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In einem Strategiepapier aus London warnen die Autoren der Bank of America um ihren Chefdenker Sebastian Rädler vor übertriebener Zuversicht. Ihres Erachtens steht die starke Kursbilanz an den europäischen Aktienmärkten seit Jahresbeginn in Widerspruch zu den wirtschaftlichen Aussichten. Das wiederum schaffe einen nicht unerheblichen Raum für Enttäuschungen, wie die Strategen weiter schreiben.
Folglich rechnen sie beim Stoxx Europe 600 Index bis in den Spätsommer hinein mit einem Rücksetzer auf 460 Punkte. Aus heutiger Sicht entspräche das einem Minus von mehr als 15 Prozent und läge sogar etwas unter den diesjährigen Tiefstständen rund um das Strafzoll-Regime Washingtons vom April. Damals fand das breit gefasste Börsenbarometer bei 464 Punkten einen Boden, bevor es zu einer kräftigen Gegenbewegung ansetzte.
Verlauf des Stoxx Europe 600 Index in den letzten Jahren (Quelle: www.cash.ch)
Aus Schweizer Sicht ist diese Prognose mit zwei «Aber» verbunden. Zum einen glauben die Londoner Strategen, dass sich defensive Aktien – und diese sind beim Swiss Market Index (SMI) bekanntlich für rund die Hälfte der Gesamtkapitalisierung verantwortlich – in diesen Rücksetzer hinein um mehr als zehn Prozent besser als zyklische Aktien halten sollten. Sprich: Der Schweizer Aktienmarkt könnte mit einem blauen Auge davonkommen. Zum anderen machen Rädler und seine Mitautoren schon seit Jahren immer wieder mit Warnungen wie dieser von sich Reden.
Neugierig wie ich bin, habe ich mich ein bisschen schlau gemacht. Erstmals berichtete ich im Oktober 2021 über pessimistische Börsenprognosen der amerikanischen Investmentbank. Mit 420 Punkten lag jene der Strategen für den Stoxx Europe 600 Index nur unwesentlich unter der jetzigen. In all den Jahren konnte das Börsenbarometer von damals knapp 460 auf zuletzt gut 550 Punkte zulegen.
Gerade der Schweizer Aktienmarkt dürfte heute auf solideren Beinen stehen, als es damals der Fall war. Daher lasse ich mir ob der jüngsten Warnung vorderhand keine grauen Haare wachsen.
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Seit Freitagnachmittag ist bekannt: Geht es nach dem Bundesrat, muss die UBS ihre Eigenkapitalbasis um zusätzliche 26 Milliarden Dollar stärken. Sollte die Vorlage in der heutigen Fassung durch die Vernehmlassung und sowohl vom Parlament als auch vom Stimmvolk durchgewunken werden, könnte sie ab Januar 2028 in Kraft treten. Die Grossbank hätte ab dann sechs bis acht Jahre Zeit, um die Eigenmittel über zurückbehaltene Gewinne zu äufnen.
Dass die Pläne der Politik in Bern in Börsenkreisen selbst am heutigen Mittwoch noch hohe Wellen werfen, überrascht mich nicht. Denn wie der für J.P. Morgan tätige Analyst Kian Abouhossein schreibt, kommt die Vorlage seinem Worst-Case-Szenario ziemlich nahe. Während er im laufenden Jahr weiterhin mit Aktienrückkäufen im Umfang von 3 Milliarden Dollar rechnet, kürzt er seine Annahmen für die beiden Folgejahre von 6 auf 3,5 Milliarden Dollar und von 8 auf 4 Milliarden Dollar. Damit einher gehen Gewinnschätzungsreduktionen von bis zu sieben Prozent. Dennoch hält der Analyst sowohl an seiner «Overweight» lautenden Kaufempfehlung sowie am Kursziel von 37 Franken fest. Er wähnt die Aktien der UBS im europäischen Bankensektor wie bis anhin in der Favoritenrolle.
Sein Berufskollege Chris Hallam bei Goldman Sachs sieht sich ebenfalls zu grösseren Schätzungsanpassungen gezwungen. Er lässt fürs kommende Jahr nicht mehr 6 Milliarden Dollar, sondern nur noch 3 Milliarden Dollar an Aktienrückkäufen in sein Bewertungsmodell mit einfliessen und kürzt auch seine Annahmen für die beiden Folgejahre deutlich. Diese Anpassungen führen zu um bis zu neun Prozent tieferen Gewinnschätzungen. Der Analyst preist die Valoren zwar noch immer mit «Buy» zum Kauf an, veranschlagt neuerdings aber nur noch ein Zwölf-Monats-Kursziel von 32,50 (zuvor 35) Franken.
Seit Tagen machen die UBS-Aktien mit Kursausschlägen von sich reden (Quelle: www.cash.ch)
Auch der für Jefferies tätige Analyst Joseph Dickerson hat Anpassungsbedarf bei seinem Bewertungsmodell, hatte er die UBS-Aktien doch erst wenige Tage vor dem Eigenmittelentscheid mutig mit einem Kursziel von 37 (zuvor 22) Franken von «Hold» auf «Buy» heraufgestuft. Dickerson wird seine Annahmen für die Aktienrückkauftätigkeit der kommenden Jahre mehr als halbieren müssen, wie er selber einräumt. Ob der Analyst auch sein Kursziel unter negativen Vorzeichen überarbeiten wird, lässt sich noch nicht abschliessend sagen. Er selber bezeichnet die Vorlage als «drakonisch» und dürfte der Grossbank damit wohl aus der Seele sprechen.
Für Gesprächsstoff sorgen in hiesigen Börsenkreisen aber nicht nur diese einschneidenden Schätzungsreduktionen, sondern auch die Art und Weise, wie am Freitag seitens des Bundesrats und der Behörden kommuniziert wurde. So erhielten die Medien schon kurz vor 11 Uhr morgens Vorabinformationen mit einer Sperrfrist bis zur Medienkonferenz vom Nachmittag. Ob die UBS zu diesem Zeitpunkt auch schon wusste, was da auf sie zukommen würde? Die Grossbank selber meldete sich jedenfalls erst kurz nach Börsenschluss mit einer Stellungnahme zu Wort und verurteilte die künftigen Eigenmittelanforderungen als «extrem».
Interessant erscheint mir übrigens, dass der Bundesrat und die Behörden inmitten der laufenden Börsensitzung informierten und der Handel bei den Papieren der UBS nicht wenigstens vorübergehend ausgesetzt wurde. Wenn kursrelevante neue Sachverhalte anstehen, gilt das ja eigentlich als eine Gepflogenheit. Mich überrascht deshalb nicht, dass einige meiner alt eingesessenen Kontakte die Kommunikationspolitik Berns als «etwas amateurhaft» verunglimpfen. Ganz so weit möchte ich zwar nicht gehen. Dennoch hätte ich mir gerade auch im Wissen um die lange Vorlaufzeit einen Tick mehr Professionalität gewünscht...
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2 Kommentare
Ich bin ja immer sehr skeptisch was die Analysten so kommentieren. Zu UBS möchte ich festhalten, dass Vernehmlassung und Politbetrieb dazu führt, dass frühestens 2029 neue und dann sicher etwas mildere Regeln gelten. Wenn man also insgesamt 10 Jahre rechnet bis die EK Anforderungen dann wirklich erfüllt sein müssen und die UBS mit Sicherheit einige Anpassungen im Geschäftsmodell vornimmt, geht es um 2 Mia pro Jahr. das werden die problemlos schaffen. Kursziel für mich per ende 2026: 47.- bis 50.-
Lieber spylong
Ich teile Ihre Einschätzung, dass das Paket im Zuge des Vernehmlassungs-Prozesses noch abgeschwächt werden dürfte. Die zusätzlichen Eigenmittel sind für die UBS zwar ohne weiteres aus eigener Kraft akkumulierbar. Allerdings geht eine höhere Eigenmittelquote mit höheren Kosten aus, was der Grossbank im internationalen Geschäft klar Nachteile einbringt - zumal die Zeichen gerade bei den US-Eigenmittelvorschriften auf "Lockerung" stehen. Dadurch verschieb sich das transatlantische Eigenmittelgefälle noch viel weiter zu Ungunsten der USA. Das wiederum darf auch der Politik in Bern nicht egal sein. Man darf gespannt sein.
Herzlichst, der cash Insider