Die Flughäfen sind spärlich frequentiert, die Zimmer in den Hotels stehen grösstenteils leer, Freizeitparks und Restaurants: in den meisten Ländern seit Monaten geschlossen. In Deutschland geht der Lockdown in die Verlängerung. Die britische Regierung hält Auslandsreisen im Sommer für "äusserst unwahrscheinlich". Dass die Tourismusindustrie schwer angeschlagen in den Seilen hängt, ist offensichtlich. Doch an den Börsen drückt das viele Geld in die Märkte und hat zur schnellsten aller Erholungsrallys in der Börsengeschichte geführt. Investoren schauen weit in die Zukunft und ignorieren die ernüchternde Gegenwart.

Eindrücklich zeigt sich dies am Stoxx 600 Travel & Leisure Index, einem Kursbarometer, der in Europa kotierte Aktien aus der Tourismusindustrie wie Accor, Carnival, Ryanair, TUI oder Lufthansa in sich vereint. Im Februar und März 2020 erlitt der Index besonders schwere Verluste, fast zwei Drittel der Marktkapitalisierung waren ausgelöscht. Doch im Frühsommer hellte sich die Stimmung auf, und nach der US-Wahl ging die Kletterparty weiter. Seit Jahresbeginn scheinen die Sorgen über drohende Pleiten gänzlich verflogen. Der Index erhielt durch die Impfkampagnen einen Schub und hat die Verluste aus dem Covid-Crash mittlerweile ausgeglichen.

Den leeren Hotels zum Trotz holte der Aktienkurs der Hotelkette Hilton Worldwide nicht nur die Verluste aus dem Vorjahr auf, sondern kletterte auf ein neues Allzeithoch. Dabei haben sich die Umsätze im Vorjahr halbiert, ein heftiger Verlust von 715 Millionen Dollar wurde verbucht. 2021 kehrt der Konzern wohl in die Gewinnzone zurück, doch hier sind die alten Niveaus noch meilenweit entfernt. Experten rechnen damit, dass es drei Jahre dauern wird, bis die Hotellerie wieder auf den Vorkrisenstand zurückfindet.

Im Gegensatz zu den meisten Flugzeugen hob der mit 29 Airlines aus der ganzen Welt bestückte Bloomberg World Airline Index ab und holte mit einem Zuwachs von 90  Prozent den grössten Teil der Abgaben wieder auf. Zu den schwächsten Werten im Index zählt die Swiss-Mutter Lufthansa, nur drei asiatische Luftlinien entwickelten sich schlechter. Die Aktie der Billig-Airline Ryanair liegt mit ihrer Performance im Mittelfeld und notiert bereits wieder über dem Vorkrisenniveau. Bernstein-Research-Analyst Daniel Röska empfiehlt den Kauf seit dem 10. März 2020 und musste das Kursziel zuletzt auf 25 Euro anheben – dies wohl in letzter Zeit mit schwindender Überzeugung. Nach der Erholung gebe es im Airline-Sektor noch Gelegenheiten, jedoch hänge diese zunehmend von den Fundamentaldaten ab. Ryanair dürfte erst 2022 wieder Gewinne einfliegen.

Bei den Investoren gefragt sind selbst die Airport-Aktien. Der Flughafen von Kopenhagen ist an der Börse wieder genauso viel Wert wie vor der Krise. Dasselbe gilt für Airports of Thailand.

Auf dem besten Weg dorthin ist Duty-free-Betreiber Dufry. Seit dem Tief im März hat sich der Kurs des Schweizer Wertpapiers verdreifacht. Selbst die Überraschung, dass der Verlust 2020 fast so hoch war wie der Umsatz, sorgte an der Börse für keinen Rücksetzer.

In den USA öffnen die Themenparks von Disney im Frühjahr allmählich wieder. Vor der Krise brachten die Freizeitparks immerhin 41 Prozent der Erlöse ein. Die Disney-Aktie ist bereits mehr als 35  Prozent über das Vorkrisenniveau geklettert und stand zuletzt mitten in der Covid-Krise kurz vor einem neuen Allzeithoch.

Dieser Artikel erschien zuerst bei handelszeitung.ch mit dem Titel: "Tourismus-Aktien sind im Hoch – obwohl die Branche darbt".

Erich Gerbl
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