Aktienmärkte neigen dazu, ein Thema lange kleinzureden, um dann umso heftiger zu reagieren, wenn ein Risiko plötzlich deutlich erkennbar wird. So verhielt es sich vergangene Woche mit der Konkretisierung der Tapering-Pläne der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed).
Das Zurückfahren der monatlich 120 Milliarden Dollar schweren Anleihenkäufe der Fed wird den Finanzmärkten über die Zeit enorm Liquidität entziehen. Der Dow Jones, der Nasdaq und andere eng verfolgte Indices liessen angesichts solcher Aussichten in der zweiten Wochenhälfte nach. Ein Citigroup-Kommentar griff die unruhige Stimmung sofort auf und stellte die Aussicht auf eine 10-Prozent-Korrektur an den US-Börsen in den Raum. Die Analysten der New Yorker Grossbank warfen den Aktienmärkten dazu noch eine seit längerem "selbstgefällige Haltung" vor.
Das negative Bild wurde noch verstärkt durch weitere eminente Risiken wie Chinas Regulierungspolitik und die Angst vieler Länder, vor allem in Asien-Pazifik, vor den weiteren wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie. Um sich gegen einen "Schwarzen Schwan" abzusichern, hat ausgerechnet die Zukunftsfirma Palantir Bestände am Uralt-Wertspeicher Gold aufgekauft. Eine spektakuläre Neuigkeit. Nur weniger dramatisch, als es sich liest. Es gibt Gründe, weswegen eine unmittelbare Schwächephase der Aktienmärkte noch nicht das wahrscheinlichste Szenario ist.
FOMC will Anleihenkäufe reduzieren
Gemäss den vergangenen Mittwoch veröffentlichten Sitzungsprotokollen des Offenmarktausschusses (FOMC) vom 27. und 28. Juli sind sich die meisten Fed-Lenker darin einig, dass ein Tapering im Herbst angekündigt und das Ausmass der Bond-Käufe noch dieses Jahr reduziert werden sollen. Daten legen monetäre Veränderungen in den USA aber bereits an den Tag.
Das Wachstum der Fed-Bilanz hat sich von bis zu 80 Prozent in früheren Jahren auf 11 Prozent verringert. Die Geldmengen, die in der US-Wirtschaft fliessen, haben sich reduziert. "Tatsache ist, dass eine monetäre Ausdünnung seit Monaten ersichtlich ist und dies die Finanzmärkte auch schon deutlich beeinflusst hat", sagte Jim Paulsen, Chefstratege der US-Researchfirma Leuthold Group, zur Nachrichtenagentur Dow Jones. Ersichtlich sei dies daran, dass die am stärksten zyklischen Sektoren des S&P 500 bereits schlechter performten als der Gesamtmarkt.
Analysten und Strategen könnten sich wegen des Taperings weniger geschockt geben, wenn sie die Kommunikation der Fed ins Zentrum ihrer Berichte setzen würden. Die Währungshüter in den USA sind notorisch vorsichtig geworden und Marktverwerfungen wie beim "Taper Tantrum" 2013 wollen vermieden werden. Auch Schweizer Marktbeobachter halten die Situation für gut einschätzbar: "Nur geldpolitische Überraschungen würden einen negativen Effekt haben", sagt Thomas Steinemann, Anlagechef der Bank Bellerive. Ausserdem hätten zumindest leicht steigende Zinsen gar einen positiven Effekt für Aktien: "Sie sind ein Zeichen für eine starke Wirtschaft."
1,74 Prozent im März, 1,24 Prozent heute: Der Rückgang der 10-Jahres-Treasury-Renditen in den USA hat zur Beruhigung der Lage beigetragen (Grafik: St. Louis Fed).
So schwer auch immer der Zinsfahrplan der Fed konkret vorausgesagt werden kann: Eine Zinserhöhung kommt so schnell nicht. Sollte das Tapering beispielsweise auf der nächsten September-Sitzung angekündigt und Ende 2021 umgesetzt werden, kann es schnell ein Jahr dauern, bis die Anleihenkäufe auf Null gesenkt sind. Dies könnte den Zinsschritt gegen Ende 2022 auslösen, die erste Hälfte 2023 bleibt aber als Zeitpunkt für diesen Riesen-Akt realistischer. Der Markt hat dies auf dem Radar.
Die jüngsten Reaktionen der Aktienmärkte auf die Fed-Protokolle liessen die Einschätzung aufkommen, die US-Notenbank sei nun entschieden mehr "hawkish". Klar ist, dass die Währungshüter in den USA die lockere Geldpolitik mit der Zeit zu beenden gedenken, anders als in Europa, wo Tiefzinsen und Anleihenkäufe unter Christine Lagarde und der Mehrheit der Notenbanker im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) scheinbar längst eine als komfortabel empfundene neue Normalität darstellen. Ganz hat aber auch die Fed den Fuss noch nicht von der Bremse genommen.
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Zur Beschäftigungssituation in den USA äussert sich der Offenmarktausschuss trotz der enormen Erholung der Wirtschaft immer noch vorsichtig. Die Fed muss zwar Prognosen berücksichtigen, wonach die Inflation in den USA auch nächstes Jahr über 2 Prozent liegen wird. Aus Aussagen der regionalen Fed-Präsidenten wird aber immer wieder klar, dass nicht vorzeitig ("pre-emptively") gehandelt werden soll. Niemand und sowieso nicht die Fed will das Risiko eingehen, Wachstum abzuwürgen. Nichts anderes wird Fed-Chef Jerome Powell Ende der Woche bei seinen nächsten scharf beäugten Auftritt am Notenbankgipfel in Jackson Hole im Staat Wyoming signalisieren.
Daneben könnte auch die Coronapandemie die Fed noch einmal zu mehr "Flexibilität" im geldpolitischen Fahrplan veranlassen. Die Delta-Variante des Virus lässt die Infektionszahlen in den USA stark steigen, was Folgen für das Konsumklima haben könnte. An den Aktienmärkten wird in Betracht gezogen, dass die anhaltende Gesundheitskrise in den USA das Fed-Tapering eher hinauszögert.
Aktienanleger bleiben «risk on»
Eine Dollar-Aufwertung und ein steigender Goldpreis wären bei einer klarer werdenden Richtung in der Fed-Tapering-Politik keine Überraschung. Bei Aktien bleiben Investmentverantwortliche relativ gelassen: "Wir halten eine 'risk-on'-Haltung aufrecht", schreibt der oberste UBS-Anlagechef Mark Haefele in seinem monatlichen Marktkommentar.
"Daten legen nahe, dass die [BIP]-Wachstumraten im Orbit blieben werden", hält Haefele fest. Der grosse Wachstumsschub sei vorbei, die US-Wirtschaft werde zweistellige Wachstumsraten aber mindestens bis zum ersten Quartal 2022 beibehalten. Dies kombiniert mit einer insgesamt immer noch lockeren Geldpolitik biete Investorinnen und Investoren weiter Chancen.
Das Vorgehen für die nächsten Monate ist für die nicht so leicht verschreckten Anlagespezialisten lediglich eine Frage der Gewichtung. Wie in den USA sind auch in der Schweiz Zykliker unter Druck geraten. Unter den 20 Unternehmen im Swiss Performance Index, die in den vergangenen vier Wochen am stärksten unter Druck geraten sind, sind viele besonders konjunktursensitive Titel. Durch schwächere Wachstumsraten sind sie verwundbarer geworden und der Tapering-Lärm wird ihnen sicherlich nicht helfen.
Dafür haben die Kurse defensiver Aktien wieder angezogen. Ein bisschen nachjustieren ergibt also Sinn. In Panik auszubrechen ist aber kein guter Plan. Auch die Fed würde nicht dazu raten.
Die 20 SPI-Aktien mit den grössten Ein-Monats-Kursrückgängen, Stand 20. August 2021 (Bloomberg).