Wie stark sollten sich Anlegerinnen wegen der Inflation sorgen?
Noch sind die hohen Inflationszahlen massgeblich von Basis- und Sondereffekten geprägt. Die Inflation ist jedoch ein Schwungrad, das langsam in Bewegung kommt, schneller wird und schwer zu bremsen ist. Steigen die Preise, steigt die Inflation. Und weil die Inflation steigt, kommt es zu Preiserhöhungen – etwa bei administrierten Preisen oder durch höhere Löhne –, was wiederum die Teuerung anheizt. Wir stehen vermutlich an einer kritischen Schwelle, die nächsten vier, fünf Monate werden entscheidend sein, ob dieser "Schwungradeffekt" zu greifen beginnt. Die US-Notenbank hat gerade eben mit der Beschleunigung des Tapering (Drosselung der Wertpapierkäufe) und der Aussicht auf bis zu drei Zinserhöhungen im nächsten Jahr signalisiert, dass sie der erhöhten Teuerung entgegentreten wird. Wir gehen davon aus, dass sich die Inflation nächstes Jahr substanziell zurückbilden wird. Vielleicht nicht gerade auf das von den Notenbanken anvisierte Ziel von 2 Prozent, aber deutlich unter die heutigen Niveaus von fast 7 Prozent (USA) bzw. 5 Prozent (Euro-Zone). Tritt dieses Szenario tatsächlich ein, brauchen sich Anlegerinnen wohl keine übertriebenen Inflationssorgen zu machen.
Thomas Heller ist Chief Investment Officer und Leiter Research der Schwyzer Kantonalbank. Hier ein einem früheren Interview mit cash.ch.
Immobilienfonds und -aktien sind sehr teuer bewertet – zu teuer?
Vor allem Fonds sind teuer, richtig. Immerhin steckt dahinter eine reale Nachfrage nach Immobilien. Die tiefen Zinsen und die im Vergleich hohen Ausschüttungsrenditen begünstigen zusätzlich die Attraktivität von Immobilienanlagen. Da wir nicht mit einem signifikanten Anstieg der Zinsen rechnen, wird dies vorerst auch so bleiben. Also ja, teuer, aber im Quervergleich vertretbar.
Wie stark setzen Sie aktuell auf Gold?
Wir halten in unseren Portfolios derzeit eine taktische Position in Gold. Die Überlegung dahinter ist weniger ein konkreter Case für höhere Goldnotierungen, also noch tiefere (Real-)Zinsen oder ein schwächerer Dollar. Es ist vielmehr eine "Gegenposition", falls Unerwartetes passiert und auf die hoch bewerteten Aktienmärkte trifft: eine hartnäckigere Inflation, stärkere Massnahmen und in der Folge schwächeres Wachstum wegen Corona, politische Unruhen oder Ähnliches, wovon der Goldpreis profitieren könnte.
USA, Europa, Asien – wo werden die Märkte im nächsten Jahr glänzen, wenn überhaupt?
Wir haben für 2022 ein konstruktives Bild für die Konjunktur und die Finanzmärkte. Das dürfte breit viele Märkte begünstigen. Was könnte positiv überraschen? Es gibt Länder und Regionen, die sich aus unterschiedlichen Gründen in diesem Jahr unterdurchschnittlich oder gar negativ entwickelt haben. Lassen diese spezifischen Faktoren nach und belasten die Kurse nicht mehr im selben Ausmass, gibt es ein gewisses Aufholpotenzial. Dazu gehören die Schwellenländer allgemein – wobei der absehbare Zinserhöhungszyklus in den USA dem entgegenwirkt – sowie China und Hongkong im Speziellen, die 2021 bislang im Minus stehen (in Lokalwährung). Auch Japan hinkte 2021 den meisten entwickelten Ländern deutlich hinterher.
Wechseln wir zum allgemeinen Geschehen an den Börsen: Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte aktuell noch?
Es ist nicht ein "noch", es ist ein "wieder". Während sehr langer Zeit haben Neuigkeiten rund um Corona die Märkte kaum bewegt. Das Auftauchen der neuen Virusvariante Omikron führte zu einem Corona-Comeback an den Märkten. Sie sorgte bei Aktien und Zinsen für einen Taucher. Noch gibt es einige Unklarheiten, was die Ausbreitung (offenbar ist Omikron ansteckender), die Gefährlichkeit und die Wirkung der Impfungen betrifft. Die Unsicherheit ist spürbar. Das mögen die Märkte nicht.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Ich rechne nicht damit, dass sich die Anleger in den letzten Tagen des Jahres noch zum Fenster hinauslehnen. Wir haben Anfang Dezember die Erholung vom Omikron-Taucher im November gesehen und zuletzt eine positive Reaktion auf die jüngsten Fed-Entscheide. Das wars dann wohl für 2021. Wenn die Anleger, die zum Jahresende keine Risiken mehr eingehen wollten, Anfang Jahr mit ihrem "trockenen Pulver" zurück an den Markt kommen, könnten wir hingegen einen ansprechenden Jahresauftakt erleben.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Ein intaktes Umfeld für Aktien, womöglich ein guter Einstieg ins neue Jahr – ich gehe von höheren Kursen in zwölf Monaten aus. Keine Wiederholung von 2021, aber doch positiv. Ein SMI-Stand von um die 13’500 scheint auf jeden Fall realistisch. Sofern uns Corona oder über Erwarten restriktive Notenbanken nicht einen Strich durch die Rechnung machen.
Thomas Heller beantwortete die Fragen schriftlich. Dieses Interview erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: Inflation: "Wir stehen vermutlich an einer kritischen Schwelle"