Sunrise ist die günstigste Telekommunikationsaktie der Schweiz und die zweitgünstigste in Europa. Wird der Börsenneuling anhand von fünf Bewertungskriterien mit den Branchenkollegen verglichen, schneidet Sunrise in drei Bereichen sehr gut ab und in zwei durchschnittlich. Nur beim vielbeachteten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) erzielt der Telekomkonzern ein wenig attraktives Resultat - dies dürfte mitunter für die Unterbewertung der Aktien verantwortlich sein.
Für Schweizer Investoren ist Sunrise eine attraktive Anlagemöglichkeit: steuerfreie Dividenden, die den Marktdurchschnitt deutlich übertreffen, ein stabiles inländisches Geschäftsmodell, das zwar tiefe Wachstumsraten aufweist, auf der Gegenseite aber nicht von den Kapriolen der US-Regierung tangiert ist. Und: Aktien, die eine spürbare Unterbewertung gegenüber dem Telekomsektor und Markt aufweisen.
Ein teilweise unterschätzter Sektor
Der Telekomsektor wird von Investoren vielfach als langweilig empfunden: Begrenzte Wachstumsaussichten führen zu begrenztem Kurspotenzial. Mit Blick auf die langfristige Entwicklung des Sektor-KGVs im Vergleich zum Markt, stimmt diese Aussage hingegen nur beschränkt.
Zwar entwickelte sich die Bewertung des Telekomsektors mehrheitlich mit dieser des Gesamtmarktes, jedoch in zwei Phasen herrschten deutliche Differenzen. Von Juni 2013 bis Juli 2015 stieg die Bewertung des Telekom-Sektors sprunghaft an und der Kurs des Referenzindex avancierte um fast 70 Prozent. Der Gesamtmarkt, gemessen am Stoxx 600, wies in dieser Phase nur eine Kursperformance von etwa 40 Prozent auf. Werden Dividenden mitberücksichtigt, fällt die Performancedifferenz noch grösser aus. Umgekehrt fielen Telekomaktien in den Jahren 2020 und 2021 um etwa 8 Prozent. Der Gesamtmarkt legte in dieser Zeit um über 20 Prozent zu.
Die Gründe für die Über- oder Unterperformance der Telekomaktien finden sich in der Risikotoleranz der Anleger. Die Jahre 2013 bis 2015 waren geprägt von einem schwachen Wirtschaftswachstum in Europa als Folge der Eurokrise, Unsicherheiten durch die Annexion der Krim durch Russland, der zweiten Griechenlandkrise und einem Niedrigzinsumfeld. Sichere Anlagen mit hohen Renditen waren gefragt.
Im Gegensatz dazu führte die Covid-Pandemie und die damit verbundenen beispiellosen Liquiditätsspritzen der Zentralbanken und Staaten zu einer erhöhten und nicht - wie in früheren Krisen - zu einer niedrigeren Risikotoleranz der Anleger. Wachstumsaktien wie Technologiewerte und Kryptowährungen standen hoch im Kurs. Die Bewertungen entwickelten sich zu Ungunsten des defensiven Telekom-Sektors.
Dieser Dauerzustand hält bis heute an - ausser einem durchschnittlichen KGV liegen die Bewertungen weiterhin unter dem Marktniveau. Der Unternehmenswert zum EBITDA auf Sektorebene ist etwa halb so hoch wie im Stoxx 600. Das Preis-zu-Cashflow-Verhältnis ist rund dreimal niedriger, der Preis zum Buchwert etwa 30 Prozent niedriger und der freie Cashflow-Yield mehr als doppelt so hoch wie auf Marktebene.
Der günstigste der günstigen
Sunrise sticht innerhalb des Sektors nochmals hervor. Die Aktie weist bei fast allen Bewertungskennzahlen unterdurchschnittliche Werte auf. Ausnahme ist das KGV - es wird durch die aktuellen Verluste verzerrt.
Zwar gibt es einige Gründe, die für eine niedrige Bewertung sprechen. Die Nettoverschuldung im Verhältnis zum operativen Ergebnis (EBITDA) ist mit 4,8 das dritthöchste im Sektor und doppelt so hoch wie beim heimischen Konkurrenten Swisscom. Mit dem Fokus auf nur den kleinen und wachstumsarmen Schweizer Markt grenzt sich Sunrise gegenüber den Konkurrenten sehr ein. Die Experten der UBS sind der Meinung, dass der Markt derzeit praktisch kein Umsatz- respektive EBITDA-Wachstum bei den Sunrise-Aktien einpreist. Ausserdem ist die Dividende hoch und das Unternehmen verfügt aufgrund des kürzlich erfolgten Börsengangs noch über keinen Leistungsausweis: Sind diese hohen Ausschüttungen nachhaltig?
Gleichzeitig spricht auch vieles für eine Aufwertung des Titels - und rechtfertigt damit die Höhe des Abschlags nicht. Ein Tiefzinsumfeld begünstigt Unternehmen mit hohen Schulden - Schuldzinsen werden hier zum Randthema. In diesem Umfeld dürften zudem Aktien mit hohen Dividendenrenditen erneut in den Fokus der Anleger rücken - denn es fehlt an Einkommensalternativen. Als Unternehmen mit Fokus nur auf die Schweiz könnte Sunrise zudem - analog zu anderen sogenannten «Pure Plays» in anderen Branchen - eine Bewertungsprämie gegenüber diversifizierten Unternehmen verdienen. Besonders bei einem unsicheren Wirtschaftsverlauf in den USA dürften sich die Positionierung und der geografische Fussabdruck als Vorteil erweisen.
Die höchste Rendite und ein hoher freier Cashflow
Sollten Anleger Dividendentitel für sich entdecken, hat besonders Sunrise gute Karten in der Hand. Die Rendite von fast 8 Prozent ist die höchste im Sektor - und steuerfrei für Schweizer Anleger bis mindestens 2031 gemäss den Experten von Vontobel. Zwar fehlt noch ein Leistungsausweis, doch dürfte die Ausschüttung durch eine sehr starke Free-Cashflow-Generierung gut gedeckt sein. Das Verhältnis von freiem Cashflow zu Ausschüttungen liegt mit 1,3 über dem Branchenschnitt (0,7) und über dem der Swisscom (1,2).
Zum eingepreisten Nullwachstum meinen die UBS-Analysten zudem, dass dies gut für positive Überraschungen ist - die Erwartungen sind leicht zu übertreffen. Auch auf Einkommen spezialisierte Investoren finden diese Ausgangslage interessant: Nur in wenigen Fällen sind die Konditionen für ein Unternehmen besser, als wenn kein Wachstum erwartet wird.
Dass Sunrise derzeit Verluste ausweist, ist im Kontext der mittelfristigen Dividendenpolitik eher nachrangig. Entscheidend ist, dass ausreichend Cash zur Verfügung steht, um laufende Verpflichtungen zu bedienen und gleichzeitig eine attraktive Ausschüttung sicherzustellen. Das ist aktuell der Fall. Da bereits ab 2027 Analysten mit einem positiven Jahresergebnis rechnen, dürfte die derzeitige Ausschüttungsstrategie auch längerfristig sichergestellt sein.
Top Small- und Mid-Cap in Europa
Laut Bloomberg sprechen vier von 10 Analysten eine Kaufempfehlung für die Sunrise-Papiere aus. Vier respektive zwei raten zum Halten und Verkaufen. Das durchschnittliche Kursziel auf Zwölfmonatssicht veranschlagen sie bei 47,70 Franken - ein Aufwärtspotenzial von fast 14 Prozent.
In das optimistische Lager gesellen sich die Experten von Julius Bär, der Deutschen Bank und der UBS. Laut dem Julius-Bär-Analysten ergibt sich aus der Kombination eines vergleichsweise stabilen Geschäfts und einer Dividendenrendite von fast 8 Prozent ein überzeugendes Investitionsangebot. Der Analyst der Deutschen Bank verweist auf die niedrigen Schweizer Anleiherenditen, den widerstandsfähigen Telekommunikationssektor sowie die attraktive Dividendenpolitik als entscheidende Argumente. Die UBS führt Sunrise zudem auf ihrer Liste der attraktivsten Small- und Mid-Cap-Aktien in Europa.
Dagegen hält die US-Investmentbank Goldman Sachs. Die Verkaufsempfehlung und das Kursziel von 41 Franken - Verlustpotenzial von rund 2 Prozent - hängt der zuständige Experte am schwachen Telekom-Markt in der Schweiz und dem hohen Kostenüberhang bei Sunrise fest. Das langfristige Wachstum der Gesamtkapitalrendite dürfte damit beeinträchtigt sein. Dennoch gesteht auch er die Attraktivität der hohen Dividende vor einem starken makroökonomischen Hintergrund ein.
Für Investoren mit Fokus auf Einkommen und Substanz in Kombination mit Sicherheit ist Sunrise derzeit eine sehr attraktive Anlageoption im europäischen und Schweizer Markt. Als Gegenposition zu den derzeit risikoreichen Anlagen jenseits des Atlantiks dürfte Sunrise den gewünschten Ausgleich dem Portfolio verleihen.