Noch im vergangenen Jahr galt der Pionier Novo Nordisk als «der Aufsteiger» und war zwischenzeitlich das grösste börsennotierte Unternehmen in Europa. Der Hype um GLP-1-Diabetes- und Abnehmmedikamente hatte den Kurs in weniger als vier Jahren um fast 400 Prozent nach oben getrieben.

Von solchen Kursgewinnen träumen in diesem Jahr nur noch wenige Anlegerinnen und Anleger. Nach jahrelangem Höhenflug ist die Aktie seit Ende 2024 von über 1000 auf 350 dänische Kronen gefallen.

Auch die amerikanische Konkurrentin Eli Lilly hat in diesem Jahr an Wert eingebüsst, jedoch lediglich 2,25 Prozent - bei Novo Nordisk sind es 40 Prozent mehr. Am Donnerstag kurz nach Börsenbeginn notieren die Valoren bei 754 Dollar. 

Was ist also los bei den beiden Vorreitern der Abnehmindustrie? Der Markt bietet nach wie vor Potenzial. Laut Pharma-Analyst Stefan Schneider von Vontobel, diskutieren Analysten nach wie vor, wie gross der Markt werden wird – aber man sei sich auf jeden Fall einig, dass er sehr gross sein wird. Laut Daten von Bloomberg könnten allein in den USA in zehn Jahren 189 Millionen Menschen für Abnehmmedikamente infrage kommen.

Novo Nordisk

Belastend bei Novo Nordisk sind billige Kopien von Wegovy und Ozempic, die von privaten Herstellern angeboten werden, obwohl die FDA die Herstellung solcher Präparate seit Mai untersagt hat. Novo will nun seine Direktvertriebsplattform NovoCare in den USA ausbauen, um Medikamente direkt an Patienten zu verkaufen und so dem Preisdruck entgegenzuwirken. 

Infolge des zunehmenden Drucks hat Novo bereits acht Forschungs- und Entwicklungsprojekte eingestellt, mehrmals die Guidance nach unten angepasst und etliche Mitarbeitende entlassen. So auch diese Woche: der Pharmakonzern vermeldete 9'000 Entlassungen und eine erneute Guidance-Senkung. Ziel ist es, das Unternehmen schlanker aufzustellen und Entscheidungsprozesse zu beschleunigen.

Alle Augen sind aktuell auf Maziar Mike Doustdar gerichtet, der im Mai die Führung von Lars Fruergaard Jorgensen übernommen hatte. Eine personelle Veränderung sei nötig, weil der Konkurrenzdruck weiter zunehme und der Börsenwert seit längerer Zeit schwinde, so die damalige Begründung. Doustdar muss Novo Nordisk strategisch aus der Krise führen und die richtigen Weichen für die Zukunft stellen.

Analysten und Anleger reagierten positiv auf seine ersten Massnahmen. So kommentierte Oddo BHF: «Die neue Führung zeigt sich proaktiv bei der Festlegung einer klaren Roadmap», auch J.P. Morgan bewertete sie als «ermutigend», da das Unternehmen die Komplexität reduziere und die Agilität des Geschäfts verbessere.

Die Voraussetzungen für Zukunft sind gut: Der Markt für Adipositas-Medikamente bleibt für Novo Nordisk weiterhin attraktiv, konstatiert der Analyst von Bernstein. Er erwartet überdurchschnittliches Wachstum dank neuer Produkte, für welche die Markterwartungen bisher gering sind. Auch der UBS-Analyst unterstreicht die Notwendigkeit von weiteren Produktinnovationen, da Wegovy seinen Wachstumshöhepunkt erreicht habe.

Derzeit liegen 16 Kaufen und Halten-Empfehlungen vor und nur eine Verkaufsempfehlung. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 449,83 DKK und impliziert ein Aufwärtspotenzial von rund 30 Prozent. 

Eli Lilly

Weiter sorgt Eli Lilly für Gegenwind bei Novo. Lilly hatte im Gegensatz zu den Dänen den Umsatzausblick für das Gesamtjahr angehoben. Für Stefan Schneider ist der Leader in der Industrie klar Eli Lilly: «Die besseren klinischen Daten für deren Abnehm-Medikament hat sie trotz des späteren Markteintritts zum Leader gemacht. Das ist bemerkenswert.» Der US-Konzern überzeugt aktuell auf drei Fronten:

Einerseits haben die Amerikaner vor kurzem mit der Abnehmpille Orforglipron in einer entscheidenden Studie einen Erfolg erzielt. Bereits 2026 könnte die Pille auf den Markt kommen. Ein solcher Erfolg wäre äusserst wichtig, da mit Pillen noch mehr Menschen angesprochen werden könnten als mit den bisher verfügbaren Spritzen. Experten an der Wall Street glauben zudem, dass die Pillen dazu führen könnten, dass mehr Patienten die Medikamente länger einnehmen, ein potenzieller Umsatztreiber mit langfristiger Wirkung.

Andererseits gab der Pharmakonzern diese Woche bekannt, mit der KI-Plattform «TuneLab» die Arzneimittelforschung revolutionieren zu wollen. Die Plattform bietet kleineren Biotech-Firmen umfassende Forschungsdaten des Konzerns an, wonach Partnerunternehmen Entwicklungsentscheidungen zügiger treffen und ihre Chancen auf Erfolg erheblich verbessern.

Und zuletzt: Lilly macht Fortschritte bei anderen Wirkstoffen und stärkt damit die Produktdiversifikation. So erhielt der Konzern den «Breakthrough Therapy»-Status der FDA für das Mittel Olomorasib bei der Behandlung von Lungenkrebs. Dies lässt darauf schliessen, dass die US-Gesundheitsbehörde dem Medikament hohe Erfolgschancen zuteilt. Zudem vermeldeten sie bedeutenden Studienerfolg für das Leukämie-Medikament Jaypirca. 

Für Eli Lilly überwiegen die Kaufempfehlungen gemäss Bloomberg derzeit klar. 28 Analysten würden die Titel kaufen, neun sprechen «Halten» aus. Es liegt keine Verkaufsempfehlung vor. Das durchschnittliche Kursziel von 885,27 Dollar impliziert Raum nach oben. 

Wache Konkurrenz

Wichtig zu Bedenken für die beiden Anführer der Branche ist, dass zunehmend andere Player ihre Produkte auf den Markt bringen wollen. Namen wie Amgen, Viking Therapeutics, Zealand Pharma, AstraZeneca oder Pfizer dürfen im Kampf um die Vormachtstellung nicht fehlen.

«Zukünftig wird sich der Markt fragmentieren, wodurch auch noch spätere Mitbewerber eine Chance haben, Marktanteile zu gewinnen», erklärt Stefan Schneider von Vontobel. In den jetzigen Markt mit vergleichbaren Medikamenten zu den Existierenden einzutreten sei jedoch sicher herausfordernd, da die Produkte der beiden Anbieter gut etabliert seien.

Immer entscheidender würden zudem Medikamente, die verträglicher seien und solche, die weitere Zusatznutzen erfüllen, beispielsweise assoziierte Krankheiten wie Nierenprobleme oder Kreislaufproblem reduzieren. «Auch ist man dran, Medikamente zu entwickeln, die den Gewichtsverlust vor allem beim Fettgewebe erzielen statt auf dem Muskelgewebe», führt der Vontobel-Pharmaanalyst weiter aus. 

Hier komme Roche ins Spiel. Frühe Studiendaten zeigen, dass solche Mittel effektiv sind und somit vom herkömmlichen Markt für Abnehm-Medikamente Marktanteile gewinnen könnten. Aber mit der richtigen Kombinationstherapie könnte Roche zusätzlich Marktanteile gewinnen, die bis heute nicht erschlossen seien. Das Abnehm-Portfolio nehme bis zur Markteinführung jedoch noch einige Zeit in Anspruch. 

Aisha Gutknecht arbeitet seit Juli 2024 als Redaktorin für cash.ch.
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