"British Exit" oder kurz Brexit: In weniger als zwei Wochen stimmt Grossbritannien über den Verbleib oder Austritt aus der Europäischen Union ab. "Bei einem Brexit-Votum würden die Finanzmärkte erschrecken, sie würden ziemlich sicher negativ reagieren", sagt Thomas Steinemann, Anlagechef der Privatbank Bellerive, im cash-Börsen-Talk. Das Pfund fiele als unmittelbare Folge, der Franken geriete wohl unter Aufwertungsdruck. 

Einen länger andauernden Dämpfer erwartet Steinemann für diesen Fall aber nicht. "Man vergisst häufig, dass Grossbritannien nicht Teil der Eurozone ist. Ein Austritt eines Euro-Landes wäre viel komplizierter als ein Austritt eines Staates mit eigener Währung, sagt Steinemann. Im Falle Grossbritanniens ginge es vor allem darum, wie die Handelsbeziehungen zu Europa neu geregelt würden. 

Umfragen zufolge wird diese Abstimmung am 23. Juni, die wesentlich für die Zukunft des Vereinigten Königreichs, aber auch der EU ist, knapp ausfallen. Nur, auf die Befragungen ist wenig Verlass. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 lagen die Umfrageinstitute weitestgehend falsch. Für Anleger gibt es daher kaum Anhaltspunkte, wie das Votum ausgehen wird, ausser vielleicht jene der legendären britischen Wettbüros. Die Wettbegeisterten erwarten, dass Grossbritannien in der EU bleiben wird. 

Steigende Tendenz am Aktienmarkt

Wie dem auch sei, eine kurzfristige, breit stattfindende Brexit-Korrektur an den Aktienmärkten würde vielerorts zum Einstieg einladen, wie Steinemann sagt - vordergründig am britischen Aktienmarkt, aber auch in der Schweiz und in der übrigen Welt.

Allerdings gibt es auch Werte, auf die man unabhängig von der Brexit-Abstimmungen setzen kann, zumal sich der Schweizer Aktienmarkt seit Februar erholt und Thomas Steinemann davon ausgeht, dass er auch im zweiten Halbjahr positiv verlaufen wird: "Dass die Preise für Rohöl, aber auch andere Rohstoffe steigen, ist ein positives Zeichen: Diese Rohstoffe werden wirklich gebraucht, das lässt auf eine einigermassen lebendigere Weltwirtschaft schliessen." 

Steinemann traut den Schweizer Versicherern einiges zu: "Wir sahen, dass der Sektor seit vergangenem Sommer sehr unter Druck war, etwa Zurich, die Swiss Re oder Helvetia." Auch die grossen SMI-Pharmatitel Roche und Novartis performten vergleichsweise schlecht, wie Steinemann in Erinnerung ruft. "Diese beiden Bereiche bieten Gelegenheiten, wo man wieder einsteigen kann, es besteht Nachholbedarf." 

Am breiten Markt hat Steinemann Vertrauen in Firmen, die insbesondere mit einem erfolgreichen Geschäftsmodell glänzen: "Ein Beispiel ist der Schraubenhersteller SFS, der bekanntlich für Apple produziert." Auch für den Trendmarkt selbstfahrende Autos sei das Unternehmen gut positioniert. Positiv sieht die Bank Bellerive auch die Kreditbank Cembra, die ein stabiles Schweiz-zentriertes Geschäft habe und dank hoher Dividendenrendite fast schon ein Obligationenersatz sei. 

Zinsanstieg birgt Rezessionsgefahr

Mehr Sorgen als für das zweite Halbjahr macht sich Steinemann für die mittelfristige Entwicklung. Vor allem die Zinsen könnten noch für neue Schwierigkeiten sorgen. Zwar versuche die US-Notenbank Fed über die nächste Zeit eine behutsame Anhebung des Zinsniveaus, aber in den Obligationenmärkten könnten die Zinsen im nächsten Jahr schneller ansteigen als gedacht.

Die Federal Reserve hat im Dezember den Schlüsselsatz zur Versorgung der Banken mit Geld auf 0,25 bis 0,5 Prozent angehoben und damit in den USA die Zinswende eingeleitet. "Es sieht so aus, dass dieses Jahr noch ein Zinsschritt der US-Notenbank folgt, vermutlich im Juli", sagt Steinemann.

Mit einer Straffung oder "Normalisierung" der US-Geldpolitik würden aber von der Fed aufgekaufte Obligationen auf den Markt zurückgelangen. "Die Fed muss die Geldmenge abbauen, die sich seit 2008 vervierfacht hat", sagt Steinemann. Die Fed könne damit allerdings die Obligationenrenditen stärker und schneller als gewollt nach oben treiben, da der Markt diese Verkäufe der Fed antizipieren könnte.

"Der Zinsanstieg bei US-Obligationen wäre dann stärker, als man das gern möchte." Auch in anderen Märkten würden die Anleihenzinsen dann ansteigen. Dies birgt laut Steinemann die Gefahr einer erneuten Rezession in der Weltwirtschaft und einer neuen Tiefzinsphase: "Die Notenbanken müssten dann wieder umkehren. Es ist ein sehr schwieriges Manöver, das die Geldpolitik zu bewältigen hat." 

Thomas Steinemann analysiert anhand der US-Wirtschaftsentwicklung und der Geldmengen-Betrachtung im cash-Börsen-Talk die Aussichten für die US-Geldpolitik. Zudem: Bei den grossen Unsicherheiten - neben Brexit und Zinsentwicklung dürfte auch der amerikanische Präsidentenwahlkampf noch für Bewegungen sorgen - hält er einen Tipp bereit, nämlich ob sich Anleger diesen Sommer vorsichtig oder mutig verhalten sollen.