI) für die Industrie befinden sich im Sinkflug und notieren seit Monaten deutlich unter der Wachstumsschwelle von 50. Auch der Bestellungseingang ist stark rückläufig. "Viele Firmen konnten im ersten Quartal 2023 noch von relativen hohen Auftragsbeständen - aus der Pandemie - profitieren. Dieser Effekt fällt nun zunehmend weg. Hinzu kommt ein steigender Margendruck", sagt Matthias Geissbühler, Anlagechef bei Raiffeisen gegenüber cash.ch.

Für Aufsehen sorgten in den letzten Wochen auch Gewinnwarnungen aus dem nahen und fernen Ausland: Die Ergebnisse seien durch eine schwächere Nachfrage und steigende Kosten belastet worden, teilte der US-Paketdienstleister Fedex letzten Mittwoch mit. Und die Gewinnwarnung vom deutschen Spezialitätenchemieunternehmen Lanxess schürte Sorgen vor weiteren Prognosesenkungen in der Chemieindustrie. Denn die von vielen Unternehmen erwartete Erholung im zweiten Halbjahr scheint auszubleiben, vor allem in China.

"Wir haben in den letzten Wochen manche Gewinnwarnungen gesehen, die Gewinnsaison liegt aber zu einem bedeutenden Teil vor uns", sagt Anastassios Frangulidis, Chefstratege Pictet Asset Management und Leiter Multi Asset Schweiz, auf Anfrage von cash.ch. Belastend für die Gewinnentwicklung wirke der stärker gewordene Franken sowie die verhaltene ausländische Nachfrage aus Ländern wie China oder sogar die USA. Höhere Zinskosten wirkten ebenfalls negativ auf Unternehmen, welche eine hohe Schuldenquote haben.

Zyklische Unternehmen im Fokus

Zyklische Werte aus der Industrie, Chemie und Bau stehen wegen der Konjunktureintrübung besonders im Fokus - insbesondere, wenn in den letzten Jahren das Lager stark aufgebaut wurde und der Fokus auf der ausländischen Nachfrage liegt. "Wir rechnen damit, dass viele Zykliker ihre Jahresprognose reduzieren müssen. Negative Überraschungen sind im Bausektor zu erwarten, da die Abkühlung insbesondere in Europa sehr stark ist. Kandidaten sind Geberit, Arbonia, Forbo sowie Zehnder", sagt Geissbühler.

Für Beat Pfiffner, stellvertretender Leiter Research der Schwyzer Kantonalbank, ist wegen der konjunkturellen Abschwächung das Risiko insbesondere bei frühzyklischen Unternehmen erhöht. Ein Beispiel dafür sei der Personaldienstleister Adecco. Die britische Arbeitsvermittlungsfirma Robert Walters, ein Konkurrent von Adecco, hat am 14. Juni eine Gewinnwarnung herausgegeben .

Nach der massiven Gewinnwarnung vom deutschen Chemieunternehmen Lanxess, stehen laut Geissbühler auch die Schweizer Chemiewerte auf dem Prüfstand. Gegenwind würden Clariant und EMS-Chemie spüren. "In der Chemiebranche ist Clariant ein Risikofaktor", sagt auch Hockenjos. Die kurzfristige aber auch die mittelfristige Guidance seien in Frage zu stellen. Auch das schwierige Projekt "Sunliquid" kommt kaum voran - es könnte daher zu Abschreibungen kommen.

Defensive Sektoren und insbesondere Finanzbranche nicht vor Enttäuschungen gefeit

Die Anlagechefin der Basellandschaftlichen Kantonalbank sieht im Umfeld der Pharma-Zulieferer - vor allem bei Auftragsfertigern wie Lonza oder Bachem - das Finanzierungsumfeld als die grosse Herausforderung. Kleinere Biotechfirmen haben finanzielle Engpässe, was dazu führt, dass Studienprogramme verzögert werden. Bachem spüre dies, wodurch die Gefahr, dass die Guidance für das Gesamtjahr angepasst werden muss, gestiegen sei. 

Aber andere defensive Sektoren wie beispielsweise Lebensmittelhersteller sind nicht vor Enttäuschungen gefeit: "Wegen der hohen Teuerung weichen viele Konsumenten auf günstigere Produkte aus oder reduzieren den Konsum", warnt Pfiffner. Das hat beispielsweise der Schokoladenproduzent Barry Callebaut zu spüren bekommen, wobei hier auch unternehmensspezifische Probleme hinzukamen. Nun wird mit Spannung erwartet, ob der neue Chef von Barry Callebaut die Mittelfristziele reduziert.

Die Gewinnwarnung von Leonteq wirft auch einen Schatten auf die Schweizer Finanzbranche: Spannend wird das Zahlen-Set von UBS. "Integrationskosten, mögliche weitere Rückstellungen sowie ein schwaches M&A- und Handelsgeschäft dürften das Ergebnis belasten", argumentiert Geissbühler. Bei Vontobel und Julius Bär spielt die Marktentwicklung eine wichtige Rolle: Wenn die Kundenaktivität gering ist, fallen weniger Erträge an. Hockenjos sieht deshalb bei solchen Titeln "schon ein gewisses Enttäuschungsrisiko".

Halbjahreszahlen als Zäsur?

Bisher war die Gewinnentwicklung trotz der massiven Zinswende und einer sich abschwächenden Konjunktur überraschend robust. Die aktuellen Gewinnschätzungen implizieren ein "Soft Landing" der globalen Wirtschaft. Ein solches ist aus der Sicht vom Raiffeisen-Anlagechef allerdings zunehmend unrealistisch. Entsprechend sind die Gewinnschätzungen zu hoch. "Die Publikationen der Halbjahreszahlen dürften eine Zäsur darstellen und zu Gewinnrevisionen nach unten führen", warnt Geissbühler. Nach dem starken ersten Halbjahr sei in den kommenden Wochen entsprechend mit Korrekturen an den Aktienmärkten zu rechnen.  

Immerhin: Der Schweizer Aktienmarkt ist ein defensiver, qualitätsorientierter Aktienmarkt und sollte sich in diesem Umfeld besser entwickeln als andere Aktienmärkte. Werden vermehrt Gewinnwarnungen veröffentlicht und möglicherweise sogar die Ausblicke für das Gesamtjahr reduziert, dürfte dies aber auch hierzulande zu einer allgemein höheren Volatilität und steigenden Risikoprämien für Aktien führen.
 

ManuelBoeck
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