Am Mittwoch nach Börsenschluss wird der Chiphersteller Nvidia die mit sehr viel Spannung erwarteten Zahlen zum vierten Quartal 2023 vorlegen. Und derzeit überschlagen sich die Analystenmeldung, eine Kurszielerhöhung folgt auf die nächste. Loop Capital hat dabei alle übertroffen und stellt bei Nvidia ein Kursziel auf 1200 Dollar in Aussicht. Aktuell notieren Nvidia bei 735 Dollar. Pessimistische Stimmen sind beim führenden KI-Chiphersteller praktisch keine zu finden. Gemäss Daten der Nachrichtenagentur Bloomberg empfehlen von 66 Analysten deren 61 die Aktie zum Kauf und fünf mit Halten. Die einzige Verkaufsempfehlung kommt von Morningstar. 

Der Grund für den Optimismus ist, dass von Amazon über Google bis zu Microsoft alle grossen Techkonzerne bei der Präsentation ihrer Quartalszahlen mitgeteilt hatten, die Investitionen im Bereich Künstliche Intelligenz und Cloud-Dienstleistungen weiter hoch zu fahren. Der Nvidia-Konkurrent AMD erwartet nun für das gesamte Jahr nach 150 Milliarden Dollar neu 400 Milliarden Dollar Investitionen im KI-Bereich.

Ob dabei Nvidia die Erwartungen erfüllt oder nicht, ist eigentlich weniger entscheidend. Verfehlt das Unternehmen die Erwartungen, dürfte dies eine willkommene Verschnaufpause für die US-Märkte sein. Am mittelfristigen Digitalisierungstrend ändert sich damit nichts, da die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen zur Digitalisierung der Wirtschaft weiter überdurchschnittlich wächst. Deutlich gefährlich für die Aktienmärkte wäre, wenn Nvidia die Erwartungen übertrifft. 

Zu schnelles Ansteigen der Kurs unerwünscht

Es sind nicht nur Hedge Fonds, die bis über beide Ohren in Tech-Aktien investiert sind. Auch junge, private Investorinnen und Investoren sind stark in Techaktien engagiert, schrieb das Wall Street Journal am letzten Wochenende. Der Überbulle Ed Yardeni spricht hierzu denn auch eine klare Warnung aus. «Schlagzeilen wie diese könnten den Bullenmarkt zuerst in eine Kernschmelze nach oben und dann in eine solche nach unten verwandeln. Wir achten deshalb weiterhin auf solche Signale, die den S&P 500 deutlich früher als geplant - etwa zur Jahresmitte - auf unser Jahresendziel von 5400 schicken könnten.» Für Yardeni wird die Informationstechnologie den Bullenmarkt vorerst weiter antreiben, weshalb eine Überhitzung später zu einem Einbruch führen könnte. 

Es ist auch diese Konzentration auf wenige Überflieger, welche Marktkommentatoren dazu veranlassen, die Rally kritisch zu hinterfragen. Diese ziehen hierzu den sogenannten Marktbreiten-Index hinzu. Der Index - auf englisch Market Breadth - analysiert die Anzahl der steigenden Aktien im Vergleich zu denen, die in einem bestimmten Index wie dem S&P 500 Index oder der Nasdaq fallen. Eine positive Marktbreite entsteht, wenn mehr Aktien steigen als fallen. Dies deutet darauf hin, dass die Bullen die Marktdynamik unter Kontrolle haben und hilft, einen Preisanstieg im Index zu bestätigen. Umgekehrt wird eine überproportionale Anzahl rückläufiger Wertpapiere herangezogen, um eine rückläufige Dynamik und eine Abwärtsbewegung des Aktienindex zu bestätigen.

Die Quant-Strategen von Société Générale halten fest, dass die Performance des S&P 500 weitgehend von den «magischen 7» US-Technologiewerte Apple, Amazon, Google, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla getragen wird. «Wir sind uns einig, dass es eine Tendenz zu Large-Caps gibt. Allerdings greift diese Argumentation zu kurz. Positiv sei zu vermerken, dass der gleichgewichtete Nasdaq 100 ebenfalls neue Höchststände erreichte, während der gleichgewichtete S&P Industrials jetzt 12 Prozent über seinem Höchststand von 2021 notiert.» Insofern stellt die fehlende Marktbreite im Moment kein Problem dar. 

Wie Yardeni warnen auch die SG-Strategen vor einem zu schnellen Anstieg und betonen, eine Atempause wäre sinnvoll. Zu Gewinnmitnahmen raten die Experten aber noch nicht. Die positiven Faktoren – Breite der Performance von Large-Caps, Gewinnentwicklung und konjunkturelle Frühindikatoren – legen nahe, eine höhere Allokation in globalen Aktien beizubehalten, da das Risiko eines Überschiessens bei Aktien im ersten Halbjahr weiterhin besteht. Dies, weil sich das Gewinnwachstum bei den Technologiewerten erst im zweiten Halbjahr etwas verlangsamen dürfte. 

Im Vergleich zu Dotcom-Boom keine Bubble

Manish Kabra, Leiter Quant-Strategien von Société Générale, ist auch der Frage nachgegangen, ob sich der S&P500 Index oder die Nasdaq bereits in einer Bubble befinden. Der Experte hat dazu die aktuellen Fundamentaldaten mit dem Dotcom-Boom vom Jahr 2000 verglichen und kommt zum klaren Schluss, dass die Bewertungen heute wesentlich moderater sind. Er konstatiert zwar, dass die Indexgewichte der Top 10 US-Aktien heute höher als in der Dotcom-Blase sind. Der Nasdaq 100 - die Quelle des aktuellen Booms bei den Unternehmensgewinnen - macht etwa 50 Prozent der Marktkapitalisierung des S&P 500 aus.

Auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase wurde der Technologiesektor aber mit dem Doppelten seines Gewinnanteils im S&P 500 gehandelt und der Index lag bei einem 25-fachen zukünftigen Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV). Heute liegt der Gewinn des Nasdaq 100 beim 1,25-fachen und der S&P 500 weist nur ein 20-faches zukünftige KGV auf. «Wenn man den Höhepunkt der Dotcom-Blase auf den Nasdaq 100 anwendet, müsste der S&P 500 rund 6250 erreichen, um das gleiche Mass an irrationalem Überschwang einzupreisen», stellt Kabra fest. Am Dienstag notiert der S&P 500 Index bei 4989 Punkten. 

Allerdings könnte es nun etwas unruhiger werden, schreibt Mark Haefele, Chief Investment Officer UBS Global Wealth Management, in einem aktuellen Kommentar. «Der S&P 500 stieg im Februar auf ein Allzeithoch, unterstützt durch robuste US-Wirtschaftsdaten und die Rallye bei KI-bezogenen Aktien. Die Märkte dürften nun etwas unruhig werden, da sich die Erwartungen an eine Lockerung der Zentralbankpolitik ändern. «Wir glauben jedoch, dass niedrigere Zinssätze, positives Wirtschaftswachstum und steigende Unternehmensgewinne im Jahr 2024 ein unterstützendes Umfeld für Aktien schaffen sollten. Unser Ziel für den S&P 500 im Dezember 2024 liegt in unserem Basisszenario bei 5'000 und in einem positiven Wirtschaftsszenario bei 5'300 Punkten», betont Haefele. 

Im Januar hat auch Blackrock US-Aktien auf Übergewichten mit einem taktischen Horizont von sechs bis zwölf Monaten hochgestuft. Die US-Vermögensverwalter bevorzugen weiterhin den Technologiesektor. Die positive Marktstimmung könnte vorerst anhalten, schreibt Ann-Katrin Petersen, Chief Investment Strategist von Blackrock in Frankfurt in einer Research-Note. 

Thomas Daniel Marti
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