Der cash Insider berichtet auch im Insider Briefing jeweils vorbörslich von brandaktuellen Beobachtungen rund um das Schweizer Marktgeschehen und ist unter @cashInsider auch auf X/Twitter aktiv.
+++
Für mich sind und bleiben die Aktien von Nestlé eine grosse Enttäuschung. Führten die Westschweizer noch im Februar die SMI-Gewinnerliste mit einem Plus von mehr als 20 Prozent an, weisen die Valoren fürs laufende Jahr mittlerweile sogar eine negative Kursbilanz auf. Dies, nachdem das Schwergewicht bereits im Jahr davor zu den Börsenschlusslichtern gezählt hatte.
Ich habe in den letzten Tagen deshalb intensive Gespräche mit Nestlé-Aktionären unterschiedlichster Couleur geführt. Und egal ob grosse Pensionskassen mit einem Anlagevermögen von mehreren Milliarden Franken, vermögende Privatpersonen oder Kleinaktionäre – von überall her tönt es ähnlich: Man ist unzufrieden. Unzufrieden mit der Aktienkursentwicklung, unzufrieden aber auch in Bezug auf erkennbare Anstrengungen unter Firmenchef Laurent Freixe, um wieder zu alter Stärke zurückzufinden.
Auf Unverständnis stösst insbesondere der prozyklische Ansatz beim Rückkauf eigener Aktien. Zur Erinnerung: Ende Dezember informierte Nestlé darüber, in den vorangegangenen knapp zwei Jahren insgesamt 187,4 Millionen Aktien zu einem durchschnittlichen Preis von 106,74 Franken das Stück zurückgekauft zu haben. Davon lässt sich ableiten, dass ein beachtlicher Teil dieser Titel bei Kursen von 110 Franken und mehr zusammengekauft wurde – in der Spitze täglich mehr als 800'000 Stück. Und als im Dezember Kurse unter 80 Franken bezahlt wurden, waren es gerade noch um die 143'000 Stück am Tag. Mittlerweile kosten die Aktien keine 73 Franken mehr. Das ist so wenig wie seit Anfang 2017 nicht mehr.
Kursentwicklung der Nestlé-Aktien im mehrjährigen Verlauf (Quelle: www.cash.ch)
Im Gespräch mir gegenüber, gibt man sich zusehends desillusioniert. Desillusioniert auch, was einen baldigen Turnaround anbetrifft. Der Glaube an einen solchen schwindet. Ob die von mir befragten Aktionäre repräsentativ für das Gros sind, ist schwierig abzuschätzen. Vergleichsweise entspannt gibt man sich bei grossen institutionellen Investoren. Denn nicht eben wenige räumen den Papieren «nur» eine Gewichtung im Rahmen der Vergleichsindizes oder weniger ein.
Kürzlich wurden bekanntlich Forderungen laut, wonach sich Nestlé in mehrere voneinander unabhängige Unternehmen aufspalten solle. Einige meiner Gesprächspartner unterstützen einen solchen Befreiungsschlag und verweisen darauf, dass sich gerade einige amerikanische Rivalen in der Vergangenheit auch schon zu einem solchen Schritt durchgerungen hätten. Und da wäre ja auch noch das L'Oréal-Restpakets. Ein Verkauf würde umgerechnet um die 38 Milliarden Franken in die Kasse der Westschweizer spülen. Geld, welches in den Rückkauf eigener Aktien zu tiefen Kursen fliessen könnte.
Ideen gibt es also genug. Ohne Druck von aussen bleibt vermutlich alles beim Alten. Es ist allerdings gerade diese grundlegende Unzufriedenheit, welche ausländischen Finanzinvestoren einen geradezu idealen Nährboden bietet, um sich günstig einzunisten und ihre eigenen Pläne durchzusetzen. Und auch wenn es bei Nestlé noch nicht nach einem Aktionärsaufstand aussieht, so bin ich doch überrascht, dass sich beim Nahrungsmittelmulti aus Vevey bisher noch keine Finanzinvestoren zu erkennen gegeben haben.
+++
Bei ihren Unternehmensstudien bedienen sich die Aktienanalysten der UBS unterschiedlicher Szenarien. Während sie sich beim Zwölf-Monats-Kursziel auf ein Basisszenario abstützen, spielen die Analysten der Grossbank darüber hinaus ein Aufwärts- sowie ein Abwärtsszenario durch.
Was die Kolleginnen und Kollegen aus dem Aktien-Research können, können wir schon lange, dürfte man sich im Chief Investment Office des Global Wealth Management der Grossbank da wohl gedacht haben. In einem mir zugespielten Strategiepapier zum Schweizer Aktienmarkt präsentiert der Autor Stefan Meyer neben einer Prognose für den Swiss Market Index (SMI) nämlich ebenfalls sowohl ein Aufwärts- als auch ein Abwärtsszenario. Während er das renommierte Börsenbarometer bis Mitte nächsten Jahres auf 12'600 Punkte steigen sieht, traut der Stratege diesem gegebenenfalls sogar einen Vorstoss auf 13'600 Punkte zu. Dieser Prognose liegt eine Beschleunigung des Unternehmensgewinnwachstums in den hohen einstelligen Prozentbereich sowie ein ordentliches Dividendenwachstum zugrunde.
Entwicklung des SMI mit Dividenden-Korrektur (SMIC) seit Januar (Quelle: www.cash.ch)
Doch es könnte alles auch ganz anders kommen und der SMI im Zuge des bankeigenen Abwärtsszenarios bis zum kommenden Frühsommer um 15 Prozent auf 10'200 Punkte zurückfallen. Ein solches Szenario käme allerdings nur dann zum Tragen, sollte sich das Weltwirtschaftswachstum im weiteren Jahresverlauf deutlich verlangsamen und der Franken sich weiter aufwerten. Beides ginge hierzulande mit einem durchschnittlichen Rückgang der Unternehmensgewinne im tiefen bis mittleren einstelligen Prozentbereich einher.
Unabhängig vom Szenario rät Meyer zu einem selektiven Ansatz – sprich: Anlegerinnen und Anleger sollten hierzulande auf qualitativ hochwertige Dividendenperlen sowie auf Aktien von mittelgrossen Unternehmen setzen. Mit konkreten Namen wartet der Stratege im mir vorliegenden Papier allerdings nicht auf.
Im Global Wealth Management der UBS räumt man dem Schweizer Aktienmarkt in den Kundenportefeuilles denn auch weiterhin nur eine neutrale Gewichtung ein. Das deckt sich übrigens mit der Einschätzung der Arbeitskollegen im Investment Banking der Grossbank in London. Soviel «unité de doctrine» ist lobenswert, gab es diese in der Vergangenheit doch nicht immer zwischen den verschiedenen Geschäftseinheiten...
Der cash Insider nimmt Marktgerüchte sowie Strategie-, Branchen- oder Unternehmensstudien auf und interpretiert diese. Marktgerüchte werden bewusst nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Gerüchte, Spekulationen und alles, was Händler und Marktteilnehmer interessiert, sollen rasch an die Leser weitergegeben werden. Für die Richtigkeit der Inhalte wird keine Verantwortung übernommen. Die persönliche Meinung des cash Insiders muss sich nicht mit derjenigen der cash-Redaktion decken. Der cash Insider ist selber an der Börse aktiv. Nur so kann er die für diese Art von Nachrichten notwendige Marktnähe erreichen. Die geäusserten Meinungen stellen keine Kauf- oder Verkaufsempfehlungen an die Leserschaft dar. |
4 Kommentare
Nestlé hat viele Jahre mehr in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen ausgegeben als in Form des Free Cash Flows zugeflossen ist. Nestlé hat jahrelang zu wenig in Marken und Produktionsstätten investiert.
Herr Freixe kann nicht zaubern. Meines Erachtens wird man nicht umhin kommen der Fa. einige Zeit zu geben sich zu erholen und wieder ins Gleis zu kommen.
Lieber Cash Insider
Spannender Artikel und interessant hoher Wellengang um die Nestlé Titel!
Du schreibst, dass die 38 Mrd. aus L'Oreal in ein Aktienrückkaufprogramm fliessen könnten. Ist das aus deiner Sicht ein Wunsch / realistisches Szenario deiner Kontakte, mit denen du gesprochen hast? Ich hätte grundsätzlich Erwartet, dass in einer solchen Situation der Divestment-Erlös für andere strategische "Befreiungsschläge" verwendet würde, anstatt ihn zur reinen Kurspflege über ein Rückkaufprogramm aus der Bilanz zu spülen - kenne mich aber mit solchen Transaktionen nur wenig aus.
Liebe Grüsse
Royce
Lieber Cash Insider
Zermürbend ist Nestle in der Tat. Aber GIVAUDAN ist es genau so. Jeden Tag noch schwächer, nie eine Gegenbewegung!
Hast Du eine Erklärung, die sicher auch andere Anleger interessieren würde?
Besten Dank
Lieber Barolo
Der starke Franken schläg sich bei Nestlé, Givaudan und Co besonders deutlich im Tagesgeschäft nieder. Interessant erscheint mir, dass die Aktien anderer Rivalen deutlich besser unterwegs sind (siehe heute z.B. Danone). Givaudan wird heute übrigens für eine Reduktion der diesjährigen Wachstumsvorgaben durch die deutsche Symrise in Sippenhaft genommen. Herzliche Grüsse.